Fast zwei Wochen, vom 7. bis zum 17. November, treffen sich rund 25.000 Experten aus fast 200 Ländern zur Weltklimakonferenz in Bonn. Auf der Konferenz sollte die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens weiterverhandelt werden, bei dem vereinbart wurde, den globalen Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen.
Die Zeit drängt: Zu Beginn der Bonner Klimakonferenz erklärte die Weltorganisation für Meteorologie der Vereinten Nationen (WMO), dass es 2017 auf vielen Teilen der Erde erneut Wärmerekorde gab. Verwiesen wurde auch darauf, dass Millionen Menschen unter Extremwetterereignissen infolge des Klimawandels leiden – gewaltige Hurrikane, anhaltende Hitzewellen, massive Dürren, Waldbrände und Überschwemmungen.
fidschi Offizieller Gastgeber der Konferenz in diesem Jahr war Fidschi. Der kleine Inselstaat ist vom Klimawandel ganz besonders akut bedroht. Fidschis Premierminister Frank Bainimarama forderte mehr Anstrengungen gegen die Erderwärmung und entschlosseneres und schnelleres Handeln.
Als Beobachter stellt sich mir die Frage, ob die Klimaschutzdebatte auch eine theologische Frage sein kann. Driften wir als Geistliche nicht zu weit von unserer Kernaufgabe – dem Schutz der Religion – ab, wenn wir uns zum Beispiel in Diskussionen um Treibhausgasemission einschalten? Die evangelische Kirche beteiligt sich an der Debatte, verteilt in den Gemeinden grüne Zertifikate für umweltfreundliche Maßnahmen, achtet auf eine christlich-ökologische Ausrichtung. Auch in römisch-katholischen Kreisen gehört die Klimapflege bereits zur theologischen Diskussion.
In unseren Synagogen und Gemeindezentren ist davon eher weniger zu hören. Doch müssen wir klipp und klar sagen: Das Klima ist auch ein jüdisches Thema! Das Judentum achtet sowohl auf das geistige als auch das materielle Wohlergehen in der Welt. Unsere jüdischen Weisen haben sich schon vor mehr als 2000 Jahren mit Fragen der Umwelt befasst. Der Schutz der Natur hat oberste Priorität in der Tora, dem Phänomen der Umweltzerstörung wird viel Aufmerksamkeit geschenkt.
Bäume Etliche Kommentatoren betonen zum Beispiel das Verbot der Zerstörung von Bäumen. Die Tora lehrt uns, nichts zu zerstören, was für den Menschen nützlich sein könnte. Maimonides schreibt: »Verboten ist nur die unnütze Zerstörung. Nicht nur wer Bäume fällt, sondern auch wer Haushaltsgeräte zerbricht, Kleider zerreißt, ein Gebäude abbricht, eine Quelle verstopft oder Lebensmittel in zerstörerischer Absicht vernichtet, übertritt das Gebot ›Du sollst nicht zerstören‹« (Hilchot Melachim 7, 8–10). Das gilt sicherlich auch für die gesamte Natur.
Im Midrasch befindet sich ein bemerkenswerter Abschnitt: In der Stunde, da G’tt den ersten Menschen erschuf, nahm er ihn, führte ihn umher an den Bäumen des Gan Eden und sprach zu ihm: »Sieh meine Werke, wie schön und preiswürdig sind sie! Und alles, was Ich geschaffen habe, habe Ich deinetwegen geschaffen. Richte deinen Sinn darauf, dass du meine Welt nicht verdirbst und zerstörst; denn wenn du sie verdirbst, ist niemand da, der sie nach dir in Ordnung bringen kann.«
Was für ein visionärer Ausblick! Wer hätte vor Jahrtausenden ahnen können, dass die Umweltzerstörung 2017 zur größten Herausforderung der Welt werden würde? Der Konflikt zwischen dem Menschen und der Umwelt wird von den Weisen als Folge des Sündenfalls gesehen. Er störte das harmonische Verhältnis zwischen Mensch und Natur.
G’tt gebot: »Im Schweiße deines Angesichtes sollst du Brot essen« (1. Buch Mose 3,19). Danach musste der Mensch das Paradies verlassen, in dem die anderen Lebewesen weiterhin Nahrung und Schutz direkt vom Schöpfer erhielten. Unsere Zivilisation ist nicht so sehr Ausdruck unseres »Einfallsreichtums«, sondern vielmehr Ausdruck eines grundlegenden Harmoniemangels zwischen Mensch und Natur.
Talmud Obwohl der Begriff »Umweltverschmutzung« nicht im Talmud zu finden ist, wurden dort bereits Probleme wie Lärm, Luftverschmutzung und Schäden durch Feuchtigkeit, Hitze, Geruch und Erdbeben thematisiert. Die Industrie im alten Israel hätte natürlich nicht mit dem Ruhrgebiet mithalten können, aber viele heutige Probleme wurden bereits damals diskutiert. Ledergerbereien und Kalköfen waren wegen des Gestanks, des Rauchs und des Feuers äußerst umweltbelastend.
Diese »Industriezweige«, die in unseren Augen gering und unproblematisch scheinen, mussten damals außerhalb der Städte angesiedelt werden. Die Umweltverschmutzung wird im Talmud als Form der Beschädigung angesehen, sodass das Prinzip »der Verursacher zahlt« sicherlich keine Erfindung der postindustriellen Gesellschaft ist.
Die aktuelle Frage ist, ob Entschädigungszahlungen zulässig und verbindlich sind, zum Beispiel bei »Rauch- oder Geruchsschäden«. Schadensersatzvereinbarungen zwischen Unternehmen und benachbarten Dörfern können durch den Staat außer Kraft gesetzt werden. Wegweisend war ein italienischer Rabbiner des 16. Jahrhunderts, Daniel Estrosa, der sich schon damals mit diesem Thema befasst hat. In einem in die Geschichte eingegangenen Responsum (rabbinisches Gutachten) ordnete er an, dass ein Schlachthof, der für viele Geruchsbelästigungen sorgte, seine Türen schließen sollte, obwohl er sich bei den Anwohnern für die Verschmutzung freigekauft hatte.
schöpfung Obwohl in der Tora im 1. Buch Mose den Menschen nach der Schöpfung gesagt wurde, dass sie sich die Erde untertan und die Natur und die Tiere zunutze machen sollten, müssen wir anerkennen, dass die Welt nicht unser Eigentum ist.
Wir können nicht mit ihr machen, was wir wollen, wie der jüdische Kodex zeigt. Es ist bekannt, dass sie uns nur zur Verwahrung gegeben wurde, wie es Psalm 50 klar und deutlich sagt: »Denn mein ist das Erdenrund und seine Fülle.« Wir mögen die Natur unseren Interessen unterwerfen, aber es gibt sicherlich klare Grenzen.
Eine dieser Einschränkungen besteht darin, dass das allgemeine Interesse immer an erster Stelle stehen muss. Auch wenn eine Zerstörung einem Einzelnen zum Vorteil gereicht, aber der Gemeinschaft schadet, wird das Interesse des Gemeinwohls berücksichtigt.
Umweltschädliche Unternehmen können zum Beispiel zugunsten der Anwohner gezwungen werden, ihren Standort zu verlagern. Doch wer soll die Umzugskosten tragen? Grundsätzlich sollte der Verursacher dafür zahlen, aber unter bestimmten Umständen sollte auch die Gemeinschaft ihren Beitrag leisten. Dieses Problem der Abwägung wird oft durch eine bekannte These aus der Türkei von Rabbi Chaïm Palache bereits im 18. Jahrhundert veranschaulicht. Aber es gibt noch ältere Quellen, die von Interesse an der Umwelt zeugen.
Infrastruktur Eine gute Umweltinfrastruktur beugt viel Elend vor. Die Tora ist auch an der Stadtplanung beteiligt. Sie schreibt unter anderem vor, dass 48 Städte den Leviten gegeben werden sollen (4. Buch Mose 35,2–7). Und es soll ein freies Gebiet (ab der Stadtmauer 1000 Ellen, etwa 500 Meter) für Saat und Tiere und zusätzlich noch ein freies Feld (in alle Richtungen 2000 Ellen, etwa 1000 Meter) angelegt werden. Nach Maimonides (1135–1204) galt diese Bestimmung für alle Städte in Israel. Vielleicht wollte die Tora verhindern, dass gigantische Ballungsräume entstehen?
Viele moderne Publikationen beschäftigen sich mit technischen Aspekten der Umweltverschmutzung, jedoch zeigt uns die Umweltverschmutzung auch ein moralisches Dilemma. Jegliche Verschmutzung wird durch verantwortungslose Einzelpersonen verursacht, die ihre Abfälle auf Kosten der Gemeinschaft entsorgen und sich nicht darum kümmern, welche Auswirkungen dies auf die Umwelt hat.
Der berühmte Schriftsteller und Rabbiner Aryeh Carmell (1917–2006) weist auf den Zusammenhang von materieller und spiritueller Verschmutzung hin, besonders in unserer Zeit. Es ist ironisch, argumentiert er, dass die Weltöffentlichkeit sich voll und ganz mit der Umweltverschmutzung beschäftigt, aber kaum ihre Aufmerksamkeit auf den zunehmenden moralischen Verfall richtet. Tagtäglich werden wir mit Nachrichten über Gewalttaten und andere Verbrechen bombardiert.
Es steht eindeutig fest, dass wir als religiöse Führer die Pflicht haben, uns zum Klimawandel zu äußern und zu verhalten. Insofern ist auch die Bonner Klimakonferenz ein guter Anlass, daran zu erinnern. Doch dürfen wir dabei nicht die spirituelle Verschmutzung und den moralischen Verfall ignorieren. Denn beide sind gleichermaßen bedeutsam wie gefährlich.
Der Autor ist Dajan beim Europäischen Beit Din, Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).