Dieser Schabbat fällt noch in die Zeit von Pessach. Er ist der achte Tag des Festes – und wird nur in der Diaspora begangen. Während wir also noch Mazze essen, darf man in Israel schon in ein Brötchen beißen.
Es gibt aber noch weitere Auswirkungen: Während nämlich in der Diaspora an diesem Schabbat der Abschnitt des Festtages gelesen wird, trägt man im Land Israel bereits den regulären Wochenabschnitt »Acharej Mot« vor. Wir hingegen lesen ihn erst kommende Woche. Bis zum 13. August werden die Gemeinden in der Diaspora andere Wochenabschnitte lesen als diejenigen in Israel. Wir hinken bis dahin also einen Abschnitt hinterher.
Regeln Behalten wir diese Hinweise im Hinterkopf und werfen einen Blick auf die Lesung für den achten Tag Pessach an einem Schabbat. Sie ist ein wenig länger als in Jahren, in denen der achte Pessachtag nicht auf einen Schabbat fällt. Beginnt die Lesung sonst mit dem 5. Buch Mose 15,19, steigen wir diesmal schon einige Zeilen früher ein: mit Kapitel 14,22 und den Vorschriften für die Verzehntung von Besitz. Es folgen Regeln für das Ende des Schmittajahres und das Ende der Zeit, zu der Anleihen nicht mehr zurückgefordert werden sollen, Anweisungen zum Umgang mit Armen sowie Gebote zur Auslösung männlichen erstgeborenen Viehs. Es soll keinen Nutzen bringen, sondern gemeinschaftlich verzehrt werden.
Weiter wird das Gebot, Pessach zu feiern, beschrieben – zusammen mit einigen Vorschriften für das Fest: Geschlachtet werden sollen die Opfer nur an einem Ort, den G’tt bestimmen wird. Es folgen Vorschriften für Schawuot und für Sukkot. Geschlossen wird mit der Aufforderung, an den drei Festen nicht ohne Gaben vor G’tt zu erscheinen. Jeder solle so viel geben, wie er kann – abhängig von dem, was er durch den Segen G’ttes erhalten hat.
Rückschau Die Freude des Feiertags ist keine, die man still für sich empfindet, sondern eine, die auch in der Öffentlichkeit stattfindet. Es leuchtet ein, an einem Feiertag diejenige Stelle aus der Tora zu lesen, die uns etwas über diesen Tag berichtet und uns die Vorschriften in Erinnerung ruft.
Doch am achten Tag von Pessach, das nach Ende der Toralesung nur noch wenige Stunden dauern wird, scheint dies ungewöhnlich zu sein. Es wirkt eher wie eine Rückschau als ein Auftrag für die Zukunft. Und trotzdem enthält der Abschnitt, wenn er an diesem Tag gelesen wird, eine weitere Bedeutungsebene, eine, die über die Ge- und Verbote aus den Versen hinausgeht. Es geht hier auch darum, uns an die Gemeinschaft zu erinnern und daran, welche Pflichten wir haben werden, wenn die Feiertage vorüber sind und der Alltag beginnt. Oft hallt die besondere Stimmung der vergangenen Tage noch in uns nach.
Während dieser Zeit bezogen sich viele Details auf den privaten Bereich: Man befreit seinen Haushalt von Chametz, isst tagelang Mazzot und verbringt den Sederabend in der Familie – auch wenn Sederabende in Gemeinden mittlerweile ebenfalls sehr verbreitet sind. Aber üblicherweise gehört dieser Abend eben doch der Familie.
Die Tora sagt uns nun: Tritt einen Schritt zurück. Bevor der Alltag wieder beginnt, denke daran, dass Pessach auch ein Fest des ganzen Volkes ist. Denke an die Aufgaben, die du als Jude hast. Du musst dafür sorgen, dass niemand in deiner Umgebung hungern muss (15, 7–8), und du sollst daran denken, dass die Feiertage auch darin bestehen, etwas in Gemeinschaft zu tun. Jeder opfert (16,17) nach seinem »Vermögen«, aber das gesamte Volk versammelt sich an einem Ort.
Genau dies unterscheidet die Schilderung der drei Feste Pessach, Schawuot und Sukkot von den anderen Erwähnungen des Festes in der Tora. An dieser Stelle (16, 1–7) wird besonders betont, dass bestimmte Dinge nur an einem bestimmten Ort durchgeführt werden sollen.
Da wir heute den Tempel nicht mehr haben, gibt es diesen gemeinsamen Ort leider nicht mehr, aber es bleibt die Erinnerung daran, dass die Wallfahrtsfeste eine Versammlung sein sollen. Im Land Israel endet das Fest, und man verbleibt in einer jüdischen Umgebung. Es ist leicht, sich an bestimmte Vorschriften gegenseitig zu erinnern. In der Diaspora ist das schwieriger.
Wir rücken im Text also auf einer sozialen Ebene zusammen, und auf einer nationalen Ebene werden wir an den Zusammenhalt erinnert. Gerade dann, wenn es zwischen der Diaspora und dem Land Israel in zeitlicher Hinsicht Unterschiede gibt.
Haftara Den Kreis schließt dann die Haftara aus dem Buch Jeschajahu. Diese wurde für Jom Haazmaut, den israelischen Unabhängigkeitstag, ausgesucht – auch das bildet eine Brücke zum Land.
Die Haftara schildert eine bessere Welt. Wir lesen die bekannte Passage vom Wolf, der beim Lamm wohnt. Es wird aber auch geschildert, wie Gerechtigkeit für alle funktioniert: »Und sein Gefallen hat er an der Furcht des Ewigen, und nicht nach seinem Augenschein richtet er, und nicht nach des Ohres Gerücht entscheidet er. Aber er richtet mit Gerechtigkeit die Armen und entscheidet in Geradheit Recht den Niederen im Land« (Jeschajahu 11, 3–4).
An Pessach haben wir gelernt, dass wir diese Welt nicht einfach erwarten dürfen, sondern für sie arbeiten müssen. Mit dem Auszug aus Ägypten erlangte das jüdische Volk körperliche und geistige Freiheit und muss somit auch Verantwortung für sein Tun übernehmen.
Dazu gehören insbesondere die sozialen Regelungen, etwa die, wie mit Armut umzugehen ist. Wir sehen im 5. Buch Mose 15, 7–8, dass dem Armen so viel zusteht, »wie er benötigt«. Das Judentum hat daraus ein ganzes System entwickelt, das der Zedaka, und die Unterstützung derjenigen, die ihr bedürfen, bis ins Detail ausformuliert.
Denn die Realität ist: »Denn nicht aufhören wird es, dass es Bedürftige gibt innerhalb des Landes« (16,11), und die Realität zieht nach den Feiertagen noch spürbarer ein, wenn wir den Blick wieder nach draußen richten.
Der Autor ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen.