Im ersten Buch Mose wird von vier Müttern erzählt: Sara, Riwka, Lea und Rachel. Sie haben die Geschichte des Volkes Israel wesentlich geprägt, auch wenn von ihnen nur in der Rolle als Mütter berichtet wird. Ihre Männer werden dagegen als diejenigen beschrieben, die sich in Machtkämpfen behaupten, mit Gott in Verbindung stehen und das Geschick der entstehenden und anwachsenden Familien lenken und leiten. Darüber hinaus haben sie manche spirituelle Prüfung zu bestehen.
Von den Erzmüttern werden uns die Geburten und die Erziehung ihrer Kinder wie auch die Eifersucht zwischen Sara und Hagar sowie Lea und Rachel erzählt. An den biblischen Frauengeschichten wird deutlich: In der damaligen patriarchalischen Gesellschaft mussten die Frauen darum kämpfen, irgendwie zu ihrem Recht zu kommen.
eigenschaften Was können wir von unseren Erzmüttern lernen? Welche ihrer Eigenschaften wären es wert, dass Frauen unserer Zeit ihnen nacheiferten?
Unser Abschnitt beginnt mit der Erzählung von Saras Tod. Auch wenn hier vom Ende ihrer Tage die Rede ist, bietet ihr Lebenslauf reichlich Lehrstoff. Awrahams Frau war davon beseelt, ihrem gemeinsamen Sohn Jizchak das Erbe der göttlichen Verheißung zu sichern. Um seine Position unanfechtbar zu machen, drängte Sara ihren Mann dazu, ihre Magd Hagar und deren Sohn Jischmael in die Wüste zu schicken. Sie hatte als Leihmutter ausgedient, nachdem Sara doch noch ein Kind von Awraham empfangen hatte. Durch die Verstoßung des erstgeborenen Jischmael wollte sie die sich anbahnende Konkurrenz zwischen den beiden Söhnen Awrahams für alle Zeit beenden.
Diese schwierige Familienkonstellation wiederholt sich später in dem Konflikt zwischen den Söhnen Jizchaks, den Zwillingsbrüdern Jakow und Esaw. Hier spielt deren Mutter Riwka die entscheidende Rolle. Auch sie sorgt wie ihre Schwiegermutter Sara dafür, dass der Zweitgeborene, ihr Lieblingssohn Jakow, mit einer von ihr erdachten List den Erstgeburtssegen des Vaters erhält. Wir sehen: Die Mütter hebeln mit Erfolg das traditionelle Familienrecht aus.
GENERATION Eine Generation vorher hatte Awraham wieder die Führung in der Familie übernommen. Er schickte den Knecht Elieser in seine ursprüngliche Heimat. Dort soll er unter der Verwandtschaft eine Frau für Jizchak suchen. Der Erzvater Israels möchte auf diesem Wege die nationale und kulturelle Identität der Familie bewahren.
Doch neben diesem dynastischen Denken des Erzvaters berichtet die Tora von einer anderen, viel wichtigeren Bedeutung der Familie Awrahams und seiner Nachkommen: Es geht um die Dynastie der Erlösung, die durch Awrahams und Saras Geschlecht in der Welt wirken soll. Mit ihr geht Gott seinen Bund ein.
Das Geschlecht Awrahams soll sich von Generation zu Generation im Bund mit Gott der Barmherzigkeit und Menschlichkeit verschreiben. Auf dem Weg von Tikkun Olam (Verbesserung der Welt) soll es die Erlösung der Welt voranbringen. Jede gute Tat, auch die kleinste, wird der Erlösung dienen und am Ende zum Großen und Ganzen zusammengefügt werden.
BRAUTWERBUNG Vor diesem Hintergrund ist es interessant und lehrreich, einen Blick auf das Agieren der genannten Erzmütter Israels zu werfen. Nicht nur einmal werden sie als diejenigen geschildert, die sich mit kleinen Gefälligkeiten ins Geschehen einmischen und auf diese Weise Tikkun Olam üben.
Die Mitte unseres Abschnitts bildet die Erzählung von Eliesers Brautwerbung für Jizchak. Dieses 24. Kapitel des ersten Buches Mose ist das umfangreichste in der ganzen Tora. Über 67 Verse baut der Erzähler Spannung zum Thema Ehevermittlung und Liebe auf. Zudem gibt uns dieses Kapitel Einblick in die damaligen Heiratsgebräuche der Stämme.
Schon zu Beginn der Geschichte ahnen wir ihr Ende, wenn es heißt: »Awraham war alt und hochbetagt, und der Ewige hatte ihn gesegnet mit allem.«
Nach dem Midrasch (Tossafta, Kidduschim 5, 17–20) besagt Awrahams Gesegnetsein »mit allem«, dass ihm eine Tochter geboren wurde. Der mittelalterliche Kommentator Raschi (1040–1105) meint dagegen: Es ist von einem Sohn die Rede, der eine Frau braucht. Und so wird erzählt, wie Elieser an einem Brunnen eine Frau für Jizchak findet. Um erwählt zu werden, muss Riwka einige Prüfungen bestehen. Sie ist nicht nur eine gut aussehende Frau, sondern sie besticht auch durch ihre zuvorkommende und umfangreiche Hilfsbereitschaft gegenüber Elieser und seinen Kamelen. Damit reiht sie sich nahtlos in die Tradition der Gastfreundschaft ein, wie sie von Awraham und Sara geübt wird.
erfolg Bei aller Umsicht, die Elieser bei seiner Suche nach einer Braut für Jizchak walten lässt, erklärt sie seinen Erfolg nicht allein. Durch sein Gebet war er im Pakt mit Gott: »Ewiger, du Gott meines Herrn Awraham, lass es mir heute gelingen und tue Barmherzigkeit an Awraham, meinem Herrn!«
Eine ähnliche Geschichte finden wir im Buch Ruth. Dort heißt es: »Ruth ging hin und las auf, den Schnittern nach, auf dem Feld. Und es traf sich, dass dieses Feld Boas gehörte, der von dem Geschlecht Elimelechs war.«
War es Zufall, dass Ruth ausgerechnet das Feld Boas betrat? Wohl genauso wenig, wie Elieser Riwka am Brunnen traf. Die Tora möchte uns lehren, dass Gottes Hand hier im Spiel war und das Geschehen leitet.
HEIRAT Das verbindende Element in den Geschichten von Riwka und Ruth sind die kleinen Gefälligkeiten, die zur Liebe führen. Ruths Treue versüßt die Bitternis ihrer Schwiegermutter Naomi, rehabilitiert sie im Land Israel und ermöglicht durch ihre Heirat mit Boas die Fortsetzung der Familiendynastie.
Riwkas Gefälligkeiten gegenüber dem Knecht Elieser schaffen die Voraussetzung für die Erlösung Jizchaks aus der Trauer um den Tod seiner Mutter. Ihre Liebe wird die Liebe Jizchaks erwecken. Es dauert nicht lange, nachdem Riwka bei Jizchak eingetroffen ist, dass berichtet wird: »Und Jizchak brachte sie in das Zelt Saras, seiner Mutter, und nahm Riwka, und sie ward seine Frau, und er gewann sie lieb, und Jizchak tröstete sich nach dem Tod seiner Mutter.«
An diesen Beispielen von Ruth und Riwka erkennen wir, dass noch so kleine Gefälligkeiten, Trost und Liebe dazu führen, die Familien in ihrem Fortbestand zu stabilisieren. Es wird eine Tradition von Müttern begründet, die einen wesentlichen Bestandteil zur Erfüllung der göttlichen Verheißung an den Erzvater Awraham und die Erzmutter Sara trägt: »Und Ich werde dich machen zu einem großen Volk und dich segnen und deinen Ruf groß machen; und du sollst ein Segen sein« (1. Buch Mose 12,2).
Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).
inhalt
Der Wochenabschnitt Chaje Sara beginnt mit Saras Tod und dem Kauf der Grabstätte »Mearat Hamachpela« durch Awraham. Dieser Kauf wird sehr ausführlich geschildert. Später beauftragt Awraham den Knecht Elieser, für seinen Sohn eine passende Frau zu suchen. Er findet in Riwka die richtige Partnerin für Jizchak. Auch Awraham bleibt nicht allein: Er heiratet eine Frau namens Ketura. Schließlich stirbt er und wird in der Höhle begraben, in der auch Sara beigesetzt ist.
1. Buch Mose 23,1 – 25,18