Mit der Tür ins Haus zu fallen, ist nicht besonders schicklich – beim Betreten einer Synagoge schon gar nicht. Der Talmud (Brachot 8a) zitiert Rav Hisda mit den Worten, ein Mensch solle eine Synagoge stets durch zwei Türen betreten.
An gleicher Stelle heißt es, diese Aussage sei unklar, und es wird gefragt, ob Rav Hisda dies wörtlich meinen könnte. Denn was, wenn eine Synagoge nur eine Tür hat? Die Gemara erklärt, Rav Hisda sei so zu verstehen, dass man eine Synagoge in einer Entfernung von zwei Türen betreten soll, bevor das Gebet beginnt.
Zuvor wird Rabbi Aha, der Sohn von Rabbi Hanina, erwähnt, der auf die biblischen Sprüche (8,34) verweist: »Heil dem Menschen, der auf mich hört, zu wachen an meinen Türen Tag für Tag, zu wahren die Pfosten meiner Eingänge.«
Die »Wache Tag für Tag« ist das tägliche Gebet. Da das Wort »Tür« im Plural verwendet wird, lautet eine Deutung auch, die Synagoge, die der Beter täglich aufsucht, brauche mindestens zwei Türen. So werden jüdische Bethäuser häufig mit einem Vorraum gebaut, sodass der Besucher erst durch die eine und dann durch die andere Tür ins Innere gelangt.
Entfernung Aber nochmals zurück zur Entfernungsangabe, die als acht Handbreit verstanden werden kann, die Mindestbreite zweier Türen: Der Beter soll also nicht an der Tür stehen bleiben, sondern in den Raum hineingehen. Zum einen ist dabei Gelegenheit, sich auf das Gebet vorzubereiten, zum anderen lenken dort die Geräusche der Straße nicht mehr so ab. Und wer nicht nahe zur Tür, sondern weiter im Innern Platz nimmt, erweckt auch nicht den Eindruck, sich schnell wieder von der Pflicht des Gebets entfernen zu wollen.
Verschiedene jüdische Gelehrte bieten auch andere Deutungen an: So könnten die beiden Türen ein Hinweis auf »Furcht und Liebe« sein, die erst ein bedeutungsvolles Gebet ermöglichen. Oder es könnten auch Zähne und Lippen gemeint sein, die wir beim Betreten der Synagoge schließen sollten, um nicht in überflüssige Konversation zu verfallen.
Fenster Im Talmud wird übrigens nicht nur die Frage der Türen diskutiert, sondern auch die der Fenster. »Man bete nur in einem Raume, in dem Fenster vorhanden sind«, heißt es in Brachot 31a und 34b im Namen von Rabbi Hija Ben Abba. An gleicher Stelle wird jeweils auch der Prophet Daniel zitiert, der in seinem Haus in Babylon dreimal am Tag auf die Knie fiel und betete: Er hatte »geöffnete Fenster zu Jerusalem« (6,11). Daniel richtete sein Gebet also nach Jerusalem, so wie bis zum heutigen Tag Synagogen nach Osten, also nach Israel und dort in Richtung Jerusalem und in Richtung Tempelberg, ausgerichtet sind.
Doch warum braucht es Fenster im Bethaus? Diese Frage hat Rabbi Abraham Isaac HaKohen Kook, der erste Oberrabbiner des vorstaatlichen Israels, beantwortet: Das Gebet sei zwar eine nach innen gerichtete Aktivität, aber sie sollte uns nicht den Blick darauf nehmen, dass wir auch ein Teil der Welt draußen um uns herum sind. Maimonides, der Rambam, erwähnt in Hilchot Tefilla sogar, dass man die nach Jerusalem ausgerichteten Fenster oder Türen öffnen solle.
Tür auf, Tür zu: Auf jeden Fall, so empfiehlt Rabbi Levi Cooper vom Jerusalemer Pardes Institute of Jewish Studies in einer kurzen Deutung dieser Gemara, sollte man nicht gedankenlos die Synagoge betreten und erst einmal nur nach einem freien Platz Ausschau halten. Vielmehr sollte bedacht werden, dass das Durchschreiten der Türen ein Schritt in Richtung einer Verbindung zu Gott ist. ddk