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Und wenn ihr in das Land kommt

Das verheißene »Land, in dem Milch und Honig fließen«: die Judäische Wüste in der Regenzeit Foto: Flash 90

Und es soll geschehen, wenn du in das Land kommst, das der Ewige, dein G’tt, dir als Besitz gibt, und du nimmst es ein und wohnst darin» (5. Buch Mose 26,1). Mit dem Einzug in das versprochene Land nähert sich die Wüstenwanderung ihrem Ende. 40 Jahre lang hat das Volk darauf hingelebt. Und nun? Was soll weiter geschehen?

Ihr werdet das Land bebauen, sagt Mosche, und ihr werdet ernten. Dabei sollt ihr nie vergessen, dass ihr eben nicht «schon immer» in diesem Land gelebt habt. Es war ein weiter Weg bis hierher, vom umherwandernden Aramäer, stets in Gefahr und ohne feste Heimat, von den Viehzüchtern, die einst nach Ägypten gingen, über die langen Jahre als versklavte Fremde und schließlich die Befreiung aus der Knechtschaft. Es war ein langer Weg nach Hause.

Noch stehen die Kinder Israels an den Grenzen Kenaans, aber einmal wird es ihr Land sein. Sie werden sesshaft werden, neben der Viehzucht auch Ackerbau betreiben. In Städten und in Dörfern werden sie leben, und auch die Levi’im, die weder säen noch ernten, werden ihr Auskommen haben.

Dankbarkeit Aber niemals sollen die Israeliten vergessen, wie es früher war: «Arami oved avi» (Ein umherwandernder Aramäer war mein Vater). Nicht von ungefähr wiederholen wir jedes Jahr in der Sedernacht genau diese Worte, die einst derjenige sprechen sollte, der seine Erstlingsgaben zum Tempel brachte und dem Priester dort übergab. Die Dankbarkeit wird in Worte gefasst, die nicht die Ernte, sondern das Land meinen.

Mosche ermahnt das Volk: Erinnert euch an die guten Dinge und vergesst auch die schlimmen Dinge nicht. Vor allem aber seid euch dessen bewusst, dass ihr all das nicht aus eigener Kraft erreicht habt, sondern nur durch den Beistand des Ewigen, auch wenn ihr ständig gemurrt und euch beschwert habt. Und noch etwas vergesst niemals: Ihr seid verantwortlich dafür, was in eurem Land geschieht, im Positiven und im Negativen.

Und jetzt beschreibt die Tora ein Ereignis, über das der englische Historiker Dean Milman (1791–1868) sagt: «Niemals hat menschliche Vorstellungskraft eine Szene von solch eindrucksvoller Feierlichkeit erdacht, so geeignet, ein ganzes Volk mit tiefer und nachhaltiger Ehrfurcht zu erfüllen, wie diese abschließende Bekräftigung der Verfassung, die ihm sein sterbender Gesetzgeber (Mosche) auferlegte.»

sinai Nun, eigentlich ist es nicht Mosche, sondern der Ewige, der Seinen Bund mit dem Volk auf diese Weise bekräftigt. Wie sich einst die Geschehnisse um die Gabe des Gesetzes am Sinai den Kindern Israels tief ins Gedächtnis gegraben haben müssen, so tut es gewiss auch dieses Ritual, im wahrsten Sinne des Wortes ein Übergangsritual, am Tag der Überquerung des Jordans.

Zunächst werden zwei große Steine auf dem Berg Ebal aufgerichtet und mit Kalk überzogen. Auf diese wird das Gesetz des Ewigen geschrieben. Sodann werden Segen und Fluch feierlich proklamiert, im Sinne eines offiziellen Vertrags zu jenen Zeiten. Damit wird der Bundesschluss vom Sinai bestätigt, der jetzt mit dem Einzug nach Kenaan in Kraft tritt.

In seinem Kommentar zu Dewarim, dem 5. Buch Mose, beschreibt der ehemalige britische Oberrabbiner Joseph Hertz (1872–1946) diesen denkwürdigen Moment folgendermaßen: «Nach der Überlieferung standen die Leviten auf einem Platz im Tal zwischen Gerisim und Ebal, um die Bundeslade geschart. Sie wandten sich zuerst gen Gerisim, um die Segenssprüche zu verkünden, und alles Volk auf den Bergabhängen antwortete Amen. Dann sprachen sie, zum Ebal gewendet, die Flüche aus, und die Antwort kam auf die gleiche Art.»

Zeremoniell
Eindrucksvoll ist nicht nur das Zeremoniell, höchst eindrücklich sind auch die Worte von Fluch und Segen. Überschwänglichen Segensbekundungen stehen ausgesprochen furchtbare, tief verstörende Fluchandrohungen gegenüber.

Wie ist das zu verstehen? Heißt das, ganz wörtlich, dass alle guten Taten belohnt und alle Übertretungen der Mizwot bestraft werden? Wie würde sich dann aber erklären, dass es bösen Menschen oft so gut geht, während aufrichtige Menschen leiden?

Dieser Gedanke findet sich schon im Buch Hiob, bei Kohelet, in den Psalmen, und bis heute machen wir diese Erfahrung. Manche rabbinischen Auslegungen lösen das Dilemma dadurch, dass sie darin einen Hinweis auf Belohnung und Strafe in der Olam haba, im Jenseits, sehen.

Andere, wie Raschi (1040–1105), verstehen den Abschnitt zu Fluch und Segen eher in einer erzieherischen Absicht, denn «die Erfüllung einer Mizwa führt zur Erfüllung der nächsten, und die Verletzung einer Mizwa führt zur Verletzung der nächsten». Raschis Auslegung ist also durchaus diesseits-bezogen.

Noch weiter geht Abraham Joshua Heschel (1907–1972). Er beschreibt, dass letztlich alles, was wir tun und lassen, Konsequenzen hat und dass die unscheinbarste Tat die größten Folgen nach sich ziehen kann, im Guten wie im Bösen, bewusst oder unbewusst für den, der diese Tat vollbracht oder eben unterlassen hat.

Das ist die Grundlage des Gedankens von Tikkun Olam. Jedem Einzelnen kommt damit eine Verantwortung für das Geschick der Welt zu. Jedes Individuum ist nicht nur für sein eigenes Schicksal verantwortlich, sondern auch für das der Gemeinschaft. Damit unterliegt die Zukunft der Menschheit nicht einem blinden Schicksal, sondern hängt ab von der Entscheidung der Menschen.

Wir werden durch die Litanei von Fluch und Segen nachdrücklich daran erinnert, dass es an uns ist, ob wir und andere ein menschenwürdiges Leben führen können oder ob Menschen auf eine Stufe zurückfallen, auf der sie schlimmer leben und handeln als Tiere.

Und dennoch sollen wir trotz all dieser schrecklichen Androhungen nicht vergessen, dass der Ewige nur Gutes für uns will und dass Sein Gesetz nicht Bedrückung, sondern Befreiung bedeutet und die Befolgung Seiner Mizwot, im Offenen und im Verborgenen, Freude. Mit fröhlichem Herzen sollen wir Seine Gebote befolgen und Seinen Bund bewahren.

Und wenn die versprochenen Segnungen so überaus überschwänglich, die angedrohten Strafen so über die Maßen schrecklich sind, mag uns das vor Augen führen, wie viel höher das Vermögen des Ewigen ist, wie viel größer Seine Macht und Seine Güte, als wir Menschen es uns überhaupt vorstellen können.

Die Autorin ist Rabbinerin der Liberalen Jüdischen Gemeinde Mischkan ha-Tfila Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz.

Inhalt
Paraschat Ki Tawo erzählt davon, dass die Israeliten aus Dankbarkeit für die Ernte und die Befreiung aus der Sklaverei ein Zehntel der Erstlingsfrüchte opfern sollen. Außerdem sollen sie die Gebote Gottes auf großen Steinen ausstellen, damit alle sie sehen können. Danach schildert die Tora Fluchandrohungen gegen bestimmte Vergehen der Leviten. Dem folgt die Aussicht auf Segen, wenn die Mizwot befolgt werden. Zum Abschluss erinnert Mosche die Israeliten daran, dass sie den Bund mit dem Ewigen beachten sollen.
5. Buch Mose 26,1 – 29,8

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