PRO – Rabbinerin Ulrike Offenberg plädiert dafür, den Namen der Quelle des Lebens zu gendern
Warum eigentlich nicht? Laut dem Wikipedia-Eintrag zum Gendersternchen dient der Asterisk der »Vermeidung von generischen Maskulinformen (…). Im Singular kann auch eine Person bezeichnet werden, die nicht männlich oder weiblich ist.«
Es erweitert unser Bewusstsein davon, dass G*tt kein Geschlecht und keine menschliche Gestalt hat. Oder wie der Theologe Jürgen Ebach sagte: »Wir haben schon gelernt, dass G*tt kein Mensch ist. Nun müssen wir noch lernen, dass G*tt kein Mann ist.« Das ist gar nicht so einfach, denn unsere Bilder von G*tt sind männlich geprägt. Das hat weniger mit einer theologischen Aussage über G*ttes Geschlecht zu tun, sondern mit den Gesetzen von Sprache, also mit Grammatik, und auch mit gesellschaftlichen Hierarchien. Der vierbuchstabige Gottesname (Tetragramm) gibt keinen Hinweis auf G*ttes Geschlecht.
TETRAGRAMM Aber durch die hebräische Sprache, die im Wesentlichen nur maskuline und feminine Wortformen kennt, wird alle Rede von G*tt männlich. Alle mit dem unaussprechlichen Tetragramm in Verbindung stehenden Verben und Adjektive erscheinen in der maskulinen Form. Und auch die deutschen Bibelübersetzungen wählten männliche Wiedergaben: »Der Ewige« (Mendelssohn, Zunz und andere), »HERR« (Luther), »ER« (Buber-Rosenzweig).
Gottesbilder sind auch ein Spiegel unserer menschlichen Gesellschaftsordnung. Die Anrede von Gott als »König«, »Herr«, »Vater« verdeutlicht, welchem Geschlecht die Führungsposition zugeschrieben wird. Wenn in einer patriarchalen Hierarchie der Mann über der Frau steht, kann auch Gott nicht als weiblicher Charakter gedacht werden.
Die umgekehrte Anrede als »Königin« oder »Herrin« (hier hat auch die deutsche Sprache ein Problem, denn sie hat kein Wort für einen solchen Rang einer Frau, der nicht vom Mann abgeleitet ist) funktioniert eben nicht, weil sie nicht mit der gleichwertigen Vorstellung von Autorität daherkommt.
MÜTTERLICHKEIT Die wenigen Verse, wo von G*tt in Bildern von Mütterlichkeit geredet wird (Jeschajahu 49,15 oder 66,13), sind eher die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Es nimmt also nicht wunder, dass die zwar nicht in jüdischer, aber in christlicher Kunst häufige Darstellung von Gott als älterem bärtigen Mann, der vom Himmel auf uns niederschaut, unbewusst auch in unseren Köpfen präsent ist.
Durch die hebräische Sprache wird alle Rede von G*tt männlich.
Was also tun mit der Allgegenwart männlicher Gottesbilder? In traditionellen Kreisen ist die Schreibweise »G’tt« üblich geworden, um unsere Vorstellungen von Gott nicht in Alltäglichkeit abrutschen zu lassen. Warum ist G’tt akzeptabel, G*tt aber nicht? Dem Einwand, dass das Gendersternchen sich auf Fragen des biologischen oder sozialen Geschlechts von Menschen bezieht, also eigentlich nicht für unser Denken von G*tt gemacht ist, wäre die Frage entgegenzuhalten, welche Lösungen denn sonst anstelle der Vermännlichung G*ttes gesucht und gefunden werden. Wir könnten lernen, neu mit dem Gottesnamen umzugehen.
In manchen englischen Übersetzungen der Tora wird das Tetragramm einfach in hebräischen Buchstaben übernommen – wer den Text (vor-)liest, muss also erst einmal innehalten und stets neu entscheiden, welche Bezeichnung die Bedeutung der Stelle am angemessensten wiedergibt. Einen ähnlichen typografischen Verfremdungseffekt kennen wir ja auch vom »’’« in Gebetbüchern. Aber vor allem sollten wir uns überlegen, wie wir G*tt ansprechen und von G*tt reden wollen. Eben nicht durch eine Genderisierung in die andere Richtung, also als »Göttin«, sondern durch eine Erweiterung unserer Gottesbilder.
SEGENSSPRÜCHE Wer sich an der Standardbezeichnung von G*tt als »König der Welt« in den Segenssprüchen stößt, könnte diese Männlichkeit und Herrschaft symbolisierende Bezeichnung auch mitunter ersetzen durch »Quelle des Lebens«, »Licht der Welt«, »Ursprung des Segens«, »lebensspendende Kraft«, »Tröstung« oder andere Bilder. Zumindest im individuellen Gebet funktioniert das und weitet dabei unseren Blick auf die vielen Facetten G*ttes.
Wir sind nicht die Ersten, die der Vielgestalt unserer Bilder von G*tt auf diese Weise Ausdruck verleihen – die jüdische Tradition kennt Hunderte von Gottesnamen. Wichtig ist vor allem, dass wir überhaupt mit dieser unaussprechlichen und sich allen Beschreibungen entziehenden Quelle und Kraft unseres Lebens in eine Beziehung treten. Also, wenn schon G’tt, dann G*tt.
Die Autorin ist Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde Hameln.
CONTRA – Daniel Neumann warnt vor Sprachverwirrung. Sein Argument: Der Ewige hat kein Geschlecht
Wenn man der biblischen Erzählung glaubt, machte sich G’tt (nicht gegendert, sondern lediglich einer Marotte folgend nicht voll ausgeschrieben) vor langer Zeit daran, die Sprache der Menschen zu verwirren. Und aus der einstmals gemeinsamen und allseits verstandenen Sprache wurde fortan Gebabbel. Und keiner verstand die Sprache des anderen mehr (1. Buch Mose, Kapitel 11).
Diese Erzählung wirft ihre Schatten bis in die heutige Zeit. Denn ob durch Sterne, Doppelpunkte oder Unterstriche, die Sprachverwirrung treibt immer seltsamere Blüten. Und über allem steht das noble Ziel, Gerechtigkeit und Minderheitenschutz durch Sprache zu schaffen. Dabei ist der Weg in die Hölle ja bekanntlich mit guten Absichten gepflastert. Jedenfalls ist der letzte Schrei die Idee, Gott einen Genderstern zu verpassen.
MYSTERIUM Also G*tt oder Gott*? Gott behüte! Dabei ist die Idee auf den ersten Blick doch recht charmant. Schließlich haben Generationen von Schriftgelehrten, Theologen und Philosophen unzählige Stunden damit zugebracht, das wahre Wesen des Ewigen zu ergründen, ohne das »Mysterium tremendum« letztlich zu erfassen. Wie auch – denn wenn Gott erklärbar, begreifbar, verstehbar wäre, wäre er nicht mehr Gott. Also jene Existenz, die allen Beschreibungen spottet und dennoch nicht ohne dieselben auskommt.
Ein Widerspruch in sich, der nun einmal nicht zufriedenstellend lösbar ist. Es sei denn, man geht das Thema wie das sechsjährige Mädchen an, das im Kunstunterricht von seiner Lehrerin gefragt wird, was sie denn male. »Ich male Gott«, erwidert es, woraufhin die Lehrerin milde lächelnd erklärt: »Das ist unmöglich! Niemand weiß, wie Gott aussieht.« Da sagt das Mädchen: »In fünf Minuten wissen Sie es!«
Wie dem auch sei: Auch heute noch gilt der Satz, den Josef Albo in seinem Buch der Glaubensgrundsätze (Sefer Ha’ikkarim) schrieb: »Wenn ich ihn kennen würde, wäre ich er!« Manch einer grätscht hier allerdings hinein und meint, dass genau dies doch der Grund dafür sei, weshalb Gott einen Stern verdiene.
geschlecht Gerade weil Gott kein Geschlecht habe und im Schlepptau patriarchaler Herrschaftssysteme Karriere gemacht habe, müsse endlich Schluss sein mit der männlichen Eintönigkeit. Vielmehr brauche es die in Schriftzeichen gegossene Vielfalt Gottes. Also den Stern. Und damit ein Zeichen, das alles in sich vereint, was nicht binär ist. Nicht Mann und nicht Frau.
Gott ist nicht transgender oder pangender oder genderfluid.
Was daran stimmt, ist Folgendes: Selbst wenn Gott im Tanach, der Hebräischen Bibel, auch in weiblichen Begriffen erscheint, dominieren männliche Ausdrucksformen. Unser König, unser Vater, unser Herr und so weiter. Wäre es dann aber nicht folgerichtig, dieses Ungleichgewicht durch ein Zeichen zu heilen, in dem sich alles und nichts wiederfindet? Welches das binäre System aufbricht und die Zwischentöne sichtbar macht?
IDENTITÄT Nein! Ganz im Gegenteil. Denn der Genderstern steht zwar für die Auflösung der Geschlechterteilung, also für das Ende des dualen Systems, aber er steht immer noch für eine Form von geschlechtlicher Identität. Und damit ist rein gar nichts gewonnen. Anders ausgedrückt: Es gibt aus genderideologischer Sicht nicht nur zwei Geschlechter, nämlich Mann und Frau – wie es uns Biologie und Wissenschaft seit jeher lehren –, sondern es gibt ganz, ganz viele Geschlechtsidentitäten.
Und im Grunde kann jeder sein, was er will. Wenn er, sie, es oder * es nur will. »Abrakadabra«, wie es im Aramäischen heißt, »ich werde sein wie gesprochen«. Unabhängig vom biologischen Geschlecht. Das nennt man dann Geschlechtervielfalt oder Gendervielfalt oder so. Und übertragen auf Gott passt das doch wie die Faust aufs Auge, oder etwa nicht?
Nochmal nein! Denn Gott hat eben kein Geschlecht. Er ist nicht männlich und nicht weiblich und nichts dazwischen oder darüber hinaus. Er ist auch nicht transgender oder pangender und auch nicht genderfluid oder genderqueer. Stattdessen ist er nicht durch diese Begriffskreationen beschreibbar, nicht durch Genderideologien erfassbar, nicht durch Identitätssterne definierbar. Sondern er ist einfach! Nicht mehr und nicht weniger.
bindung Wenn das aber so ist, weshalb wird ER dann meist als ER beschrieben und nicht als Sie oder Es? Erstens: weil ER uns seit jeher vertraut ist und SIE uns nur ablenken würde, während man zu einem ES keine Bindung, keine Beziehung, kein Vertrauen aufbauen kann.
Zweitens: weil wir sehr zurückhaltend sind, wenn es darum geht, bewährte Traditionen über Bord zu werfen. Oder wie der englische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton es ausdrückte: »Tradition bedeutet, unseren Vorfahren eine Stimme zu geben. Es ist die Demokratie der Toten.«
Und drittens: weil ein männlich dargestellter Gott noch am ehesten geeignet ist, um uns Männern die weiblichen Eigenschaften Gottes nahezubringen. Also Liebe, Fürsorge, Hilfsbereitschaft, Zärtlichkeit, Barmherzigkeit und Einfühlungsvermögen. Und wer, wenn nicht wir Männer, hätte das wohl bitter nötig! Deshalb: Ist die traditionelle, männliche Schreibweise Gottes ideal? Keineswegs. Aber sie ist die beste aller schlechten Lösungen. Und sie ist allemal besser als ein Gott mit Genderstern.
Der Autor ist Direktor des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Hessen.