Die Geschichte von Josefs Aufstieg in Ägypten wird von der Tora als »ägyptische« Geschichte erzählt. Die Episode spielt nicht nur in Ägypten, sondern die entsprechenden Zeilen in unserer Sidra sind angefüllt mit zahlreichen ägyptischen Lehnwörtern und Anspielungen auf die Welt der alten Hochkultur.
Verständlich war das denjenigen, die sich mit der Sprache und Kultur der alten Ägypter auskannten. Das traf, jahrhundertelang, auf niemanden zu. Ausnahmen bildeten Götzen, die über die Römer und Griechen bekannt blieben. Die ägyptischen Lehnwörter blieben unerkannt, die kulturellen oder religiösen Bezüge gerieten in Vergessenheit. Sie konnten nichts zum Verständnis des Textes beitragen.
bezüge Die großen Kommentatoren wie Raschi (1040–1105) versuchten, die Bezüge über den Midrasch oder hebräische Wörter zu erschließen. Erst die moderne Ägyptologie fügte einen »neuen alten« Schlüssel zu unserem Text hinzu.
Der Bibelwissenschaftler Gary Rendsburg von der Rutgers University ist zahlreichen Wörtern nachgegangen. Betrachten wir einige Wörter in der Tora – die tatsächlich der alten ägyptischen Sprache entstammen. In Vers 41,43 heißt es: »Und er ließ ihn in dem zweithöchsten seiner Staatswagen fahren, und man rief vor ihm aus: Awrech! So setzte er ihn über das ganze Land Ägypten.«
Raschi deutet dem Midrasch folgend: »Dieser ist der Vater – Aw (im Sinne von Berater) des Königs; Rech bedeutet im Aramäischen (als lateinisches Lehnwort »rex«) König.«
lehnwörter Rabbi Abraham ben Meir Ibn Ezra (1089–1167) schrieb in seinem Kommentar, es bedeute »auf die Knie«. Nach dem, was wir heute über die ägyptische Sprache wissen, hieß es »ib r-k – Herz zu dir«. Das bedeutet: »Habe acht!« Weitere Lehnwörter in dem Abschnitt werden eingestreut. Das Wort Siegelring »taba’at« (41,42), die Bezeichnung des Nils (»Je’or«) oder »Achu«, das Schilfgras.
Der Bereich zwischen sprachlichen Details und gängigen ägyptischen Bräuchen wird in Vers 45 berührt. Dort heißt es: »Und Pharao nannte Josef Tzafenat-Paneach und gab ihm Asenat, die Tochter Poti-Feras, des Priesters von On, zur Frau. Und Josef zog durch das Land Ägypten.« Diese Praxis der Namensänderung war in Ägypten üblich und ist etwa für die 18. Dynastie (1550 bis 1295 v.d.Z.) und in Einzelfällen früher nachgewiesen. Der neue Name hat für Spekulationen gesorgt. Raschi deutete Tzafenat-Paneach als »der das Verborgene erklärt«, was naheliegt, immerhin deutete Josef die Träume des Pharao. Wir werden gleich sehen, warum Josef kein Geheimnis aufdeckte. Tatsächlich kann der Name mit »Der G’tt spricht, und er lebt« übertragen werden.
Die genannte Frau, Asenat, hat ebenfalls keinen zufälligen Namen. In der Umschrift für die ägyptische Sprache würde ihr Name mit »n-s nt« wiedergegeben werden: »die zur (Göttin) Neith gehört«. Ihr Vater ist, wie der Text uns verrät, der Priester eines Ortes mit dem Namen On. Auch diesen Ort gab es, er war auch als Heliopolis bekannt und war das Zentrum des Ra-Kultes. Dementsprechend überrascht nicht, dass Poti-Fera heißt »Er, dem Ra gegeben hat«.
AUSSEHEN Die Sprache war ein Teil. Der andere Teil ist derjenige, an dem jemand, der mit der Welt des alten Ägypten vertraut ist, sofort erkennt, worum es geht. Gehen wir an den Anfang des Abschnitts zurück (41,2). »Und aus dem Nil stiegen sieben Kühe heraus, von schönem Aussehen und mit feisten Leibern, und sie weideten im Riedgras.« Anschließend folgen sieben weitere Kühe, hässlich und mager. Und dann in Vers 4: »Und die hässlichen und mageren Kühe fraßen die sieben schönen und feisten Kühe. Da wachte Pharao auf.«
Die Deutung des Traums in der Tora, in Verbindung mit dem Bild der Ährenbündel, ist bekannt: Sieben gute Jahre werden kommen und dann sieben schlechte.
Für Ägypten-Insider ist das Bild der sieben Kühe mehr als offensichtlich. Es geht um Hathor. Hathor galt als Göttin, eine Tochter Ras. Sie wurde oft als Kuh dargestellt. Die Milchstraße stellte man sich als riesige Kuh oder als riesigen Strom, wie den Nil, vor. Acht darauf hatte Hathor. Die Ägypter machten Hathor dafür verantwortlich, dass der Nil jedes Jahr über die Ufer trat. Die Überschwemmungen sorgten für den fruchtbaren Boden des Landes und somit für reichliche Ernte. Ausbleibende Überschwemmungen, das sehen wir gerade auch in unserer Zeit, sorgen für ödes Land.
Hathor wurde, wenn sie Fülle symbolisieren sollte, als siebenfache Göttin dargestellt. Als solche soll sie auch das Schicksal vorausgesagt haben. Im ägyptischen »Buch der Toten« sorgen sieben Kühe für eine endlose Versorgung mit Bier und Nahrung (Spruch 148).
Aber: War nicht auch der Pharao mit der Kultur seines Landes vertraut? War ihm das Bild nicht geläufig? Wenn er von der siebenfachen Hathor träumt, die noch dazu aus dem Nil steigt? Dann von einer »negativen« siebenfachen Hathor? Deutlicher kann eine Botschaft nicht sein. Warum haben seine Schriftkundigen (die Tora verwendet hier wieder ein Wort ägyptischen Ursprungs: »Chartumim«) ihm das Offensichtliche nicht erklären wollen? Sicher wollten sie die schlechte Nachricht nicht aussprechen.
RASUR Als Josef zum Pharao gerufen wird, beweist er seine Kenntnis der ägyptischen Kultur. Er wird nicht rasiert von denjenigen, die ihn holen, sondern er rasiert sich, weil ihm bewusst ist, dass dies ägyptischer Brauch ist. Und anschließend beweist er mit seiner Erklärung des Traums seine Kenntnis der Kultur des Landes. Noch dazu gibt er der Angelegenheit einen monotheistischen Dreh: »Das ist es, was ich Pharao gesagt; was G’tt tun will, hat er Pharao gezeigt.« Deshalb ist seine »Deutung« für den Pharao überzeugend. Dieser kannte das Ergebnis bereits.
Josef verbindet dann konkrete Vorschläge mit seiner Analyse der Situation. Er verharrt nicht in Schockstarre angesichts dessen, was angekündigt wurde, und erweist sich als Pragmatiker – obendrein als jemand, der sich im Gefängnis tiefe Kenntnisse der Umgebungskultur aneignen konnte. Josef meisterte einen Test, an dem diejenigen scheiterten, die sich zierten, unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Weniger ein Rätsellöser als jemand, der wusste, was zu welcher Zeit notwendig war.
Der Autor ist Blogger und lebt in Gelsenkirchen.
inhalt
Der Wochenabschnitt Mikez erzählt von den Träumen des Pharaos, die niemand an seinem Hof deuten kann außer Josef. Er sagt voraus, dass nach sieben üppigen Jahren sieben Jahre der Dürre kommen werden, und empfiehlt dem Pharao, Vorräte anzulegen. Der Herrscher betraut ihn mit dieser Aufgabe. Dann heiratet Josef: Er nimmt Asnat, die Tochter des ägyptischen Oberpriesters, zur Frau. Sie bringt die gemeinsamen Söhne Efraim und Menasche zur Welt. Dann kommen wegen der Dürre in Kanaan Josefs Brüder nach Ägypten, um dort Getreide zu kaufen.
1. Buch Mose 41,1 – 44,17