»Nein! Das kannst du mir nicht antun!« Trompetenartiges Taschentuchschneuzen und haltloses Schluchzen dringen vom Inneren der Wohnung an mein Ohr, als ich gerade die Tür aufsperre. Warum hat mein Mann Alain den Fernseher so laut aufgedreht? Und seit wann steht er auf Telenovelas? Aber es ist keineswegs eine TV-Schnulze, sondern der Telefonlautsprecher, der den hollywoodreifen Nervenzusammenbruch meiner Schwiegermutter live aus Antwerpen wiedergibt, während mein Göttergatte die Spülmaschine einräumt. Schließlich reißt er entnervt den Hörer ans Ohr: »Okay! Gut, Mama! Du hast gewonnen! Du kannst am Wochenende bei uns wohnen!« Resigniert knallt er den Hörer auf die Gabel und sieht mich stumm an. Das Wochenende, konstatieren wir beide still, ist dann wohl gelaufen.
Sei’s drum, wir sind am Schabbat zu der seit Jahren verschobenen Sztrybel-Steinreich-Verlobung eingeladen, und dieses gesellschaftliche Ereignis werde ich mir von niemandem vermiesen lassen. Auch wenn ich jetzt schon weiß, dass meine Schwiegermutter mich nonstop mit Diät-Tipps bombardieren und meine Post-Zwillings-Schwangerschafts-Figur kritisieren wird. Und ich sehe sie schon, wie sie ihre fies riechenden Lieblingssnacks, japanische Trockenfischcräcker und Algensticks wieder in der ganzen Wohnung verstreut.
Diese Frau ist eine Landplage, und ich freue mich schon, wenn sie am Schabbatmittag mit den Zwillingsbabys das Haus hüten muss, während ich im 5.000-Euro-Buffet des Caterers Serfaty schwelgen und mir literweise Gratis-Minztee reinschütten werde.
samtfummel Der große Moment des Kidduschs rückt heran, Schwiegermama ist mit den Babys zurückgeblieben. Alain und ich atmen die erfrischende Luft der Freiheit. Ich versuche, mir einen guten Tisch in der Nähe des Buffets zu sichern. Da entdecke ich am Haupttisch in der Saalmitte die pummelige Sztrybel-Tochter, die endlich unter die Haube gekommen ist, mit ihrem unverschämt schneidig aussehenden Ehemann, die Brautmutter unterhält sich gerade mit einer Person in einem unförmigen, leicht vermodert wirkenden Samtfummel, der viel zu tief ausgeschnitten ist.
Moment mal! Den Fummel kenne ich doch! Es ist die für Simches reservierte Robe meiner Schwiegermutter, die sich gerade mit Madame Stzrybel ausschütten will vor Lachen. Wutschnaubend pflüge ich durch die Menge der Gäste auf sie zu. »Wo sind die Babys?«, hyperventiliere ich röchelnd in Schwiegermamas Gesicht. Wie sich herausstellt, hat Schwiegermama kurzerhand einen Trupp Teenager, die vor dem Saaleingang auf einer Ledercouch herumlungern, als Babysitter engagiert.
wutanfall Während die jungen Leute hastig größere Mengen Whisky und Rum in sich reinschütten, die irgendein vertrottelter Kellner ihnen hingestellt hat, kugeln die Babys lustig unter dem Couchtisch herum. Es ist Zeit für einen beeindruckenden Wutanfall meinerseits, dem ein nicht weniger beeindruckender Nervenzusammenbruch meiner Schwiegermutter folgt. Hierfür ziehen wir uns diskret auf die Damentoilette zurück.
Und so habe ich dann das gesamte Essen samt Nachtisch versäumt und keine Zeit gehabt, die vorbereiteten Tupperware-Döschen zum Mitnehmen zu befüllen. Zu Hause war natürlich nichts zum Essen vorbereitet, der Kiddusch hätte uns noch am Schabbatabend und Sonntagmittag ernährt! Eines allerdings habe ich an diesem Wochenende hinzugelernt: Trockenfischcräcker und Algensticks schmecken gar nicht so schlecht.