Ägypten

Sei kein Frosch

Im alten Ägypten Symbol für Leben und Fruchtbarkeit: Frosch Foto: Fotolia

Frösche. Überall sind Frösche. Das ganze Land Ägypten wird von ihnen überschwemmt. Wer eine Tür öffnet, findet mit Sicherheit einen Frosch dahinter. Diese Tiere sind nichts Ungewöhnliches für ein Land am Fluss. Sie kommen massenweise, wenn der Nil über die Ufer tritt und dem Land Fruchtbarkeit bringt.

Die Überschwemmungen waren notwendig für das Leben im kargen Land und trugen auch dazu bei, dass Ägypten sich zur Hochkultur entwickelte. Die Menschen verehrten die Frösche dafür. Wie wir heute wissen, galten sie ihnen als ein Symbol für Leben und Fruchtbarkeit. Die entsprechende Götzenfigur war die froschköpfige Heket, deren Priesterinnen Hebammen waren. Viele ägyptische Frauen trugen bei der Geburt Heket-Amulette.

Die Tora kündigt in unserem Wochenabschnitt an: »Im Nil wird es von Fröschen wimmeln, und sie werden hinaufkriechen und in dein Haus eindringen, in dein Schlafgemach und auf dein Bett und in das Haus deiner Diener und unter dein Volk und in deine Backöfen und Backtröge« (2. Buch Moses 7,28). Jeder Ägypter sollte spüren, wie es ist, nicht mehr Herr über das eigene Leben zu sein. Die Frösche waren überall. Die Ägypter konnten keinerlei Tätigkeit nachgehen, ohne von den Tieren belästigt, ja gequält zu werden.

Symbol Heute wissen wir recht viel über die Lebenswelt der alten Ägypter, mehr noch, als vor hundert Jahren. Dies hilft uns auch, die Plagen und ihre eindrucksvolle Symbolwirkung besser zu verstehen. Es werden nämlich die Götzen der Ägypter selbst dazu benutzt, Unheil über das Land zu bringen. Die erste Plage betraf in erster Linie den Nil. Er wurde zu einem toten Gewässer. Der Herrscher über das Wasser, der Gott Sobek, wird als machtlos entlarvt. Wenn später Finsternis über das Land kommt, gerät damit der Sonnengott Re ins Blickfeld.

Doch wie sind die Frösche aus dem Wasser gekommen? Schauen wir genau hin, was über den Beginn der Froschplage in der Tora gesagt wird: »Und Aharon streckte seine Hand gegen die Gewässer von Ägypten aus, da kroch der Frosch heraus und bedeckte das Land Ägypten« (8,2). Tatsächlich heißt es in der Tora an dieser Stelle nicht Zefarde’im (Frösche), sondern Zefardea (Frosch). In Tehillim 78,45 wird sogar berichtet, dass »der Frosch sie zerstörte«. Viele deutsche Übersetzungen geben dies nicht korrekt wieder.

Midrasch Nun kann man »Frosch« als Gattungsname verstehen, so wie es der Kommentator Raschi vorschlägt – in etwa wie man heute sagt, »der Mensch war auf dem Mond«. Oder man versteht es im Sinne des Midraschs (Schemot Rabbah 10,4), der die Einzahl des Froschs anders erklärt. Er sagt, dass tatsächlich nur ein Frosch aus dem Wasser stieg. Als die Ägypter ihn sahen, wollten sie ihn schlagen. Aber statt zu sterben, zerteilte er sich in viele weitere Frösche. Und je mehr die Ägypter gegen die Frösche vorgehen wollten, desto mehr wurden es.

Die meisten Kinder kennen diesen Mechanismus aus Harry Potter. In Heiligtümer des Todes wollen sich Harry Potter und seine Begleiter eines Kelchs bemächtigen. In der Schatzkammer sind aber alle Gegenstände so verzaubert, dass sie sich bei Berührung vermehren und so eine Kettenreaktion auslösen. Genau so beschreibt der Midrasch die Begebenheit mit dem Frosch. Nur dass die jungen Magier in Harry Potter den Mechanismus durchschauen und nichts mehr berühren und damit die verhängnisvolle Reaktion aufhalten.

Die Ägypter fragen nicht nach der Ursache oder wollen sie nicht erkennen und versuchen weiterhin, die Frösche zu töten. Sie sind verärgert und verängstigt. In diesem Zustand der Rage sind sie nicht fähig, eine vernünftige Entscheidung zu treffen.

Damit spricht der Midrasch auch zu uns. Ärger und Aggression mit mehr Aggression zu beantworten, führt zu noch mehr Ärger und Aggression. Davon ist niemand ausgenommen, wie Resch Lakisch im Talmud erklärt (Pessachim 66b): »Jeden Menschen der wütend wird, verlässt seine Weisheit.« Wer den Aggressionen freien Lauf lässt, der bedeckt irgendwann »das gesamte Land Ägypten mit Fröschen«, wie es im 2. Buch Moses 8,2 heißt.

Vermehren Der Midrasch knüpft noch eine Verbindung zur Situation der Kinder Israels in Ägypten. In 1,12 heißt es: »Je mehr sie sie unterdrückten, desto mehr vermehrten sie sich.« Dort wird die Vermehrung des Volkes mit dem Wort »wajischretzu« (1,7) beschrieben. Dieses kehrt nun mit den Fröschen wieder. Hier wird die Vermehrung der Frösche mit »wescharatz« beschrieben. Die Kinder Israels wurden durch die Ägypter auf ein tiergleiches Niveau gebracht. In diesem Sinne wäre Josef der »erste Frosch«, und durch ihn kamen dann alle anderen Israeliten. Blind für die Situation, gingen die Ägypter hart gegen sie vor.

Wie wir sahen, war die froschköpfige Heket die Patronin der Hebammen, und diese sind dafür verantwortlich, neuem Leben auf die Welt zu helfen. Der Pharao hat dies ins Gegenteil verkehrt, indem er sie beauftragte, die neugeborenen Jungen der Kinder Israels zu töten. Nun kehrt G’tt dieses ägyptische Symbol für Fruchtbarkeit abermals um und lässt die Ägypter spüren, dass der Pharao nicht nur Israel schlecht behandelte, sondern auch die eigenen Überzeugungen und Werte missachtete.

Die Geschehnisse sprechen zu den Ägyptern, zum Pharao und zu den Kindern Israels. Allen führen sie etwas anderes vor Augen. Israel damals und heute zeigt der Text eindrucksvoll, wohin Wut, Angst und die Missachtung eigener Werte eine Gesellschaft führen können.

Der Autor ist Mitbegründer des »Minchah-Schiurs«.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Waera erzählt, wie die Kinder Israels Mosche und Aharon kein Gehör schenkten, obwohl Gottes Name ihnen von Mosche offenbart worden war. Mosche verwandelt vor den Augen des Pharao seinen Stab in ein Krokodil und fordert den Herrscher auf, die Kinder Israels ziehen zu lassen. Der Pharao aber bleibt hart, und so kommen die ersten sieben Plagen über Ägypten: Blut, Frösche, Ungeziefer, wilde Tiere, Viehseuche, Aussatz und Hagelschlag. Auch danach bleibt der Pharao hart und lässt die Kinder Israels nicht ziehen.
2. Buch Moses 6,2 – 9,35

Chaje Sara

Handeln für Generationen

Was ein Grundstückskauf und eine Eheanbahnung mit der Bindung zum Heiligen Land zu tun haben

von Rabbiner Joel Berger  22.11.2024

Talmudisches

Elefant

Was unsere Weisen über die Dickhäuter lehrten

von Rabbiner Netanel Olhoeft  22.11.2024

Studium

»Was wir von den Rabbinern erwarten, ist enorm«

Seit 15 Jahren werden in Deutschland wieder orthodoxe Rabbiner ausgebildet. Ein Gespräch mit dem Gründungsdirektor des Rabbinerseminars zu Berlin, Josh Spinner, und Zentralratspräsident Josef Schuster

von Mascha Malburg  21.11.2024

Europäische Rabbinerkonferenz

Rabbiner beunruhigt über Papst-Worte zu Völkermord-Untersuchung

Sie sprechen von »heimlicher Propaganda«, um Verantwortung auf die Opfer zu verlagern: Die Europäische Rabbinerkonferenz kritisiert Völkermord-Vorwürfe gegen Israel scharf. Und blickt auch auf jüngste Papst-Äußerungen

von Leticia Witte  19.11.2024

Engagement

Im Kleinen die Welt verbessern

Mitzvah Day: Wie der Tag der guten Taten positiven Einfluss auf die Welt nehmen will

von Paula Konersmann  17.11.2024

Wajera

Offene Türen

Am Beispiel Awrahams lehrt uns die Tora, gastfreundlich zu sein

von David Gavriel Ilishaev  15.11.2024

Talmudisches

Hiob und die Kundschafter

Was unsere Weisen über die Ankunft der Spione schreiben

von Vyacheslav Dobrovych  15.11.2024

Gebote

Himmlische Belohnung

Ein Leben nach Gʼttes Regeln wird honoriert – so steht es in der Tora. Aber wie soll das funktionieren?

von Daniel Neumann  14.11.2024

New York

Sotheby’s will 1500 Jahre alte Steintafel mit den Zehn Geboten versteigern

Mit welcher Summe rechnet das Auktionshaus?

 14.11.2024