Sie haben unseren Propheten beleidigt»: Bilder von wütenden Muslimen, die sich durch eine Mohammed-Karikatur – diesmal auf dem Titel der Zeitschrift «Charlie Hebdo» – verletzt fühlen, gehen in diesen Tagen wieder um die Welt. Dass sich Menschen durch Karikaturen verletzt fühlen, kann ich nachvollziehen – nicht aber, dass deswegen andere Menschen verletzt oder ermordet werden.
Im Talmud steht: «Wer einen Menschen tötet, der tötet eine ganze Welt.» Satire, das möchte ich zum Mord an den französischen Journalisten und Zeichnern von Charlie Hebdo sagen, ist keine G’tteslästerung – Mord schon.
Was darf Satire? Darauf kann man keine allgemeingültige Antwort geben. Es gibt Religionsgemeinschaften und Gegenden, in denen Satire und Humor eine große Tradition haben. Dort werden sie viel eher geduldet als in anderen Gemeinschaften oder Regionen, die weniger auf Satire und Humor eingestellt sind.
Geisteshaltung Die konkrete Satire, über die seit zwei Wochen die gesamte Welt spricht, ist in Frankreich für die Mehrheit der französischen Bürger in deren Geisteshaltung entstanden – nicht primär für Muslime.
Und für diejenigen Muslime, die französische Bürger sind, gilt entsprechend wie für uns Juden der Grundsatz: «Dina De Malchuta Dina», das Gesetz und die Gepflogenheiten der Herrschaft des Landes haben für alle Bürger vorrangige Gültigkeit.
In jüdischen Kulturkreisen in aller Welt ist der Umgang mit Humor und Ironie, sogar G’tt betreffend, ein völlig anderer als im Islam. Bereits in der biblischen Überlieferung gab es Formen und Ursprünge von Humor, sogenannte Textkarikaturen. Später setzte sich diese Tradition in der Parodie von Talmudtraktaten, insbesondere in den sogenannten Purimspielen, fort.
götzenbilder Prinzipiell ist der Umgang von Juden und Muslimen mit Bildern völlig unterschiedlich. Im Islam ist nicht die Darstellung G’ttes verpönt, sondern die des Propheten Mohammed. Im Judentum ist es dagegen verboten, sich ein Bild von G’tt zu machen. Das Verbot von Götzenbildern ist im 2. Buch Mose 20,4 festgehalten: «Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.»
Bei den Götzenverboten in der Bibel geht es allerdings darum, Bilder oder Figuren nicht für deren Anbetung zu gebrauchen.
«Damit ihr euch nicht von eurem Herzen noch von euren Augen verführen lasst», heißt es im 4. Buch Mose 15,39. Thema sind die Schaufäden an den Kleidern, die Zizit. Sie sollen verhindern, dass der Mensch sich Götzen zuwendet und vom rechten Weg abkommt.
Freier Wille Der Mensch besitzt den freien Willen, das Gute und das Richtige zu wählen und die Kontrolle darüber. Für sein Handeln ist er allein verantwortlich und kann nicht andere dafür in die Pflicht nehmen.
Zum Thema Satire kann es nicht die eine jüdische Meinung geben. Es gibt so viele Meinungen, wie es Juden auf der Welt gibt. Jeder wird etwas anderes als g’tteslästerlich oder als beleidigend empfinden.
Die «Stuttgarter Zeitung» hat unlängst eine Karikatur von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu veröffentlicht, der auf einer Bank sitzt und eine Friedenstaube vergiftet. Ich fand das wenig humorvoll, ich fand es geistlos und verlogen. Aber es war meiner Meinung nach kein Anlass zu großer Aufregung. Auch wir Juden müssen mit Karikaturen leben, die uns nicht gefallen, sie ertragen – und zwar täglich, solange es sich nicht um Karikaturen von Stereotypen auf Stürmer-Niveau handelt.
Mordaufrufe Womit wir nicht leben können, ist, wenn zum Mord an Juden aufgerufen wird. Bei palwatch.org (Palestinian Media Watch, ein 1996 gegründetes israelisches Institut, das palästinensische Medien und Schulbücher beobachtet) habe ich einen Clip mit Tipps gefunden, wie man betende Juden ersticht, mit dem Hinweis: «Eröffne das Feuer und kenne keine Gnade!» Die Aufforderung, Juden zu töten, ist in den Augen dieser Islamisten offenbar keine Beleidigung.
In den vergangenen Tagen ist die Diskussion über das Verbot der G’tteslästerung, das 1969 abgeschafft wurde, wieder aufgeflammt. Einige Muslime haben sich für eine Verschärfung des bestehenden Gesetzes ausgesprochen.
Strafgesetzbuch Derzeit wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Diese Vorschrift des Strafgesetzbuches schützt aber nicht die G’ttheit selbst oder religiöse Gefühle, sondern den öffentlichen Frieden.
Schon vor einiger Zeit hat der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick gefordert, Blasphemie wieder zu verbieten: «Wer die Seele der Gläubigen mit Spott und Hohn verletzt, der muss in die Schranken gewiesen und gegebenenfalls auch bestraft werden.» Das ist in meinen Augen ein starkes Stück. Der Erzbischof sollte sich lieber in den eigenen Kirchen umsehen. Noch heute kann man sich darüber wundern, welche judenfeindlichen, Juden verpönende Bilder, Skulpturen und Reliefs in Kirchen zu sehen sind.
demütigung Das bekannteste davon ist die «Judensau» in vielen Domen, so in Regensburg, Bamberg und Köln und in etwa 30 anderen Kirchen allein in Deutschland. Sie sollte Juden verhöhnen, ausgrenzen und demütigen. Wir mussten solche Darstellungen jahrhundertelang erdulden – und wir haben sie ertragen bis in die heutige Zeit.
Ein Verbot der Blasphemie halte ich nicht für sinnvoll. Denn sie wird das Problem nicht lösen können. Weiterhin wird ständig darüber diskutiert werden, ob diese oder jene Zeichnung oder Karikatur schon Blasphemie ist. Und kein Gericht der Welt wäre in der Lage, die Protest- und Prozesswellen zu bewältigen.
Der Autor war Landesrabbiner der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs.