Ein Witz. Auf dem Rückweg vom Markt sehen einige Dorfbewohner einen Bettler am Straßenrand sitzen: »Moische! Was machst du denn hier?« Moische antwortet ihnen: »Der Rabbi hat mich zum Wächter des Dorfes ernannt. Ich sitze hier den ganzen Tag und warte auf den Messias.« »Was ist denn das für eine Arbeit!?« »Nun ja«, sagt Moische, »es ist nicht gut bezahlt, aber ein sehr sicherer Job.«
Jüdischer Humor besitzt die Fähigkeit, echten Schmerz in ironischen Pointen auszudrücken. Und so verhält es sich auch mit diesem Witz über den Messias, auf den wir tatsächlich schon seit geraumer Zeit sehnsüchtig warten. Im Laufe der Jahrhunderte sind viele Anwärter für die begehrte Position aufgetaucht, die manchmal mit Begeisterung, manchmal mit Misstrauen betrachtet wurden.
Das hebräische Wort Maschiach bedeutet »Gesalbter«
Doch was ist laut dem biblischen Text überhaupt ein Messias? Das hebräische Wort Maschiach bedeutet »Gesalbter« und bezieht sich auf das Ritual, jemanden oder etwas durch die Salbung mit heiligem Öl zu weihen. Der Begriff wird in der Bibel in Bezug auf eine Vielzahl von Personen und Objekten verwendet: von Königen, Priestern und Propheten über den Tempelaltar und Gerätschaften bis hin zu einem nichtjüdischen König, Kyros dem Großen, im Buch Jesaja. In seinem Kommentar erklärt der mittelalterliche französische Rabbiner Raschi (1040–1105), dass Maschiach hier lediglich als Ehrentitel zu verstehen sei.
In den prophetischen Büchern erlebt das Wort und die Funktion des Messias eine Erneuerung. Das Buch des Propheten Jesaja ist beispielsweise die Quelle der Tradition, die den Messias als Nachfahren von König David darstellt. Kurz gesagt, wir erkennen, dass zwischen den fünf Büchern Mose und den Propheten ein Bedeutungswechsel stattfindet: vom Messias als rein sakralem Begriff, etwa dem gesalbten Priester (Kohen HaMassiah), hin zu einem politischeren Messias, der Teil einer königlichen Abstammungslinie ist und dem ein Königreich verheißen wird.
»Höre nicht auf die Worte dieses Propheten (…), denn Gott prüft euch damit« (5. Buch Mose).
Im Tanach, der Bibel, wird uns allerdings nur wenig darüber gesagt, was wir vom Messias erwarten sollen – oder überhaupt von einem Propheten. Doch das 5. Buch Mose warnt uns vor jenen, die uns mit ihren verlockenden Versprechungen verführen wollen: »Wenn in deiner Mitte ein Prophet oder ein Traumempfänger aufsteht und dir ein Zeichen oder einen Überzeugungsbeweis gibt, und es tritt auch ein das Zeichen oder der Überzeugungsbeweis, die er für dich ausgesprochen hat, um dir zu sagen: ›Lasst uns anderen Göttern nachfolgen, die du nicht kennst und lasst uns ihnen dienen‹, so höre nicht auf die Worte dieses Propheten oder auf diesen Traumempfänger, denn Gott, euer Gott, prüft euch damit, um zu erkennen, ob ihr wirklich Gott, euren Gott, liebt mit eurem ganzen Herzen und eurer ganzen Seele« (5. Buch Mose 13, 2–4).
Mit dieser Warnung im Hinterkopf machen wir uns auf den Weg, einen Anwärter auf den Titel des Messias kennenzulernen: Schimon Bar Kosiba, besser bekannt als Bar Kochba. Lassen Sie uns in seine Zeit zurückreisen.
Es ist das Jahr 132 nach der Zeitrechnung. Ganz Judäa ist von den Römern besetzt … Ganz Judäa? Nein! Ein Dorf, das von unbeugsamen Judäern bewohnt wird, leistet dem Eindringling weiterhin Widerstand. Und das Leben ist für die Besatzungssoldaten der römischen Legionen in den befestigten Lagern von Aelia Capitolina, dem neuen Namen, den die Römer Jerusalem gaben, nicht leicht …
Was veranlasst die Judäer, sich im Jahr 132 erneut zu erheben?
Was veranlasst die Judäer, sich im Jahr 132 erneut zu erheben? Der Überlieferung nach plante Kaiser Hadrian, den Tempelberg zu entweihen, indem er einen Altar für Jupiter errichten ließ. Auch wenn Schimon Bar Kosiba und seine Männer den Römern stolz drei Jahre lang trotzen, werden die Rebellen letztendlich in der Festung Beitar belagert, und Kaiser Hadrian lässt eine blutige Repression gegen die jüdische Bevölkerung folgen. Doch während dieser drei Jahre hat Bar Kochba Zeit, einen jüdischen Staat auszurufen, eigene Münzen prägen zu lassen und sich zum Fürsten krönen zu lassen. Es braucht nicht viel, und einige Rabbiner sehen darin den Beginn der messianischen Zeit.
Der Jerusalemer Talmud erzählt uns dazu folgende Geschichte. Rabbi Akiva erklärt den siebten Vers aus dem 4. Buch Mose 24: »Ein Stern (Kochba) geht auf aus Jakob« und bezieht ihn auf das Kommen von Bar Kosiba. Rabbi Akiva rief, als er ihn sah: »Hier ist der König Messias!« Doch Rabbi Jochanan ben Torta antwortete ihm: »Akiva, das Gras wird zwischen deinen Kiefern wachsen (das heißt, du wirst längst tot sein), bevor der Sohn Davids erscheint.«
Hier ahnen wir, dass Rabbi Akiva seine messianischen Hoffnungen auf Schimon Bar Kosiba projiziert. Um zu verstehen, wie ein so weiser Mann wie Rabbi Akiva einen judäischen Rebellenführer für den Messias halten konnte, muss man betonen, dass der jüdische Messianismus untrennbar mit politischer Befreiung verbunden ist. Der Messias ist derjenige, der die Juden vom Joch der Nationen befreit, der das Volk in seiner Würde und Souveränität wiederherstellt.
Das ist sogar das Erste, was Maimonides, der Rambam (1138–1204), uns über den Messias sagt: »Der König Messias wird kommen und die Monarchie Davids in ihrer früheren Herrlichkeit wiederherstellen. Er wird den Heiligen Tempel an seinem Ort bauen und die Zerstreuten Israels sammeln. Er wird die Einhaltung der Gebote stärken und Frieden in die Welt bringen. Sein Reich wird anerkannt, und alle Nationen werden sich ihm unterwerfen« (Mischne Tora, Hilchot Melachim, Kapitel 11, Gesetz 1).
Es heißt, der Messias werde die Zerstreuten sammeln und Frieden in die Welt bringen.
Der Babylonische Talmud erzählt die Geschichte jedoch anders und entzieht sich jeglicher Verantwortung für den spirituellen Erfolg des Rebellen Bar Kochba:
»Bar Kosiba herrschte zweieinhalb Jahre. Er sagte zu den Weisen: Ich bin der Messias. Sie antworteten ihm: Vom Messias ist geschrieben, dass er die Gabe der Intuition besitzt und richten kann. Als die Völker sahen, dass er dazu nicht in der Lage war, töteten ihn die Heiden.« Hier sehen wir, wie sich die Weisen, viele Jahre nach den Ereignissen, von der messianischen Figur und dem Erbe des Aufstands distanzieren, der das jüdische Volk viele Leben kostete.
Die Römer setzten nicht weniger als zwölf Legionen ein, um den Aufstand niederzuschlagen, und der Talmud beschreibt, wie die römischen Pferde in dem Blut der einheimischen Einwohner wateten. Judäa wurde verwüstet, seine Einwohner niedergemetzelt. Es heißt, die in die Sklaverei verkauften Juden seien so zahlreich gewesen, dass ihr Preis auf dem Sklavenmarkt auf den eines Lasttieres fiel.
Bar Kochba blieb lange Zeit eine negative Figur in der jüdischen Geschichte
Bar Kochba blieb lange Zeit eine negative Figur in der jüdischen Geschichte, wie die talmudischen Quellen zeigen. Doch Geschichte befindet sich in einem ständigen Zustand der Neuschreibung. Der Zionismus bot später eine neue Lesart von Bar Kochba und machte ihn zu einer seiner Leitfiguren, indem er ihn als jenen unerschrockenen Kämpfer darstellte, der allen Widrigkeiten zum Trotz einen jüdischen Staat gründete – koste es, was es wolle. Seine messianische Karriere aber war vorüber. Doch bald kamen andere, die den Titel des rettenden Königs beanspruchten.
Die vielen falschen Messiasgestalten der Geschichte spiegeln die jüdische Hoffnung auf Erlösung – aber auch die Enttäuschung darüber, dass sie noch immer nicht gekommen ist.
Die Autorin ist Talmudlehrerin bei dem europaweiten jüdischen Lernprogramm Ze Kollel. Sie hat an der Hebräischen Universität Jerusalem, der Yeshivat Hadar sowie den Instituten Paideia und Pardes studiert.