Vorbild

Supertypen

Ein Baum bezieht von der Erde nur das, was er selbst zum Überleben braucht. Nicht mehr und nicht weniger. Foto: imago

Der 15. Tag des hebräischen Kalendermonats Schewat verkörpert im Judentum das Neujahrsfest der Bäume. Ich persönlich liebe die Natur und somit natürlich auch Bäume. In meinen Landwirtschaftsstudien an der Universität Maryland habe ich mich daher auch vorwiegend mit der Entwicklung der laubwechselnden Obstgärten und der Forstwirtschaft befasst. Das Wissen, das ich mir damals aneignete, setzte ich dann – mit Gottes Hilfe – bei meiner Rückkehr ins Heilige Land hervorragend ein.

Meiner einstündigen Hitbodedut, also dem persönlichen Gespräch mit Gott in der Einsamkeit, fern von allem Trubel und der Hektik, komme ich vor allem in dichten Waldstücken voller prächtiger Bäume nach.

Das ist nichts Außergewöhnliches, da es laut der Perek Schira (Lied der Schöpfung) heißt, dass die Bäume sich andauernd damit beschäftigen, Gott zu preisen und zu bejubeln. Rabbi Nachman aus Breslev schreibt diesbezüglich in seinem Buch Likutey Moharan, dass es für jeden Menschen sehr ratsam sei, der Hitbodedut in der freien Natur nachzukommen, da sich die Bäume unseren Gebeten anschließen.

Dem einen oder anderen scheint es vielleicht doch etwas merkwürdig, den Bäumen ein Neujahrsfest zu widmen. In der Tora heißt es dazu wörtlich: »Der Mensch ist wie ein Baum des Feldes« (5. Buch Moses 20,19). Da es in der Tora keinen einzigen überflüssigen beziehungsweise nichtssagenden Buchstaben oder Satz gibt, wollte uns Gott damit etwas mit auf den Weg geben. Um herauszufinden, was das ist, hier nachfolgend zehn wichtige Fakten dazu.

Heiligkeit Bäume haben fast immer einen positiven Einfluss auf ihre Umgebung. Sie geben schützenden und wohltuenden Schatten, Früchte, Holz, und sie dienen als Schutz und Wohnstätte für Vögel und andere Tiere. Des Weiteren belüften sie den Boden, verhindern Erosionen, dienen als isolierender Lärmschutz und noch vieles mehr. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Bäume charakterlich als Gebertyp einzustufen sind. Ein Baum schenkt, strahlt aus und gibt. Und da alle diese Dinge der Heiligkeit zugeordnet werden, gelten Bäume im Judentum als heilig.

Ein Baum bezieht von der Erde nur das, was er selbst – und damit für seine Früchte, die er uns gibt – wirklich zum Überleben braucht. Beispielsweise notwendige Mineralstoffe, Feuchtigkeit vom Boden, Sonnenlicht, Sauerstoff. Nicht mehr und nicht weniger.

Bäume verhalten sich anderen gegenüber vorbildlich, völlig unabhängig ob es sich dabei um ein gutes oder schlechtes Lebewesen handelt. So stellen sie den Bienen für ihre Honigherstellung den notwendigen Platz zur Verfügung. Wenn ein Baum von einem Parasiten befallen wird, leidet er, tut aber nichts, um den Schädling zu bestrafen. Im Gegenteil, er hofft auf eine positive Wendung.

Lebenskraft Je tiefer die Wurzeln eines Baumes in den Untergrund des Bodens eindringen, desto mehr Lebenskraft besitzt er. Hier bietet sich der Vergleich an: Je tiefer ein Mensch mit seinen eigenen Wurzeln verbunden ist, desto mehr Lebenskraft besitzt er. Je breiter sich die Wurzeln eines Baumes ausbreiten, desto besser ist er verankert. Ein Mensch hat in seinem Leben ebenfalls die Möglichkeit, sich rettenden Halt zu suchen. Das Gebet kann dabei als Anker dienen.

Die Heilungstherapie eines kranken Baumes besteht darin, dass seine Äste zurechtgeschnitten werden, so dass er sich wieder erneuern kann. Dasselbe gilt auch für uns.

Wenn ein Mensch im Leben vorankommen möchte, dann muss er von seiner Umwelt geliebt werden. Ein charakterloser Mensch wird in der Regel von den meisten Mitmenschen gemieden oder sogar gehasst. Daher sollte jeder versuchen, seine Persönlichkeit so zu formen, dass am Ende kein schlechter Charakterzug mehr zu erkennen ist. Des Weiteren ist es für ein gesundes Wachstum eines Menschen dringend erforderlich, sein Ego stets zu überprüfen und alle stress- und leidbringenden Charakterzüge wenigstens zu reduzieren, wie zum Beispiel Wutausbrüche oder Selbstmitleid.

Gesetz Aus halachischer Sicht ist es verboten die Früchte eines neugepflanzten Baumes während der ersten drei Jahre zu ernten. Der Grund dafür ist, dass einem Baum dadurch eine längere Lebenszeit eingeräumt wird, und die Früchte erhalten so auch eine bessere Qualität.

Auch ein Mensch sollte sich daran ein Beispiel nehmen und um jeden Preis vermeiden, die Gesetze der Tora zu überschreiten. Stattdessen sollte er sich auf dem von der Tora angegebenen Weg halten. Für einen Nichtjuden gilt dabei, dass er die für ihn verbindlichen Gesetze Gottes einhalten sollte.

Wasser Das wichtigste Mittel zum Überleben entnimmt ein Baum dem Wasser. Ohne Wasser kann ein Baum weder wunderschöne Früchte tragen noch existieren. Unsere Weisen lehren uns: »Wasser ist Tora!« Demnach kann ein Mensch ohne die Einhaltung und Lebensführung der göttlichen Rechtsleitlinien nicht wirklich sein Leben voll ausschöpfen. Denn solange ein Mensch Gott nicht zum Mittelpunkt seines Lebens macht, ist es alles andere, nur eben nicht ein wahres Leben. Ein Leben ohne Gott wird in der Regel von Stress, Angst, Sorgen, Traurigkeit, Verzweiflung, Wut, Zorn oder emotionalen Erkrankungen und dergleichen geprägt.

Jeder Baum ist ein Individuum. Jeder bringt eine besondere Frucht zum Vorschein. Ob Äpfel, Birnen oder Pfirsiche. Jede dieser Baumsorten ist wichtig und notwendig für uns und die Welt.

Dasselbe gilt auch für uns Menschen. Die einen sind Soldaten, andere Toragelehrte, wiederum andere Tagelöhner, Fachleute. Auch hier sind die Vielfalt und die unterschiedlichen Bereiche wichtig und notwendig für uns und die Welt.

Gewinner Bäume sind geborene Gewinnertypen, da sie niemals – und egal warum auch immer – verzweifeln oder resignieren. Wenn ein Baum beispielsweise gefällt wird, und dabei nur ein wenig seiner Wurzeln im Untergrund unversehrt bleiben, beginnt er wieder von vorn und versucht, sich hochzuarbeiten. Und zwar solange, bis er wieder ein großer, prächtiger und fruchtgebender Baum wird.

Wenn das bei Bäumen so ist, dann sollte es bei uns Menschen erst recht so sein! Ein Mensch darf nicht wegen irgendwelcher Dinge verzweifeln, die ihm geschehen. Solange wir uns an unseren Wurzeln festhalten – egal in welcher Tragödie wir uns auch gerade befinden –, wir müssen versuchen voller Mut und Ehrgeiz wieder hoch hinauf zu steigen.

König David beschrieb diese Lebensart im 92. Psalm (Vers 3): »Der Gerechte wird sprießen wie ein Palmbaum, er wird wachsen wie eine Zeder auf dem Libanon«.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von www.breslev.co.il

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