Das zentrale Ereignis dieses Wochenabschnitts ist Jakows Reise nach Ägypten und die dortige Wiedervereinigung mit seinem totgeglaubten Sohn Josef. Als Jakow erfährt, dass Josef lebt und seine Reise nach Ägypten antritt, wird er innerhalb von elf Versen erst zweimal Jakow, dann dreimal Israel und dann viermal erneut Jakow genannt.
Dies veranschaulicht: Auch wenn Jakow schon im früheren Wochenabschnitt Wajischlach den neuen Namen Israel bekommen hat, wird er weiterhin auch mit seinem alten Namen genannt. Warum wird er mit diesen beiden Namen identifiziert, und was bedeuten sie? Welche Bedeutung hat dies für uns, und was können wir daraus lernen?
Im Gegensatz zu Jakows Namensänderung sind andere gʼttlich vorgegebene Namensänderungen definitiv. So wurde aus Sarai zum Beispiel Sara, und aus Awram wurde Awraham. Der Talmud stellt fest: Obwohl Jakow den Namen Israel erhielt, ist es zulässig, ihn weiterhin Jakow zu nennen, da dies auch die Tora tue. Viele klassische Kommentatoren stellen daher klar, dass Jakows Name nicht definitiv in Israel geändert wurde, sondern Israel ist ein zusätzlicher Name.
Werfen wir einen Blick auf beide Namen, um Einblicke in ihre jeweilige Bedeutung zu gewinnen sowie Einsichten aus ihrem parallelen Bestehen. Die Tora schildert Jakows Geburt und Namensgebung wie folgt: »Nachher kam sein Bruder hervor, seine Hände Esaws Ferse haltend, den nannte er Jakow« (1. Buch Mose 25,26).
Das hebräische Wort für Ferse, »Ekew«, bildet die Wurzel des Namens Jakow
Das hebräische Wort für Ferse, »Ekew«, bildet also die Wurzel des Namens Jakow. Dennoch wird die Bedeutung des Namens von unseren Weisen nicht nur auf die Position, in der Jakow geboren wurde, zurückgeführt (die Ferse Esaws haltend), sondern der Name ist sogleich Ausdruck der spirituellen Zusammensetzung sowie der geschichtlichen Mission Jakows.
Basierend auf der Tradition unserer Weisen erklärt Rabbi Shlomo Ephraim Luntschitz (1550–1619), Autor des Kommentars »Kli Jakar«, das Greifen Jakows von Esaws Ferse als Zeichen dafür, dass die Zeit seiner Vorherrschaft erst später gegen Ende seiner Tage kommen wird. Denn so wie sich die Ferse am Ende des Körpers befindet, ist auch die spirituelle Vollkommenheit des Menschen allmählich gegen Ende seiner Tage erreicht. Dies steht im Kontrast zu Esaw, Jakows Bruder, der das Materielle dieser Welt symbolisiert, eine rohe Unmittelbarkeit, die sofort ergriffen wird.
So ähnlich erklärt auch Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) den Namen Jakows als »der Geringere, Schwächere, der unerwartet zuletzt als der Erste dastehen wird«.
Der Name Jakow kann also für den, zumindest aus materieller Sicht, vermeintlich Schwachen stehen, dem doch durch seine geistige Kraft und Entwicklung die wirkliche und beständige Führungsrolle zukommt.
Bereit zum Kampf
Nachdem Jakow in Padan Aram geheiratet und eine Familie gegründet hat, begibt er sich auf den Heimweg. Er schickt Boten aus, um Esaw zu begrüßen, und wird darüber informiert, dass dieser sich nähert und zum Kampf bereit ist.
In der Nacht bleibt Jakow allein, lagert am Fluss, wo Esaws Engel ihm begegnet und mit ihm (im geistigen Kampf) ringt. Jakow überwältigt den Engel und verlangt, dass er ihn segnet, woraufhin der Engel ihm offenbart, dass Jakows neuer Name »Israel« sein soll, weil er erfolgreich Herr über Engel und Menschen ist (1. Buch Mose 32,30). Gʼtt selbst bestätigt später diesen Segen, indem er auch Jakow den Namen Israel verleiht (35,10).
Der Name Israel steht also für die Verwirklichung der spirituellen Größe im Schlachtfeld der geistigen und materiellen Welt. Rabbiner Hirsch schreibt: »Politisch und religiös spricht Esaw: außer mir kein Heil, und erkennt seine Existenz für beeinträchtigt, solange noch außer ihm ein Jakow, solange es außer ihm noch eine Potenz gibt, die es beansprucht, auch zur Gestaltung der Welt in voller Berechtigung zu gehören. Jakow lässt alles rein Menschliche in unangetasteter Berechtigung, ja verkündet allem rein Menschlichen gerade die höchste Bedeutung und Blüte, wenn es den von ihm zu bringenden Geist in sich aufnimmt und zur Verwirklichung hinauslebt« (Kommentar zu 1. Buch Mose 32,29).
Das jüdische Volk wird »Bnei Israel«, Kinder Israels, genannt
Das jüdische Volk wird »Bnei Israel«, Kinder Israels, genannt. Nicht nur sind wir die Nachfahren des Stammvaters Jakows/Israels, sondern wir sind auch die Fackelträger eines Ideals, einer Mission, die es zu verwirklichen gilt. Es ist ein Ideal, das den Triumph der Spiritualität über Materialismus, der Nächstenliebe über Hass und der Gastfreundschaft über Ausgrenzung verlangt. Doch sowohl auf der kollektiven als auch auf individueller Ebene durchleben wir häufig Momente des Schwankens zwischen Aspekten von Jakow und Israel, zwischen den augenscheinlich schwachen, schwierigen Momenten und den Momenten des Erfolges, in denen sich unsere geistigen Ideale in dieser Welt verwirklichen und wir aufrecht stehen.
Auch wenn manchmal Angst oder Zweifel unser Leben zu dominieren scheinen und wir angesichts schwieriger Herausforderungen wenig Hoffnung verspüren oder von außen als schwach betrachtet werden, sind wir im Kern so wie Jakow und Israel zugleich: das spirituelle Werden und das schon verwirklichte Sein, das wir stärken und aufrechterhalten müssen. Angesichts vermeintlich starker destruktiver Kräfte dürfen wir nicht vergessen, dass diese unsere Ideale und das Streben nach ihrer Verwirklichung das eigentlich Beständige sind.
Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.
INHALT
Der Wochenabschnitt Wajigasch erzählt davon, wie Jehuda darum bittet, anstelle seines jüngsten Bruders Benjamin in die Knechtschaft zu gehen. Später gibt sich Josef seinen Brüdern zu erkennen und versöhnt sich mit ihnen. Der Pharao lädt Josefs Familie ein, nach Ägypten zu kommen, um »vom Fett des Landes zu zehren«. Jakow erfährt, dass sein Sohn noch lebt, und zieht nach Ägypten. Der Pharao trifft Jakow und gestattet Josefs Familie, sich in Goschen niederzulassen. Josef vergrößert die Macht des Pharaos, indem er die Bevölkerung mit Korn versorgt.
1. Buch Mose 44,18 – 47,27