Eines der umstrittensten Objekte in den deutschen Einheitsgemeinden, aber auch weit über die deutschen Grenzen hinaus, ist zweifelsohne die Mechitza, auf Jiddisch Mechitze, die Trennwand, das Trenngitter oder der trennende Vorhang zwischen den betenden Männern und den Frauen im G’ttesdienst.
Dieses Objekt hat schon des Öfteren über den Ausgang der Vorstandswahlen entschieden und einige Rabbiner ihren Job gekostet. Somit hat es sich zum typischen Symbol der Auseinandersetzung zwischen liberalen und orthodoxen Juden entwickelt. Doch gibt es wirklich eine Pflicht, eine Mechitza in der Synagoge zu installieren? Wenn ja, woher bezieht man Informationen über diese Pflicht, wie soll diese Mechitza aussehen, und wie groß soll sie sein? Und wenn es keine Mechitza in einer Synagoge gibt, darf ein orthodoxer Jude dann an einem solchen Ort überhaupt beten?
bima Als Hintergrundwissen zu dieser Frage sollte man beachten, dass unsere Synagogen als Miniaturansicht des zerstörten Tempels gebaut werden. So soll zum Beispiel die Bima – die Erhebung, auf der die Tora vorgelesen wird und die den Opferaltar symbolisiert – idealerweise in der Mitte der Synagoge gebaut werden. Aron Hakodesch, der Schrein, in dem sich die To- rarollen befinden, symbolisiert das Kodesch Kedoschim, das Allerheiligste, in dem einst die Bundestafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt wurden.
Es gibt noch viele andere Nachahmungen des Tempels, der für die Verbindung zwischen dem Menschen und G’tt von zentraler Bedeutung war. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass unsere Gebete, also das, womit sich die meisten in den Synagogen beschäftigen oder beschäftigen sollten, anstelle der Opfergaben im Tempel etabliert wurden.
Die erste Quelle, in der eine separate Sitzordnung zwischen Männern und Frauen erwähnt wird, ist die Mischna im Babylonischen Talmud und die dazugehörende Gemara im Traktat Sukka 51b. In der Mischna steht, dass nach dem Ausgang des ersten Tages von Sukkot »eine große Reparatur« eingerichtet wurde. Die darauf folgende Gemara erklärt, was mit der »Reparatur« in der Mischna gemeint ist: Rabbi Elazar sagt, am Anfang waren die Wände des Tempels glatt, doch »sie« haben dort einen Balkon eingebaut und verordnet, dass die Frauen oben sitzen sollen und die Männer unten.
Leichtfertigkeit Die Rabbinen lehrten weiter, dass zuerst die Frauen drinnen und die Männer draußen saßen, doch das habe zu Frivolität geführt. Danach habe man es andersherum versucht – die Frauen draußen und die Männer drinnen platziert –, damit die Frauen nicht durch die Männerreihen laufen konnten. Doch das führte ebenfalls zur Leichtfertigkeit. So entschieden sie, dass die Frauen oben sitzen sollen und die Männer unten. Doch die Frage stellt sich: Wie konnten die Weisen überhaupt ein neues Bauelement, das nicht von der Tora erwähnt wird, im Tempel installieren?
Mit diesem Problem beschäftigt sich der Talmud Jeruschalmi an derselben Stelle. Der Talmud zitiert einen Vers aus Secharja 12,12: »Das Land soll trauern, jede Familie für sich, die Familie Davids für sich und deren Frauen für sich«. Der Talmud gibt zwei mögliche Erklärungen für diesen Vers. Die erste Meinung sagt, dass es an dieser Stelle um die Trauer für Maschiach (Ben Josef) geht. Die andere Meinung sagt, dass es sich um Trauer wegen des bösen Triebes handelt.
Der ersten Auslegung nach sagt der Talmud: Wenn Männer und Frauen selbst in der Zeit der Trauer voneinander separat sitzen sollen, sollen sie umso mehr in der Zeit der Freude getrennt sitzen. Der zweiten Auslegung nach meint der Talmud, wenn Männer und Frauen getrennt voneinander sitzen sollen, selbst wenn es keinen bösen Trieb mehr gibt, umso mehr sollen sie voneinander getrennt werden, solange wir den bösen Trieb noch in uns haben.
verbot Rabbiner Mosche Feinstein (Orach Chaim, Teil 1,39) bezieht sich genau auf diese Stelle im Buch Secharja, indem er sagt, dass das Verbot für Männer und Frauen, während eines Gebetes gemeinsam zu sitzen, zu den Verboten der Tora und nicht zu den rabbinischen Verboten gehört. Obwohl der zitierte Vers aus einem prophetischen Buch und nicht aus der Tora selbst stammt, lehrt uns der Vers demnach kein neues Verbot, sondern erklärt uns, wie wir uns in dieser Situation der Tora gemäß verhalten sollen.
So schreibt auch Chatam Sofer (Hoschen Mischpat 190), dass ein Gebet, eine Danksagung, ein Segen oder Ähnliches, was an G’tt gerichtet ist und sich mit erotischen Gedanken vermischt, nicht von G’tt angenommen wird. Aus diesem Grund sollen Männer und Frauen in den Synagogen getrennt voneinander sitzen. Dies gilt auch für die eigene Frau, wie es im Vers aus dem Buch des Propheten Secharja der Fall ist.
Doch was genau soll die Mechitza bezwecken? Besteht ihr Zweck darin, dass sich Männer und Frauen nicht mischen und miteinander reden, oder soll sie die Männer davon abhalten, dass sie während des Gebetes die Frauen beobachten? Von der Antwort auf diese Fragen können wir lernen, wie unsere Mechitza aussehen und wie groß sie sein soll. Die Mischna im Traktat Midot 2,5 sagt, dass die Frauen von oben herunterschauten und die Männer unten saßen, damit sie sich nicht mischen. Maimonides, der Rambam, schreibt in Hilchot Lulav 8,12 ebenfalls, dass der Balkon im Tempel dazu diente, dass sich Männer und Frauen nicht mischen.
Frauenempore Jedoch schreibt Rambam in seinem Kommentar zur Mischna Sukka, dass die Frauenempore deshalb höher als der Männerbereich war, damit die Männer die Frauen nicht anschauen konnten. Dieser Meinung schließt sich auch Tosafot Jom Tow in seinem Kommentar zur Mischna an.
Tziz Eliezer (7,8) schreibt ebenfalls, der Zweck der Mechitza sei, dass die Frauen von den Männern nicht gesehen werden – und nur eine Mechitza in der Größe eines Menschen könne diesen Zweck erfüllen. Er zitiert auch den berühmten Rabbiner Schlomo Ganzfried, der sagt, dass es verboten ist, eine Mechitza zu errichten, die es einem Mann ermöglicht, sich die Frauen anzusehen – und dass es ebenso verboten ist, eine Synagoge zu betreten, in der keine regelgerechte Mechitza steht.
Rabbiner Moshe Feinstein schreibt in Orach Chaim, Teil 1,39, dass es empfehlenswert ist, eine Frauenempore zu installieren. Falls das aus irgendwelchen Gründen aber schwierig wird, solle man stattdessen ein Trennelement anbringen, das Frivolität verhindern könne. Feinstein orientiert sich demnach an der Meinung, die das Vermischen zwischen Männern und Frauen problematisiert, und sagt, dass eine Mechitza der Schultergröße (18 Tefachim, das sind je nach Berechnung 1,70 Meter) dieses Problem lösen könne.
trennwände Rabbiner Weinberg schreibt in Sridej Esch 2,14, dass wir die Frauen dazu animieren sollen, in die Synagoge zu kommen, damit sie dem Judentum nicht fernbleiben. Weil Frauen aber nicht gerne hinter großen Trennwänden sitzen, sollten wir, so Rabbiner Weinberg, im Rahmen der Halacha entsprechende Bedingungen dafür schaffen, dass Frauen gerne in die Synagoge kommen. Das bedeutet seiner Ansicht nach, dass wir in unserer Zeit und in der westlichen Gesellschaft das kleinere, halachisch erlaubte Maß für die Mechitza nehmen, damit die Frauen sich beim G’ttesdienst nicht ausgeschlossen fühlen. Weinstein kommt also zu der erleichternden Meinung von Rabbiner Feinstein und erlaubt eine Mechitza von 18 Tefachim – obwohl Männer bei einer solchen Höhe des Trennelements die Frauen sehen können.
Eine Bemerkung noch zum Schluss: Wegen Platzmangels wurden nur wenige halachische Responsen ausgewählt und mussten frei übersetzt und gekürzt werden. Dieser Text soll auf keinen Fall als halachische Responsa gewertet werden, sondern ist eher als eine Einführung in die komplizierte halachische Diskussion gedacht. Jede Gemeinde hat ihre eigenen Besonderheiten, und der Rabbiner jeder Gemeinde trägt die alleinige Freiheit, halachische Entscheidungen für die jeweilige Gemeinde zu treffen.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Geeinde Osnabrück und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz.