Sicherlich bin ich nicht allein mit der Meinung, dass mein Freund Daniel Gordis der beste englischsprachige Autor über das Leben in Israel ist. Wie alle großen Schriftsteller hat er ein Talent, die richtige Anekdote zu finden, die das große Ganze erhellt. In der Geschichte »Der Sturm vor uns« (Jerusalem Post, 28. Mai 2010) zum Beispiel beschreibt er die schreckliche Einsamkeit, die er fühlte, als eine junge amerikanisch-jüdische Frau, Studentin an der konservativen University of Judaism, nach einer Unterrichtsstunde, die zum Gedenken an den ermordeten israelischen Soldaten Nachshon Wachsman abgehalten worden war, fragte: »Und was hat das alles mit uns zu tun?«
Entfremdung Dieser Moment vor beinahe 16 Jahren war für Gordis ein Zeichen für die weitgehende Abkoppelung der jungen amerikanischen Juden von Israel, ja der Entfremdung zwischen beiden. Selbst junge Menschen, die in der jüdischen Gemeinschaft Führungsaufgaben wahrnahmen, sähen »Israel nicht mehr als maßgeblich für jüdische Identität und Volkstum«, beklagt er. Er erinnert sich an den Stolz, der ihn in seiner Jugend erfüllte – und immer noch erfüllt – angesichts der erstaunlichen »kulturellen Renaissance«, die durch Israel möglich wurde. Und er wünscht sich nichts mehr, als dass diese Gefühle von jungen amerikanischen Juden geteilt würden.
Die universalistische Ethik, die den westlichen Diskurs dominiert, lässt jedoch solche Gefühle nicht zu – eine Ethik, die allem, was die Trennung zwischen Menschen oder Völkern stärkt, feindlich gegenübersteht. Noch immer bestimmt Europa den Zeitgeist, und die europäischen Eliten verharren in einem Zustand des Bußetuns für den Holocaust und die Verheerungen zweier Weltkriege. »Für die Büßer«, schreibt Alain Finkielkraut, »ist alles schlecht, was Menschen voneinander unterscheidet, was einen Menschen von einem anderen trennt. Grenzen sind schlecht; Zäune sind schlecht. Das Internet ist gut.« Europa offenbare heute jene »Leidenschaft für Gleichheit«, die Alexis de Tocqueville als grundlegendes Merkmal der Demokratie sah.
Die heikle Situation des Euro, die die Europäische Währungsunion bedroht, hat den wirtschaftlichen Nationalismus wiederbelebt, doch der Umschwung wurde vom Zeitgeist nicht wahrgenommen.
Zeitgeist In der Zwischenzeit stellt sich Israel gegen die Zeitströmung. Der Ideenhistoriker Mark Lilla an der Columbia University formulierte es so: »Einst wurden die Juden verspottet, weil sie keinen Nationalstaat hatten; jetzt werden sie verspottet, weil sie einen haben.« Und der Stolz auf diesen Staat, der auf der Basis ethnischer Identität errichtet wurde, widerspricht al-
lem, was junge jüdische Studenten gelehrt wurde und woran sie glauben.
Selbst die religiösen Rituale, mit denen sie aufwachsen (wenn es überhaupt welche gibt), erziehen sie dazu, sich gegen jegliche Differenzierung zwischen Menschen auszusprechen: zwischen Männern und Frauen; zwischen Kohen, Levi und Yisrael. Diese Trends unter jungen amerikanischen Juden versprechen nichts Gutes für Israel und letztendlich für das amerikanische Judentum selbst, dessen »lebendiges jüdisches Leben« (Gordis’ Worte, nicht meine) der Existenz Israels viel zu verdanken hat – eine Existenz, die durch die schwindende politische Unterstützung der amerikanischen Judenheit zunehmend gefährdet ist.
So sehr Gordis sich wünscht, die amerikanisch-jüdische Jugend möge mehr über Israel wissen, so wenig hat er anzubieten, womit der drohenden Krise, die er so einsichtsvoll identifiziert und analysiert, begegnet werden könnte.
Leistung Israel bietet vieles, auf das man stolz sein kann: das bloße Überleben in einem Meer von Feindschaft; die florierende Volkswirtschaft trotz der Tatsache, dass ein gigantischer Teil der nationalen Ressourcen für die Verteidigung aufgewendet wird; die Aufnahme von Millionen Einwanderern; die Widerstandsfähigkeit seiner Staatsbürger und ihre Einigkeit im Angesicht externer Bedrohung; der Wiederaufbau der durch den Holocaust zerstörten Welt des Toragelehrtentums durch großzügige staatliche Unterstützung.
Doch die amerikanische jüdische Jugend zu bitten, auf diese Leistungen stolz zu sein, ist so, als würde man sie darum bitten, Fans der israelischen Nationalmannschaft zu werden. Sportfans, deren Stimmung in Reaktion auf die Schicksalsschläge ihrer aus angeheuerten ausländischen Gladiatoren bestehenden Lokalmannschaft wild schwankt, haben etwas Lächerliches an sich. Warum sollte die amerikanische jüdische Jugend stolz auf etwas sein, was andere Menschen leisten, die über den halben Globus entfernt leben?
Gefühl Schlimmer noch: Israel ist nicht die Sorte von Mannschaft, die Fans anzieht. Sportfans wollen sich gut fühlen, entweder durch Siege, die das Team stellvertretend für sie erzielt, oder indem sie sich mit liebenswerten Verlierern – etwa den Chicago Cubs im Baseball – identifizieren. Israel gibt den jungen Juden kein gutes Gefühl.
Ganz im Gegenteil: es setzt sie einem tiefen Unbehagen aus. Wenn Israel beschuldigt wird, eine grausame und unmenschliche, durch mutwillige Morde verschlimmerte Blockade des Gazastreifens errichtet zu haben, neigen junge Juden dazu, vor allem davonlaufen, was sie mit Israel, ja mit ihrem Jüdischsein identifizieren könnte.
Je jünger sie sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie diese Meinungen von praktisch all ihren so denkenden Freunden, von denen viele jüdisch sind, zu hören bekommen. Natürlich wird es immer Menschen geben, die ihre Identität in Gegnerschaft zu der in ihrer Umgebung vorherrschenden Meinung ausbilden. Doch die große Mehrheit dieser Studenten ist viel zu konformistisch dafür.
Identität Gebraucht wird etwas viel Grundsätzlicheres als eine gesteigerte ethnische Identität in unserem post-ethnischen Zeitalter. Das Hauptproblem liegt nicht so sehr darin, dass die meisten jungen amerikanischen Juden Israel nicht als maßgeblich für ihre jüdische Identität betrachten, sondern dass sie ihr Jüdischsein nicht als maßgeblich für ihre persönliche Identität betrachten.
Um diesen Trend umzukehren, muss das Gefühl für eine jüdische Auserwähltheit wiederhergestellt werden, das bis vor kurzem die jüdische Geschichte mit Leben erfüllt hat. Man muss den jungen Juden dabei helfen, sich selbst als Teil einer welthistorischen Mission zu sehen, als Glieder einer ungebrochenen Kette, bei der es auf jeden Einzelnen ankommt, damit sie nicht abreißt. Die Weisen lehren: »Es ist nicht an dir, die Aufgabe zu vollenden; noch bist du frei, sie zu unterlassen.« Auserwähltheit bedeutet nicht, sich mit den Leistungen anderer Menschen zu identifizieren, zu denen man kein wirkliches Verhältnis hat, sondern in sich selbst zu erkennen, dass man eine wichtige und unerlässliche Rolle in der Realisierung der Mission spielt, die allen Juden gemeinsam ist.
Kein orthodoxer Jude (außer einer Handvoll öffentlichkeitshungriger Verrückter), nicht einmal der frömmste antizionistische Satmar-Chassid in Williamsburg, hätte die Frage stellen können: »Was hat der Tod von Nachshon Wachsman mit mir zu tun?« Orthodoxe Juden sind, wie alle Menschen, tief getroffen, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Doch sie fühlen sich jedem einzelnen Juden verbunden, und den Verlust eines jeden von ihnen erleben sie als Schwächung ihrer selbst.
Überleben Ja, die jüdische Auserwähltheit ist dem Zeitgeist diametral entgegengesetzt. Der jüdische Romanschriftsteller Michael Chabon hat kürzlich in der New York Times gezeigt, welche Wut der Begriff der Auserwähltheit auslösen kann. Voller Häme nahm Chabon das Desaster der Gaza-Flottille zum Anlass, zu beweisen, dass Juden so dumm wie alle anderen Menschen sind. Und daher, so argumentierte er, kann »das Überleben der Juden über Jahrtausende trotz Hass, Krieg, Verfolgung, Intoleranz und Völkermord … nicht irgendeiner besonderer Eigenschaft oder irgendeinem besonderen Verhalten«, sondern nur dem »Glück« zugeschrieben werden.
Juden haben jedoch ihr Überleben nie auf ihr überreichliches »Sechel« zurückgeführt, sondern auf die Tatsache, dass Gott sie auserkoren hat, Sein Volk zu sein und dass Er die Juden erhalten hat trotz aller Widrigkeiten, als einsames Schaf unter 70 Wölfen. Wir wurden auserkoren, das Volk zu werden, durch das Er Sich der Menschheit offenbart – Beispiele von Heiligkeit und eines zielgerichteten Lebens in einer Welt, die in zunehmendem Maße leugnet, dass es diese Dinge gibt. Und jeder Jude ist potenziell Teil dieser Mission.