Wir leben in Zeiten, die es uns durch Pandemie und den Krieg in der Ukraine nicht leicht machen. Und dennoch steht Pessach vor der Tür. Da werden wir hoffentlich wieder zusammen essen können und es uns ein wenig gut gehen lassen. Es wird eine gewisse Zeit der Vorbereitung brauchen, dass wir uns konzentriert darauf einlassen können – trotz der aktuell schrecklichen Gegebenheiten um uns herum.
Aber dennoch bleibt unsere Absicht (Kawana) offensichtlich: Es geht um das Gedenken an die Befreiung der Kinder Israels und den Auszug aus Ägypten. Die Haggada gibt genau vor, wie wir Pessach feiern sollen. Wir haben also eine Leitlinie, die uns allerdings auch einen gewissen Spielraum lässt.
REGELN Beim Darbringen bestimmter Opfer gab es früher keinerlei Spielräume. Verstöße gegen das entsprechende Ritual hatten verheerende Folgen. Die Regeln, wie das Opfer dargebracht werden musste und wie man sich dem Allerheiligsten nähern durfte, waren strikt einzuhalten. Alles hatte seine feste Form, gegen die nicht verstoßen werden durfte.
Darum ist für uns die Geschichte von den beiden Söhnen Aharons, Nadav und Avihu, nicht leicht zu verstehen, denn das Handeln der beiden jungen Männer scheint redlich gewesen zu sein, und ihre Intention wird in der Tora nicht als böse beschrieben.
Nadav und Avihu kamen vor den Ewigen ins Allerheiligste mit ihren Rauchpfannen und brachten ein »fremdes Feuer« dar, heißt es – ein Feuer, das ihnen nicht befohlen worden war. Sie traten also vor den Ewigen, ohne dass sie dazu aufgefordert wurden.
absicht Die Folgen waren verheerend: Beide Männer wurden von einem »reinen Feuer des Ewigen« verzehrt, kamen also sofort ums Leben. Obwohl ihre Absicht rein war, mussten sie mit dem Leben dafür bezahlen – ein Vorfall, der den Gelehrten in späterer Zeit einiges Kopfzerbrechen bereitete. Wie kann etwas, das ich reinen Herzens tue, mit dem Tod bestraft werden?
Im Laufe der Jahrhunderte versuchten die Rabbiner einige Lösungsansätze, um zu dieser Geschichte eine passende Erklärung zu finden: Zuerst versuchten sie, die Tat der beiden Söhne Aharons durch einen Frevel zu erklären – sie bezogen sich auf das Verbot des Berauschens vor dem eigentlichen Gottesdienst. So warfen sie den beiden jungen Männern vor, sie hätten, unmittelbar bevor sie das Heiligtum betraten, zu viel Wein getrunken.
Ein weiterer Vorwurf war die Unbeschwertheit und Arroganz der beiden. So sollen sie sich der göttlichen Gegenwart genähert haben, als ob sie ein Mensch wäre. Ihre Augen wandten sie nicht ehrfürchtig und demütig nach unten, wie Mosche es einst am brennenden Dornbusch getan hatte.
Auch wurde ihnen vorgeworfen, sie hätten sich geweigert zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen und dadurch einen falschen Stolz gezeigt, der sich gegen die Autorität von Mosche und Aharon wandte.
VERTEIDIGUNG Andere Gelehrte versuchten, Nadav und Avihu in Schutz zu nehmen. Sie verwiesen darauf, dass das sogenannte fremde Feuer viermal erwähnt wurde und es jedes Mal die einzige Erklärung für ihren Tod war. Keine andere Sünde hätten sie sich zuschulden kommen lassen.
Obwohl die jungen Männer ein falsches Mittel gewählt haben, um die göttliche Gegenwart anzusprechen, war ihre Absicht doch ehrwürdig. Ihre Strafe zeigt das Ausmaß der hohen geistigen Kompetenz, die sie erreicht hatten. Und so wurde ihr »unreines Feuer« durch ein »göttliches reines Feuer« geheiligt, das aber zur Folge ihren Tod nach sich zog.
Als weitere Erklärungsmöglichkeit haben die Weisen versucht, Nadav und Avihu weder als besonders schuldig noch als besonders schuldlos zu beschreiben – sondern sie seien beide durch eine bedauerliche Unachtsamkeit ums Leben gekommen.
Und als letzte Betrachtungsmöglichkeit haben die Rabbinen eine Heiligung des Ortes erkannt. So gibt es eine seltene Vorstellung im Judentum, dass durch den Tod eines großen Menschen ein Heiligtum geweiht werden kann: »Durch die, die mir nahe sind, will ich geheiligt werden« (3. Buch Mose 10,3). Mosche kam nach dem tragischen Tod von Nadav und Avihu zu seinem Bruder Aharon und sagte, der Ewige habe ihm am Sinai anvertraut, dass das Heiligtum eines Tages durch einen großen Menschen geheiligt werden würde. Mosche ging davon aus, dass er selbst oder sein Bruder Aharon damit gemeint seien. Doch der Ewige hatte zwei andere dazu auserwählt. Nach diesen Worten habe Aharon sich beruhigt und ein wenig Trost gefunden.
TRAGÖDIE Wir sehen, dass im Judentum eine Tragödie unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden kann. Wichtig ist, dass wir immer versuchen, auch aus einer negativen Erzählung etwas Lehrreiches für uns zu ziehen. Die Kommentatoren beleuchten den Umstand des fragwürdigen Todes, und sie suchen einen Ausweg, damit das Vorgehen Gottes, auch wenn sein Ratschluss unergründlich ist, doch irgendwie verständlich wird.
Wir heutigen Leser profitieren von solchen Überlegungen. Vielleicht ist dies der Trost, den wir brauchen, der uns durch die Jahrhunderte und Jahrtausende unserer manchmal nicht ganz so einfachen Geschichte begleitet hat.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).
inhalt
Der Wochenabschnitt Schemini schildert zunächst die Amtseinführung Aharons und seiner Söhne als Priester sowie ihr erstes Opfer. Dann folgt die Vorschrift, dass die Priester, die den Dienst verrichten, weder Wein noch andere berauschende Getränke trinken dürfen. Der Abschnitt listet auf, welche Tiere koscher sind und welche nicht, und er erklärt, wie mit der Verunreinigung durch tote Tiere umzugehen ist.
3. Buch Mose 9,1 – 11,47