Zur Zeit des Talmuds betrachtete man in Babylonien die Astrologie als Wissenschaft. Einige Rabbiner, darunter Rabbi Chanina, behaupteten, die Sterne hätten die Macht, das Schicksal zu bestimmen, und der Astrologe könne es entziffern.
Die beiden Weisen Rabbi Jochanan und Raw meinten, dies treffe vielleicht für Nichtjuden zu. Jedoch lehnten sie kategorisch ab, dass Sternbilder das Schicksal von Juden bestimmen – seien es Einzelpersonen oder die gesamte Nation. Denn die Astrologie zu legitimieren, würde nahelegen, dass G’tt lebenswichtige Angelegenheiten an Geschöpfe »auslagert«, so ihr Argument.
Astrologe Wir lesen im Talmud (Schabbat 156b), wie eines Tages der jüdische Astronom Schmuel, der die Astrologie ablehnte, mit dem nichtjüdischen Astrologen Awlet zusammensaß. Die beiden teilten in Gesprächen und Diskussionen ihre gemeinsame Faszination für die Sterne. Während sie so beisammensaßen, sahen sie eine Gruppe von Wanderern, die sich auf den Weg zu einem nahe gelegenen See machte.
Awlet, der behauptete, das Schicksal der Menschen durch die Ausrichtung der Sterne entschlüsseln zu können, teilte Schmuel mit, dass einer aus der Gruppe – nennen wir ihn Reuwen – während der Wanderung von einer giftigen Schlange gebissen werden würde. Infolgedessen, so Awlet weiter, werde Reuwen sterben und nicht mit den anderen zurückkehren.
Schmuel, der die Wirkung der Astrologie auf das Leben der Juden ablehnte, wies Awlets Vorhersage zurück. Er sagte: »Wenn Reuwen Jude ist, dann ist deine Vorhersage gegenstandslos, und er wird sicher zurückkehren!«
Tatsächlich kam Reuwen nach dem Ausflug zurück – und das sehr lebendig. Damit bewies er, dass Awlet unrecht und Schmuel recht hatte.
Schicksal Erstaunt über Reuwens Rückkehr erhob sich Awlet, griff nach Reuwens Rucksack und untersuchte seinen Inhalt. Er fand darin den durchgeschnittenen Kadaver einer Schlange, also genau der Schlange, von der er vorhergesagt hatte, dass sie den Wanderer töten würde. Da fragte Schmuel Reuwen: »Was hast du denn Gutes getan, dass G’tt sich deiner erbarmte? Es muss etwas sehr Verdienstvolles gewesen sein, denn dass du hier lebendig vor uns stehst und nicht von der Schlange zu Tode gebissen wurdest, zeigt, dass G’tt in dein Schicksal eingegriffen und dich vor der giftigen Schlange beschützt hat.«
Verlegen zögerte Reuwen, auf Schmuels Frage zu antworten. Er wisse nichts von einer Mizwa, die er getan haben könnte. Doch dann fiel ihm ein, dass er und seine Kameraden jeden Tag ihre Lebensmittelvorräte zusammenlegten und miteinander teilten. »Heute, am letzten Tag unseres Ausflugs, hatte einer von uns kein Brot mehr und konnte nichts zur gemeinsamen Mahlzeit beitragen. Es war ihm so peinlich, und er fühlte sich schlecht. Da sagte ich zu den anderen: ›Heute sammele ich von allen das Brot ein.‹ Als ich zu ihm kam, ließ ich es so erscheinen, als würde ich von ihm Brot nehmen, damit er sich nicht schämen muss.«
Da sagte Schmuel zu Reuwen: »Du hast eine große Mizwa erfüllt, denn du hast den Mann vor einer öffentlichen Verlegenheit bewahrt und ihm dadurch eine Wohltat erwiesen. Dieser Akt der Nächstenliebe hat dein Schicksal bestimmt, denn ›Gerechtigkeit (und wohltätige Handlungen) retten vor dem Tod‹ (Mischle 10,2).«