Wieder wurden bei einem Amoklauf an einer Schule in den USA viele Schülerinnen, Schüler und Lehrer von einem ehemaligen Mitschüler getötet, diesmal in Parkland, Florida. Und diesmal geht es uns besonders an, denn es sind auch vier jüdische Schüler und ein jüdischer Lehrer unter den Opfern.
Angesichts des jüngsten Massakers ist in den USA die Diskussion um das Waffenrecht wieder in vollem Gange. Und was sagt die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, zum Tragen und Benutzen von Waffen?
Sicherheit ist im Judentum ein wichtiges Anliegen. Das Leben ist heilig und hat höchste Priorität. Daher muss es auch so weit wie möglich geschützt werden. Die Tora fordert, ein Dach mit einem Geländer auszurüsten, um zu verhindern, dass Menschen herunterfallen (5. Buch Mose 22,8). Dieses Gebot wird von den Rabbinern als allgemeine Richtlinie verstanden, um jegliches Sicherheitsrisiko zu beseitigen (vgl. Talmud, Baba Kama 15b).
Selbstverteidigung Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob Waffenbesitz ein Sicherheitsrisiko ist – oder zu mehr Sicherheit führt. Tatsächlich ist es für die eigene Selbstverteidigung und zum Schutz anderer auch erlaubt, Gewalt anzuwenden: Es ist sogar ein Gebot. In der Tora heißt es (2. Buch Mose 22,1): »Wenn ein Dieb ergriffen wird beim Einbruch und dabei geschlagen wird, dass er stirbt, so liegt keine Blutschuld vor.«
Ein gewalttätiger Angriff darf also sehr wohl mit Waffengewalt abgewehrt werden, selbst wenn der Angreifer dabei stirbt. Die Mischna (8,7) ist Grundlage für das Prinzip des Rodef (eines Verfolgers, der mir nach dem Leben trachtet): »Folgende halte man mit ihrem Leben zurück: Wer jemanden verfolgt, um ihn zu töten ...« Selbst am Schabbat darf ich zu einer Waffe greifen, um mich zu verteidigen, wenn mein Leben unmittelbar in Gefahr ist (vgl. Eruwin 45a).
Waffenbesitz ist also grundsätzlich nicht verboten, und Waffen dürfen zur Selbstverteidigung eingesetzt werden – manchmal müssen sie sogar eingesetzt werden. Aber darf deshalb jeder eine Waffe tragen?
Kontrolle Im Talmud gibt es bestimmte Vorschriften, die durchaus modernen Regeln der Waffenkontrolle ähneln. Es gibt beispielsweise ein Gesetz gegen den Besitz eines gefährlichen Hundes (Baba Kama 79a). Im Schulchan Aruch (Choschen Mischpat 409,3) heißt es: »Man darf keinen gefährlichen Hund halten, oder er muss angekettet sein. In einer Stadt, die nahe am Hafen oder nicht weit von einer Grenze liegt, ist es erlaubt, den Hund in der Nacht freizulassen, und nur bei Tage muss er angebunden sein.«
Der Hund ist in diesem Fall wie eine Waffe im modernen Sinne zu betrachten. In unsere Zeit übersetzt, könnte man also daraus ableiten, dass man keine Waffen besitzen soll – und falls doch, dann müssen sie grundsätzlich gut gesichert sein, auch in Gegenden, die als unsicher gelten. In talmudischer Zeit waren das Häfen und Grenzregionen.
Böser Hund Der Talmud geht in seinen Einschränkungen aber noch weiter (Schabbat 63b): »Wer einen bösen Hund in seinem Haus großzieht, hält Barmherzigkeit von seinem Haus zurück. Einst kam eine Frau in ein Haus, um zu backen, und ein Hund bellte sie an, dann löste sich in ihr die Geburt. Da sprach der Hausherr zu ihr: Fürchte dich nicht, er hat weder Zähne noch Krallen. Sie erwiderte ihm: Vergeblich dein Trost ... die Geburt hat sich bereits bewegt.«
Selbst ungefährliche Hunde müssen also angeleint sein, denn sie können andere Menschen verängstigen und dadurch stressbedingte Schäden beziehungsweise Verletzungen verursachen.
Rabbiner Schlomo Luria, der Maharschal (Polen/Litauen, 16. Jahrhundert), weist darauf hin, dass viele rabbinische Autoritäten es ganz verbieten, einen gefährlichen Hund aufzuziehen, auch wenn er an Ketten gehalten wird. Dies würde bedeuten, dass ein gefährliches Objekt – wie eine Waffe – verboten ist, auch wenn es mutmaßlich gesichert ist.
Das heißt, es gibt auch einen rabbinischen Ansatz, Waffen vollständig zu vermeiden beziehungsweise ihren Besitz nur Soldaten und Polizisten zu erlauben. Wenn wir nun aber sagen, bestimmte Personen dürfen vielleicht doch Waffen besitzen, stellt sich die Frage, ob das für alle Menschen gilt, die an gefährlichen Orten leben, oder ob es beim Waffenkauf Beschränkungen geben sollte.
»Götzendiener« Im Talmud heißt es dazu (Awoda Sara 15b): »Ferner wird gelehrt: Man darf ihnen (Götzendienern) keine Waffe und kein Waffengerät verkaufen, man darf ihnen keine Waffe schleifen … Rabbi Dimi b. Abba sagte: Wie es verboten ist, Waffen an Götzendiener zu verkaufen, ebenso ist es verboten, sie an einen jüdischen Straßenräuber zu verkaufen. In welchem Falle: Ist er des Mordes verdächtigt, so ist das ja selbstverständlich … Ist er nicht des Mordes verdächtigt, weshalb denn nicht? Tatsächlich, wenn er nicht des Mordes verdächtig ist, nur handelt es sich um einen Wegelagerer, der dies tun könnte, um sich zu retten.«
Einem Götzendiener darf man keine Waffen verkaufen, weil man davon ausgehen muss, dass er sie gegen uns Juden einsetzen könnte, er also potenziell gefährlich für unsere Sicherheit ist.
Aber auch Juden dürfen nicht ohne weiteres Waffen kaufen: Juden, die »vorbestraft« sind, dürfen keine Waffen kaufen – übrigens nicht nur Mörder, sondern auch andere Kriminelle, die diese Waffen potenziell einsetzen könnten.
Als Fazit dieser kurzen Einführung kann man aus halachischer Perspektive sagen, dass es im Judentum grundsätzlich erlaubt ist, Waffen zu besitzen und sie auch zur Selbstverteidigung und für Sicherheitsmaßnahmen einzusetzen (wobei hier anzumerken ist, dass es auch Rabbiner gibt, die Waffen grundsätzlich ablehnen).
Vorsichtsmaßnahmen Dennoch bedeutet das nicht, dass jeder Waffen kaufen oder besitzen darf. Da eine Waffe ein gefährliches Objekt ist, verlangt die Halacha, dass Waffenbesitzer und -verkäufer alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen treffen, um zu verhindern, dass ihre Waffen Schaden anrichten, selbst wenn nur ein potenzielles Risiko besteht.
Die Käufer von Schusswaffen müssen sorgfältig überprüft werden, und bestimmte Gruppen scheiden kategorisch aus. Die Frage ist auch, welche Waffen zur Selbstverteidigung notwendig sind. Daher finde ich persönlich, dass automatische und halbautomatische Waffen grundsätzlich verboten werden sollten, da es sich um Angriffswaffen handelt.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Darmstadt und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).