Künstliche Intelligenz

Sind Roboter die besseren Rabbis?

Die Weiterentwicklung von KI steht im Mittelpunkt des Interesses. Gleichwohl wird sie nie die Tätigkeit eines Rabbiners vollkommen übernehmen. Foto: Getty Images/iStockphoto

Die Frage, ob in der Zukunft Arbeitsplätze ernsthaft durch Roboter und Maschinen gefährdet werden, stellt man sich schon seit Langem. Doch erst mit der Präsentation von ChatGPT, dem selbstlernenden Chatbot des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI, im späten November 2022 wurde uns das wahre Ausmaß dieser Frage bewusst.

Mittlerweile hat der Technologiekon­zern Google, herausgefordert durch ChatGPT, seinen Chatbot »Google Bard« präsentiert. Mit »Luminous« versucht auch das deutsche Start-up Aleph Alpha, ins Rennen um die Dominanz im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) einzusteigen.
Das Potenzial dieses Bereiches scheint von den Tech-Giganten so hoch bewertet zu sein, dass Microsoft im Januar dieses Jahres angekündigt hat, »OpenAI« (nach bereits zuvor erfolgten Investitionen) mit zehn Milliarden Dollar zu fördern.

Bill Gates: Kein Grund zur Sorge

Dennoch gibt es laut Microsoft-Gründer Bill Gates keinen Grund zur Sorge. Bei der Digitalkonferenz Europe im Februar sagte der Milliardär, dass Künstliche Intelligenz zumindest in der nahen Zukunft keine Arbeitsplätze gefährden werde. Im Gegenteil, KI würde uns dabei helfen, »uns auf wichtigere Aspekte des Jobs zu konzen­trieren«.

Doch nicht alle Experten scheinen die Meinung von Bill Gates zu teilen. Laut dem Bericht des Weltwirtschaftsforums »The Future of Jobs Report« aus dem Jahr 2020 kann KI bis 2025 weltweit bis zu 82 Millionen Arbeitsplätze ersetzen.

Das Schreiben von Reden für Barmizwa-Feiern und Hochzeiten scheint ChatGPT zu beherrschen.

Es gibt sogar eine Website, die – basierend auf Umfragen und den benötigten Fähigkeiten einer Tätigkeit – die Wahrscheinlichkeit einer Ersetzung von Menschen durch Roboter berechnet.

Doch was mich persönlich und natürlich auch als Rabbiner interessiert, ist eine andere Frage: Kann Künstliche Intelligenz in der Zukunft auch Rabbiner ersetzen? Denn das Schreiben von Kommentaren des Wochenabschnitts der Tora oder von Reden zu religiösen Anlässen wie Barmizwa-Feiern und Hochzeiten scheint ChatGPT schon hervorragend zu beherrschen.

Ein New Yorker Rabbiner hat kürzlich vor seiner Gemeinde eine von ChatGPT generierte Rede gehalten und sein Auditorium raten lassen, von wem die Rede ihrer Meinung nach stammt. Ironischerweise tippten die meisten auf Lord Rabbi Jonathan Sacks seligen Angedenkens. Vielleicht wurde der Chatbot mit den Reden des ehemaligen Oberrabbiners des Vereinigten Königreichs gefüttert?

Auch beim Treffen von halachischen Entscheidungen könnte man meinen, dass KI-Chatbots uns Rabbinern überlegen sind. Sie können auf eine immense Datenbank von halachischen Texten und Responsen zurückgreifen und riesige Mengen von Informationen verarbeiten. Mittlerweile gibt es auch einen Chatbot namens AI Rabbi, der mit jüdischen Texten trainiert wurde und sich auf das Beantworten von Fragen zum Judentum spezialisiert.

»Paskenen« – komplexe halachische Entscheidungen treffen

Jedoch geht es beim »Paskenen«, dem Treffen von komplexen halachischen Entscheidungen, um viel mehr als nur darum, eine Liste halachischer Quellen zu zitieren. Der Rabbiner muss alle Details und möglichen Folgen der Situation abwägen und dabei das spirituelle Niveau des Fragestellers in Betracht ziehen. Der »Psak« ist eine individuelle und maßgeschneiderte Entscheidung für eine bestimmte Person zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einer bestimmten Situation. Es ist sehr zu bezweifeln, dass KI jemals dieses Niveau von Raffinesse erreichen wird.

Auch ChatGPT und der AI Rabbi scheinen sich dessen bewusst zu sein und weigern sich mit folgender Erklärung, halachische Fragen zu beantworten: »Als Künstliche Intelligenz bin ich nicht in der Lage, Antworten auf halachische Fragen zu geben. Halacha ist ein komplexes und nuanciertes Studiengebiet, das tiefes Wissen und Verständnis der Tora, des Talmuds und weiterer jüdischer Rechtstexte sowie der Prinzipien und Richtlinien, die jüdische religiöse Praxis regeln, erfordert.«

Und weiter erklärt die »rabbinische« KI: »Obwohl ich in einer Vielzahl von Texten und Themen, einschließlich jüdischem Recht und jüdischer Tradition, geschult wurde, ist mein Wissen auf das beschränkt, worin ich geschult wurde, und ich bin daher nicht in der Lage, Urteile zu fällen oder endgültige Antworten auf halachische Fragen zu geben. Ich empfehle, sich in halachischen Angelegenheiten von einem qualifizierten Rabbiner oder einer anderen religiösen Autorität beraten zu lassen.«

Doch selbst, wenn die KI das nötige Niveau jeweils erreichen würde, wäre sie dennoch nicht befugt, halachische Entscheidungen zu treffen. Denn wie Rabbenu Nissim von Gerona (1320–1380) basierend auf dem Talmud (Traktat Baba Mezia 59b) schreibt, kann die Halacha seit der Übergabe der Tora am Berg Sinai nur durch den menschlichen Verstand bestimmt werden. Auch wenn die KI die menschliche Denkweise perfekt imitieren könnte, wären deren halachische Entscheidungen also nicht gültig und nicht bindend.

Zusätzlich fehlt der Künstlichen Intelligenz die »Siata DeSchmaja« (himmlische Unterstützung), die den halachischen Entscheidungsträgern dabei hilft, die richtige Entscheidung zu treffen (siehe Talmud Traktat Ketubot 60b). Ähnlich ist es auch im Bereich der Medizin: Obwohl Künstliche Intelligenz bei medizinischen Forschungen effektiv eingesetzt wird, zum Beispiel bei der Auswertung von Mammografien, gibt es immer noch Fälle, in denen sich Ärzte lieber auf ihre Intuition verlassen.

Eine rabbinische Vertrauensperson kann nicht durch eine Maschine ersetzt werden.

Doch es gibt einen weiteren Grund, warum Rabbiner niemals von einer Maschine ersetzt werden können, und möglicherweise ist dieser Grund der entscheidende. Neben dem Halten von Reden und Beantworten von halachischen Fragen ist der Rabbiner in erster Linie eine Vertrauensperson. Er hat für seine Gemeindemitglieder ein offenes Ohr und steht ihnen mit Rat und Tat bei.

Freunde und Follower auf Social Media

Besonders in der digitalen Welt, in der wir heute leben, wo man Tausende Freunde und Followers auf Social Media hat, fühlen sich viele einsam und sehnen sich nach jemandem, der ihnen zuhört und Verständnis und Sympathie zeigt.

Im Midrasch (Schmot Rabba Kapitel 2) steht, dass Mosche als Erlöser und Führer des jüdischen Volkes ausgewählt wurde, weil er sich als Hirte selbstlos um seine Herde gekümmert hat.

Die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz steht ohne Zweifel im Mittelpunkt des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Interesses. KI wird über die nächsten Jahre zweifellos Meilensteine erreichen, von denen wir nicht geträumt haben. Dennoch steht es für mich außer Frage, dass Maschinen jemals die Tätigkeit eines Rabbiners vollkommen übernehmen werden.

Der Autor ist Rabbiner und Dozent am Rabbinerseminar zu Berlin. Dieser Text wurde ohne Künstliche Intelligenz geschrieben.

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