Herr Rabbiner, Sie haben in der vergangenen Woche fünf jüdische Gemeinden in Deutschland besucht. Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?
Es war sehr imposant zu sehen, wie die Gemeinden wachsen. In Dortmund zum Beispiel lebten 1990 nur etwa 200 Juden, heute sind es fast 4.000! Das bedeutet: Die Infrastruktur und die Angebote müssen sich verändern. Israels Oberrabbinat steht deshalb in enger Verbindung mit den Rabbinern und ihren Gemeinden. Wenn es Fragen und Probleme gibt, sind wir gerne bereit zu helfen.
Sie waren mit einer Delegation des Rabbinical Center of Europe (RCE) unterwegs. Was war der Anlass der Reise?
Es ging um die Stärkung jüdischen Lebens in Deutschland, konkret um das Mikwaot-Programm des RCE. Dieses bietet fachlichen Rat und materielle Unterstützung beim Bau der Ritualbäder. Wir konnten diesmal unter anderem in einer neuen Mikwe in Dortmund und einer frisch renovierten Mikwe in Köln die Mesusot anbringen.
Vor einigen Jahren noch hatten Ritualbäder in Deutschland eher musealen Charakter. Was bedeutet es, wenn jetzt immer mehr Mikwaot entstehen?
Das ist Zeichen einer bemerkenswerten Entwicklung spirituellen Lebens in Deutschland. Die vielen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die dort von ihren jüdischen Wurzeln abgeschnitten waren, lernen hier wieder, wie wichtig eine Mikwe ist. In Dortmund habe ich ein Paar kennengelernt, das erst am Tag zuvor unter der Chuppa stand. Noch vor fünf Jahren wussten sie kaum etwas über Jüdischkeit. Heute bedeckt sie ihr Haar, er trägt Kippa. Beide freuen sich, zu den Wurzeln zurückzukehren. Und wir freuen uns, sie willkommen zu heißen.
Natan Sharansky hat kürzlich für die Jewish Agency erklärt: Das vorrangige Ziel seiner Organisation sei nicht mehr die Alija, sondern die Stärkung der jüdischen Identität. Ist das ein richtiger Ansatz?
Ich denke, dass das eine mit dem anderen verbunden ist: In dem Moment, in dem ein Mensch zu seinen Wurzeln zurückkehrt, fühlt er die tiefe Verbundenheit mit Eretz Israel. Wenn er dreimal täglich im Gebet die »Rückkehr nach Zion« erwähnt, versteht er, dass es einen heiligen Ort für ihn gibt. Den will er kennenlernen, besucht das Land als Tourist, bleibt vielleicht als Einwanderer. Auf jeden Fall kommt er durch das Gebet in Verbindung mit unserem Staat.
In Dresden waren Sie bei Chabad, in Dortmund bei der Jüdischen Gemeinde. Wie beurteilen Sie das Mit- oder Nebeneinander von Chabad und den zum Zentralrat der Juden gehörenden Gemeinden?
Wir wünschen uns, dass Chabad Hand in Hand mit den Gemeinden arbeitet. Nicht immer ist das auch die Vorstellung der Gemeinden. Die Rabbiner von Chabad sind gekommen, um Jüdischkeit zu verbreiten und nicht, um sich in politische Dinge einzumischen. Das Gleiche gilt für uns.
Mit dem israelischen Oberrabbiner sprach Detlef David Kauschke.