Über die Kopfbedeckung der Männer ist in der halachischen, also der religionsgesetzlichen Literatur im Laufe der Jahrhunderte immer wieder geschrieben worden. Rabbiner Arje David Wasserman, der aus Nordamerika stammt und heute in Jerusalem lebt, hat sich die keineswegs leichte Aufgabe gestellt, diverse Erörterungen zu diesem Thema in einer Monografie zusammenfassend darzustellen.
Der Autor, der sich sowohl als Rechtsanwalt als auch als Halacha-Lehrer einen Namen gemacht hat, hat enorm viel Material gesammelt und leserfreundlich aufbereitet. Entstanden ist ein beeindruckendes hebräisches Werk, das rund 1500 Seiten umfasst. Erwähnenswert ist, dass in beiden Bänden von Ozar Hakippa sieben Empfehlungsschreiben (hebräisch: Haskamot) angesehener Toralehrer abgedruckt sind.
toradiskussionen Von der solide gearbeiteten Studie, die Wasserman im Selbstverlag veröffentlicht hat, kann ohne Zweifel jeder profitieren, der an tiefschürfenden Toradiskussionen interessiert ist. Der Verfasser bespricht eine Vielzahl praktischer Fragen. Darf man ohne Kopfbedeckung Tora studieren? Ist Amen-Sagen nach einem Segensspruch ohne Kippa erlaubt? Was ist zu tun, wenn ein Mann unabsichtlich ohne Käppchen gebetet hat? Wie soll man sich im Schwimmbad oder am Meeresstrand verhalten? Wann ist ein Jude verpflichtet, seine Kopfbedeckung abzulegen, um eine Entweihung des göttlichen Namens (hebräisch: Chillul Haschem) zu vermeiden?
In Streitfragen referiert der Verfasser die Argumente beider Seiten in der gebotenen Ausführlichkeit. Wasserman erweist sich als kenntnisreicher Lehrer, der komplizierte Sachverhalte scheinbar mühelos verdeutlichen kann.
barhäuptigkeit Ein halbes Dutzend halachischer Gutachten zum Themenbereich der vorliegenden Monografie sind im Wortlaut abgedruckt. Zu Responsa des bekannten italienischen Rabbiners Leon Modena (1571–1648) hat Wassermann eine informative Einleitung sowie erläuternde Anmerkungen verfasst. Auch den türkischen Rabbiner Elieser Nachum (1763–1844) stellt er ausführlich vor, dessen Responsum über Barhäuptigkeit in einem öffentlichen Badehaus hier zum ersten Mal im Druck erscheint.
Der Autor geht jedoch nicht nur auf halachische Fragen ein. Er bespricht zum Beispiel auch etliche Deutungen, die das Kippa-Tragen erfahren hat. So wird im Babylonischen Talmud (Schabbat 156b) berichtet, die Mutter von Rabbi Nachman Ben Yizhak habe zu ihrem Sohn gesagt: »Bedecke dein Haupt, damit du Gottesfurcht habest!« Wasserman zieht aus dieser Anweisung den Schluss, dass der, der eine Kopfbedeckung trägt, dadurch ein positives Gebot (Mizwa) der Tora erfüllt, nämlich das immerwährende Gebot der Gottesfurcht (siehe 5. Buch Mose 6,13 und 10,20). Umgekehrt kann man natürlich feststellen, dass jemand, der ohne Käppchen spazieren geht, die Mizwa, den Ewigen stets zu fürchten, nicht berücksichtigt.
morgengebet In seinem Buch Symbole des Judentums (Wien 1995) schreibt Rabbiner Marc-Alain Ouaknin: »Der genaue Sinn der Kippa ist nicht bekannt, sie ist vielleicht ein Zeichen des Menschen für seine Beziehung zu Gott.« Warum heißt es in diesem Satz »vielleicht«? Wir erwähnen diesen Sachverhalt doch jeden Tag im Morgengebet, wenn wir im Hinblick auf die Kopfbedeckung sagen: »Gesegnet seiest Du, Ewiger, der Israel mit Würde krönt.« So wichtig ist die Kopfbedeckung als Symbol jüdischer Frömmigkeit, dass ihr ein eigener Segensspruch im Morgengebet gewidmet wurde. Der Verfasser geht auch auf die Frage ein, warum es üblich ist, dass Frauen diesen Segensspruch ebenfalls sagen.
Gegen Wassermans Monografie wird möglicherweise ein Einwand erhoben werden, den schon manche Wissenschaftler zu hören bekamen, die eine an sie gestellte Frage beantwortet haben: »So genau wollten wir die Sache nicht wissen!« Gewiss, nicht jeder möchte alle Feinheiten eines Problems erfassen, aber es ist doch sinnvoll, dass ein Thema einmal von allen Seiten beleuchtet wird. Dass er sich hätte kürzer fassen können, braucht man Wasserman im Übrigen nicht vorzuhalten. In seinem 2009 erschienenen hebräischen Buch Hegjone Haparascha: Schemot hat er das Thema der männlichen Kopfbedeckung auf weniger als 100 Seiten abgehandelt! Natürlich ist die zweibändige Monografie wesentlich inhaltsreicher. Jeder Tora Lernende kann also entscheiden, welches Format ihm persönlich mehr zusagt.
Rabbiner Arje David Wasserman: »Ozar Hakippa« (hebräisch), zwei Bände, Jerusalem 2014, 1507 S., 28,75 $