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Waera

Solidarität im Leiden

Darstellung des Exodus auf einem Sarkophag aus dem 5. Jahrhundert Foto: Getty Images / istock

In unserem Wochenabschnitt lesen wir vom Ringen um die Freilassung der israelitischen Sklaven aus Ägypten. Pharao, der ägyptische Tyrann, ist ein hartnäckiger Unterdrücker und will seine Sklaven nicht freilassen. Allem Anschein nach folgen ihm auch der königliche Hof und das Volk, die allesamt die Früchte der Arbeit der fremden Sklaven genießen. Daher müssen der Pharao und sein Land zehn schwere Plagen hinnehmen. Dadurch wird die Befreiung der Geknechteten erzwungen. Der Midrasch betont die erzieherische Wirkung der Plagen auf die ägyptischen Sklavenhalter.

Als sich der Nil blutrot färbte und sich das Wasser nicht mehr trinken ließ, zwang dies die Ägypter, ihr Trinkwasser von den hebräischen Sklaven zu kaufen. Auf deren Gebiet blieb das Wasser nämlich genießbar. Laut dem Midrasch setzte der Pharao auch seine Magier ein. Sie sollten beweisen, dass sie ebenso imstande sind, das Wasser rot zu färben. Denn dann müsste man die Plagen nicht als Strafe des israelitischen G’ttes sehen, sondern lediglich als geschickte Manipulation seitens der Israeliten.

Die Plage der Frösche überschwemmte das ganze Land und verbreitete überall Ekel.

EKEL Darauf folgte die Plage der Frösche. Sie überschwemmten das ganze Land und verbreiteten überall Ekel, vom königlichen Palast bis zu den Hütten der Landarbeiter. Die Ägypter sahen zum ersten Mal, dass ihr Herrscher und sein ganzes Haus genauso wie das gemeine Volk leiden. Auch dies blieb nicht ohne Eindruck. Der Pharao musste Mosche bitten: »Lass diese Plage von mir und meinem Volk weichen!«

Doch nachdem dies geschah, wurde er erneut unnachgiebig. Erst die darauf folgenden Plagen drängten den Pharao zu Verhandlungen mit Mosche und Aharon: »Geht, wenn ihr das wollt, opfert eurem G’tt, aber bleibt im Land.« Doch dies lehnte Mosche ab: »Wie könnten wir – umgeben von Ägyptern – unsere Opfer darbringen? Lass uns drei Tagesmärsche in die Wüste ziehen und dort unserem G’tt opfern.«

Die harten Plagen beschäftigten schon immer die Bibelleser und führten sie zu sehr unterschiedlichen Folgerungen. Die jüdischen Exegeten bemerken, dass der Pharao bei den ersten fünf Plagen sein Herz verhärtete und unnachgiebig blieb. Bei den letzten fünf lesen wir, dass der Ewige das Herz des Pharaos verhärtete und seinen Fall beschleunigte. Daraus entnahmen die Schriftgelehrten, dass der Mensch die freie Wahl hat, nach seinem eigenen Willen das Richtige oder das Verwerfliche zu tun.

Der Göttinger Forstökologe Professor Aloys Hüttermann sieht in der Reihenfolge der Plagen ökologische Gründe: »Der Nil wird zu Blut – (es war) eine Algenplage; der damit verbundene Sauerstoffmangel treibt die Frösche aus dem Wasser. Somit fehlen die natürlichen Feinde von Mücken und Fliegen.« Hüttermann kommt zu dem Schluss: »Die Autoren der Bibel müssen von diesen Zusammenhängen gewusst haben.«

schlussfolgerungen Für uns aber ist die Bibel, die Tora, die Heilige Schrift, und daher sind solche Schlussfolgerungen nicht von Bedeutung. Rabbi Mosche Isserles, der berühmte Krakauer Rabbiner des 16. Jahrhunderts, kritisierte Mosches Verhandlungsführung. Warum sagte Mosche dem Herrscher nicht wahrheitsgemäß, dass er das Volk aus Ägypten führen und aus der Sklaverei befreien will?

Der Göttinger Forstökologe Hüttermann sieht in der Reihenfolge der Plagen ökologische Gründe.

Mosche glaubte, die Maximalforderung würde in dieser Phase den Pharao erzürnen. Niemals hätte er zu diesem Zeitpunkt akzeptieren können, mehrere Hunderttausend Sklaven zu verlieren. Daher zuerst die bescheidenen Vorstellungen, die eher annehmbar waren. Es ist nicht auszuschließen, dass Mosche und Aharon ihr eigenes Volk zum Erlangen der Freiheit erziehen wollten: Seht doch, wenn der Pharao diese drei freien Tage in der Wüste ablehnt, dann sind wir gezwungen, unsere Forderungen mit Nachdruck zu verschärfen.

Die Geschichte vom Auszug aus Ägypten und dem Ringen um die Befreiung der Israeliten hat durch das intensive Studium der Tora tiefe Spuren im Leben der jüdischen Gemeinden hinterlassen. Die Berichte über das Leiden und die Befreiung durchdrangen auch die Geschehnisse des Alltags. Um dies zu verdeutlichen, wurden uns zahlreiche Anekdoten überliefert.

FAMILIE Eine möchte ich hier gern erzählen: Einst beklagte sich ein wohlhabender Kaufmann bei dem bekannten Pressburger Rabbiner Moses Sofer (1762–1838). Die schwere wirtschaftliche Lage bereite ihm große Schwierigkeiten und treibe ihn manchmal fast zur Verzweiflung. »Auch mir blieb dies nicht verborgen«, erwiderte der Rabbi. »Aber ich habe auch davon gehört, dass dein Bruder, der eine große Familie hat, sehr arm ist und seine Kinder nur mit Mühe und Not ernähren kann, du ihm aber dabei nicht zur Seite stehst und ihm deine Hilfe versagst.« »Darum erzählte ich dir soeben von meiner verzweifelten Lage, Rabbi!«, antwortete der Kaufmann. »In meiner jetzigen Lage kann ich mich nicht um die Sorgen anderer kümmern.«

Rabbi Sofer hörte sich das ruhig an. Dann sagte er: »Ich will dir nur einen Satz aus der Parascha, aus unserer biblischen Wochenlektüre, zitieren: ›Ich habe auch das Gestöhn der Kinder Israels gehört, da die Ägypter sie knechteten, sprach G’tt« (2. Buch Mose 6,5).

»Du weißt«, setzte der Rabbi fort, »dass nach Meinung unserer Exegeten die Verwendung des hebräischen Ausdrucks ›auch‹ die Tragweite und die Bedeutung der Schriftworte erweitert. Wenn also in dem Schriftwort steht ›auch ich hörte das Stöhnen‹, so heißt es, dass jeder Einzelne aus dem Volk das Stöhnen seiner Brüder und Schwestern hörte und ihre Lasten mittrug.«

Weil sich unsere Vorfahren voreinander nicht verschlossen, erlöste uns der Ewige aus Ägypten. Die Erlösung erfolgte wegen der Solidarität, der Hilfsbereitschaft und der Mitmenschlichkeit.

Der Autor ist emeritierter Landesrabbiner von Württemberg.

INHALT
Der Wochenabschnitt Waera erzählt, wie die Kinder Israels Mosche und Aharon kein Gehör schenkten, obwohl G’ttes Name ihnen von Mosche offenbart worden war. Mosche verwandelt vor den Augen des Pharaos seinen Stab in ein Krokodil und fordert den Herrscher auf, die Kinder Israels ziehen zu lassen. Der Pharao aber bleibt hart, und so kommen die ersten sieben Plagen über Ägypten: Blut, Frösche, Ungeziefer, wilde Tiere, Viehseuche, Aussatz und Hagelschlag. Auch danach bleibt der Pharao hart und lässt die Kinder Israels nicht ziehen.
2. Buch Mose 6,2 – 9,35

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