Toldot

Segen und Fluch

»Isaak segnet Jakob« (1638), Gemälde des Rembrandt-Schülers Govert Flinck (Öl auf Leinwand, Rijksmuseum Amsterdam) Foto: imago images/UIG

Der Bund zwischen Gott und Aw­raham kann nur an einen Sohn pro Generation weitergegeben werden. Ist das nicht seltsam? Die Vorstellung, dass der erstgeborene Sohn Land und Titel erbt, ist durchaus üblich, gilt sie doch noch immer für die Fortführung einer königlichen Linie. Es kann mehrere Prinzen geben, doch immer nur einen König.

Aber in der Verheißung, die Gott Awraham gibt, heißt es: »Deinem Samen will ich dieses Land geben« (1. Buch Mose 12,7) als kollektive Einzahl, und Gott verweist darauf, dass Awrahams Nachkommen »ein zahlreiches Volk« werden. Warum können sie nicht alle an dieser Beziehung zu Gott teilhaben?

Die Frage ist umso wichtiger, als sie nicht gestellt wird. Später, im 2. Buch Mose, wird es ein anderes Konzept geben: Der Bund gilt für alle Israeliten.

TRAGIKOMÖDIE Es wird nicht ausgesprochen, aber im 1. Buch Mose scheint es, als könnte nur der erstgeborene Sohn die Erbschaft des Bundes mit Gott antreten. Doch was geschieht dann? Es ist fast eine Tragikomödie. Awraham und Sara können keine Kinder bekommen. Also schlägt Sara vor, Awraham solle einen Sohn mit ihrer Dienerin zeugen, und er tut es. Später allerdings bekommt Sara doch noch einen Sohn.

Doch wer ist nun der Erstgeborene, der den Bund mit Gott eingehen wird? Awrahams Erstgeborener, der Sohn der Nebenfrau? Oder Awrahams Zweitgeborener, der Sohn der Hauptfrau? Die familiäre Situation entwickelt sich tragisch, sodass die zweite Frau und der erste Sohn – Hagar und Jischmael – in die Wüste geschickt werden, um dort zu sterben (1. Buch Mose 21). Durch Gottes Eingreifen werden sie zwar gerettet, aber die Wurzeln für spätere Feindseligkeit und Eifersucht sind gelegt. Wäre es nicht einfacher gewesen, man hätte diesen Bund teilen können?

Auch in der nächsten Generation ist es problematisch. Nachdem Jizchak den Versuch seines Vaters überlebt hat, ihn Gott zu opfern, bleibt er einige Jahre unverheiratet. Als dann mit 40 Jahren eine Frau für ihn gefunden wird, bleiben er und Riwka 20 Jahre lang kinderlos. Doch dann bekommen sie Zwillinge.

konflikt In unserem Wochenabschnitt können wir von diesen dramatischen Ereignissen lesen. Jizchak hat für seine unfruchtbare Frau gebetet, und dann sagt Gott der Schwangeren, dass sie zwei Völker zur Welt bringen wird, die ständig miteinander in Konflikt sein werden. Daraus ergibt sich, dass Gott diesen Konflikt über die Generationen hinweg geplant hat. Jizchaks erstgeborener Sohn entpuppt sich als stark und männlich, als Jäger, der von seinem Vater bewundert wird. Denn er ist das Gegenteil davon, nämlich schwach und kurzsichtig.

Der zweitgeborene Sohn kommt fast zeitgleich zur Welt, ergreift den Fuß seines Bruders – der Geschwisterkonflikt um die Vorherrschaft hat bereits im Mutterleib begonnen – und wird zu Riwkas Liebling.

Wer von beiden soll den Bund erben? Durch List und Täuschung und Riwkas Intrige wird der Segen von Jizchak an Jakow, den zweiten Sohn, weitergegeben, den der fast erblindete Vater für den ersten hält. Esaw, der Erstgeborene, ist wütend – und heiratet im letzten Vers unseres Wochenabschnitts ausgerechnet eine von Jischmaels Töchtern!

Die Familie ist gespalten. Niemand traut dem anderen. Jakow muss fliehen, nur mit den Kleidern, die er am Leib trägt. Vom Segen, von Land, von einer großen, fruchtbaren Familie ist nichts zu sehen. Doch eines Tages wird es eine dritte Generation geben.

Jakow heiratet zuerst versehentlich Lea, die Schwester der Frau, die er liebt, dann Rachel. Und als sich herausstellt, dass Rachel unfruchtbar ist, wird er von ihr ermutigt (nach dem Beispiel Saras), mit der Magd Bilha Söhne zu bekommen. Lea fürchtet Konkurrenz und schickt, als sie nach dem vierten Sohn keine weiteren Kinder bekommt, ihre Magd Silpa zu Jakow, die zwei weitere Söhne zur Welt bringt. Dann endlich gelingt es Rachel, ein Kind zu gebären, das sie »Ich will noch eines« – »Josef« – nennt.

MISSTRAUEN Jakow misstraut seinem Schwiegervater und seinen eifersüchtigen Verwandten und flieht, während Rachel hochschwanger ist. Und dann stirbt sie bei der Geburt ihres zweiten Kindes, das Jakow »Sohn meiner rechten Hand« nennt, weil er das Kind buchstäblich aus dem Mutterleib gezogen hat, was zu Rachels Tod führt.

Ist dies ein Segen? Sieht so der Plan Gottes aus? Und nun kommt das Problem der vierten Generation. Wer soll jetzt den Bund erben? Der erstgeborene Sohn der ersten Frau – Reuwen – oder der erstgeborene Sohn der zweiten Frau – der, den er eigentlich wollte: Josef?

Diesmal sind es die anderen Söhne Jakows, die die Initiative ergreifen. Sie beschließen, den Lieblingssohn entweder zu ermorden oder zumindest beiseite zu schaffen. Erst im hohen Alter erfährt Jakow, dass sein Lieblingssohn noch lebt und sogar Vater geworden ist.

Am Ende geht der Segen ironischerweise an niemanden in der vierten Generation, sondern wird von Jakow an den zweiten (!) Sohn seines Sohnes Josef weitergegeben, an Ephraim, an die fünfte Generation (1. Buch Mose 48, 4–14).

Der Bund durchlief also folgende Stufen: von Awraham zum zweiten Sohn der ersten Frau (Sara); zum zweiten Sohn dank der Intrige der Frau (Riwka); dann nicht zum elften Sohn, der der erste der zweiten Frau (Rachel) ist; sondern er überspringt dann eine Generation und geht dann an den zweiten Sohn einer fremden Frau (Asenath, der Frau von Josef), der aber in der Geschichte kaum erwähnt wird. Dann geht er irgendwie verloren. Und 400 Jahre später muss Gott am Berg Sinai einen neuen Bund mit dem Volk schließen.

VERHEISSUNG Unter diesen Umständen ist es kaum verwunderlich, dass die versklavten Hebräer das versprochene Land, in dem Milch und Honig fließen sollen, vergessen haben und sich weigern, einem Fremden zu glauben – einem geborenen Israeliten, der aber als Ägypter aufgewachsen ist –, der eines Tages aus Midjan zu ihnen kommt, um ihnen zu sagen, dass die Verheißung wiederbelebt worden ist und nun für sie und ihre Generation gilt.

Und dies alles war der göttliche Plan? Warum konnten nicht auch Josefs Halbbrüder an dem Bund teilhaben, sie und ihre Kinder und Nachgeborenen? Erst im 2. Buch Mose wird dieser Gedanke aufgegriffen. Aber zu diesem Zeitpunkt sind die Nachkommen Jischmaels und die Nachkommen Esaws – unter denen die Rabbinen der Antike und des Mittelalters später die Araber und die Römer verstanden – zu Feinden der Israeliten geworden.

Ich bin mir sicher, wenn ich dies als »Jüdische Familiensaga« aufschreiben würde, dann hielte man es für eine übertriebene und unglaubliche Geschichte. Aber Jakow wurde geboren, und wir sind seine Nachkommen. Wir haben nicht nur den Segen, sondern auch den Fluch geerbt; nicht nur das Land, sondern auch die Feinde des Landes; nicht nur die Zahl unseres Volkes, sondern auch die Zahl unserer Opfer. Das alles ist Teil derselben Geschichte.

Der Autor ist Assistenzrabbiner der egalitären liberalen Betergemeinschaft Gescher e.V. in Freiburg im Breisgau.

inhalt
Der Wochenabschnitt Toldot erzählt von der Geburt der Zwillinge Esaw und Jakow. Für ein »rotes Gericht« erkauft Jakow von seinem Bruder das Erstgeburtsrecht. Wegen einer Hungersnot muss Jizchak das Land verlassen. Er geht zu Awimelech, dem König von Gerar. Dort gibt er seine Frau Riwka als Schwester aus, weil er um sein Leben fürchtet. Als Jizchak im Sterben liegt, will er Esaw segnen, doch er wird von Riwka und Jakow getäuscht und segnet so Jakow.
1. Buch Mose 25,19 – 28,9

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