Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wünscht sich nach eigenen Worten »von einigen kirchlichen Kreisen« mehr Sensibilität und Zurückhaltung im Umgang mit Israel.
»Viele Urteile fallen zu schnell und mit zu wenig Sachkenntnis; stattdessen basieren sie auf Vorurteilen«, sagte Schuster in einem vorab aufgezeichneten und am Freitag ausgestrahlten Podiumsgespräch beim Ökumenischen Kirchentag (ÖKT). Viel zu häufig würden an Israel andere Maßstäbe angelegt als an andere Staaten.
Wandel »Über Jahrhunderte wurde von den Kanzeln ein vehementer Judenhass verkündet«, sagte Schuster. »Dies gipfelte in der Kooperation der Kirchen mit dem Nationalsozialismus.« Nach der Schoa hätten sich die beiden christlichen Kirchen deutlich davon distanziert und sich zu ihrer Schuld bekannt.
»Heutzutage wird auch nicht länger die jüdische Religion abgewertet.« Die Kirchen hätten sich »in dieser Hinsicht wirklich gewandelt«. Schuster fügte hinzu: »Mein Wunsch ist es aber, dass sich diese Veränderung auch bis auf die Gemeindeebene im kleinsten Dorf wiederfindet.« Es sei wichtig, dass Geistliche vor Ort für Respekt werben und selbst Toleranz vorleben würden.
Die EU-Antisemitismusbeauftragte Katharina von Schnurbein beklagte, dass die Zahl antisemitischer Übergriffe in der gesamten EU steige. 2019 habe es 3000 verzeichnete antisemitische Hassverbrechen in der Europäischen Union gegeben. Die Dunkelziffer liege aber deutlich höher, sagte sie. Sie forderte, dass solche Straftaten von den Justizbehörden konsequent verfolgt und geahndet würden - auch im Internet.
Benjamin Fischer, der für die Alfred Landecker Stiftung in Berlin digitale Tools zur Erkennung von Antisemitismus im Internet mitentwickelt, erklärte, es funktioniere nicht, Offline-Strategien gegen Judenhass in Online-Räume zu übertragen. Ein Tool der Stiftung ermöglicht beispielsweise mit Hilfe von künstlicher Intelligenz die Erkennung antisemitischer Hassrede im Internet.
Marina Chervinsky, Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums Prävention und Empowerment in Berlin, betonte, Antisemitismus hänge nicht mit dem Verhalten Einzelner zusammen und könne auch nicht aus der Lebensweise und Kultur von Jüdinnen und Juden erklärt werden. Antisemitische Verschwörungsmythen hätten eine lange Tradition. Nur mit viel Mühe und Anstrengungen könne es gelingen, diese Bilder zu dekonstruieren.
»Das eine Allheilmittel gegen Antisemitismus gibt es nicht«, konstatierte Josef Schuster. Ihm sei es wichtig, bei den Kindern anzusetzen. Denn kein Kind komme als Antisemit auf die Welt.
Dass bei den digitalen ÖKT-Podien zum Judentum weder der Nahostkonflikt noch die jüngsten Anschläge auf jüdische Einrichtungen als Themen vorkamen, nannte die evangelische ÖKT-Präsidentin Bettina Limperg am Freitag in einer Pressekonferenz ein »Problem vorproduzierter Veranstaltungen«.
Gemeinsam mit dem katholischen ÖKT-Präsidenten Thomas Sternberg erklärte sie zudem in einer Pressemitteilung, die Bilder aus Israel und Palästina seien »erschreckend« und weckten schmerzhafte Erinnerungen an die »vielen blutigen Ereignisse eines scheinbar nie enden wollenden Konfliktes«. Das Heilige Land habe aber Frieden »dringend nötig«. Versöhnung beginne immer »mit dem Schweigen der Waffen auf beiden Seiten«.
Empörung Zugleich zeigten sich die beiden ÖKT-Präsidenten »bestürzt und empört« über den Angriff auf die Synagoge in Bonn, das Verbrennen von Israelflaggen vor der Synagoge in Münster und »die gebrüllten Hetzparolen« in Gelsenkirchen. Dies sei alarmierend. »Es handelt sich dabei um die verabscheuungswürdige Diffamierung von Angehörigen der jüdischen Religion und Kultur.«
Der 3. Ökumenischer Kirchentag findet noch bis Sonntag unter dem Leitwort »schaut hin« statt. Die rund 100 Veranstaltungen finden wegen der Corona-Pandemie überwiegend digital statt. kna/epd