Herr Rabbiner Nachama, Sie sind am Wochenende in Bonn zum neuen jüdischen Präsidenten des Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gewählt worden. Was bedeutet Ihnen dieses Amt?
Es ist sehr stark geprägt von meinem Vorgänger Henry G. Brandt, der dieses Amt als jüdischer Präsident 31 Jahre lang innehatte, und zwar durch den christlich-jüdischen Dialog, der einen großen Schwerpunkt auf die biblischen Schriften gelegt hat. Daran will ich anknüpfen. Meine eigene Erfahrung ist, dass dieser christlich-jüdische Dialog am besten funktioniert, wenn er sich mit unterschiedlichen Interpretationsweisen einzelner biblischer Sätze oder Geschichten auseinandersetzt – also dass man Antworten auf die Fragen erfährt: Wo steht der andere, und wo stehen wir? Was ist das Gemeinsame, was das Trennende? Dieser respektvolle Umgang miteinander, das ist für mich christlich-jüdischer Dialog.
Gibt es etwas, das Sie anders machen würden als Ihr Amtsvorgänger?
Nein, das sehe ich nicht.
Bedeutet Rabbiner Brandts Rückzug tatsächlich, wie der Koordinierungsrat es genannt hat, das »Ende einer Ära«?
Ja, auf jeden Fall. Henry G. Brandt hat die Arbeit jahrzehntelang geprägt. Als Ehrenvorsitzender steht er uns mit seinem Rat und seinen Erfahrungen weiterhin zur Verfügung. Das ist für uns sehr wichtig.
Wie steht es Ihrer Meinung nach heute um den christlich-jüdischen Dialog?
Er ist nach wie vor respektvoll, obwohl er auch von Kontroversen gekennzeichnet ist. Aber das ist okay, denn es geht ja nicht darum, einen gemeinsamen Glauben zu schaffen. Es gibt dabei auch eine politische Dimension: In dieser Woche war Verfassungstag – am 23. Mai 1949 ist das Grundgesetz in Kraft getreten. Und der christlich-jüdische Dialog ist sozusagen ein ungeschriebener Artikel unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Man kann ihn nicht den Kirchen überlassen, das zeigen die Auseinandersetzung um die Karfreitagsfürbitte und die möglicherweise drohende Wiederaufnahme der Piusbrüderschaft in die katholische Kirche. Problematisch sind auch die Debatte um den evangelischen Theologen Notger Slenczka und die Rolle des »Alten Testaments«, oder von einzelnen Landeskirchen benannte Vertreter für Religionsdialog, die mal eben die Schoa und das Leid der Palästinenser gleichsetzen.
Welche Bedeutung haben die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im gesellschaftlichen Diskurs?
Sie sind sozusagen die erste Bürgerinitiative Deutschlands, und an dieser Stelle müssen wir ansetzen. Die »Woche der Brüderlichkeit« als Kernpunkt unserer Arbeit wird öffentlich stark wahrgenommen. In den vergangenen Jahren wurde immer wieder darüber diskutiert, ob wir das eigentlich noch brauchen. Aber gerade die genannten Probleme zeigen, wie dringlich und notwendig dieser Dialog auch heute ist.
Werden sich die Gesellschaften verändern, vielleicht auch verjüngen?
Sie haben sich über die Jahre hinweg immer verjüngt – vor 31 Jahren war der Altersdurchschnitt nicht höher als heute. Um den christlich-jüdischen Dialog in einer Intensität führen zu können, wie es die Gesellschaften machen, braucht man Zeit. Viele, die ihr aktives Berufsleben hinter sich lassen, haben dafür mehr Zeit.
Sie sind in Berlin im Drei-Religionen-Projekt »House of One« aktiv. Wollen Sie die Gesellschaften auch für den Dialog mit dem Islam öffnen?
Einige Gesellschaften tun das bereits, das wird sich immer wieder in einzelnen Punkten ergeben. Aber der christlich-jüdische Dialog ist nach wie vor etwas Besonderes.
Sie sind Historiker, Direktor der »Topographie des Terrors« und Rabbiner der Synagogengemeinde »Sukkat Schalom« in Berlin. Haben Sie denn auch Zeit für Ihr neues Amt?
Ich war ja bisher schon im Vorstand des Koordinierungsrates. Wie sagt man? Ich arbeite 24 Stunden am Tag. Wenn das nicht reicht, nehme ich die Nacht noch dazu.
Mit dem Historiker und neuen Präsidenten des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) sprach Ayala Goldmann.