Wunder

Relikt aus Urzeiten

Der Stab ist es, mit dem unser Lehrer Mosche und sein Bruder Aharon die Wunder vor den Augen des Pharao vollbringen und die Plagen auf G’ttes Befehl hin über die Ägypter hereinbrechen lassen. Foto: Thinkstock

Wunder

Relikt aus Urzeiten

Laut der Mischna ist Mosches hölzerner Hirtenstab kurz vor Beginn des ersten Schabbats entstanden

von Netanel Olhoeft  03.04.2017 18:55 Uhr

Beim Auszug des jüdischen Volkes aus Ägypten nimmt ein hölzerner Hirtenstab eine ganz besondere Stellung ein. Er ist es, mit dem unser Lehrer Mosche und sein Bruder Aharon die Wunder vor den Augen des Pharao vollbringen und die Plagen auf G’ttes Befehl hin über die Ägypter hereinbrechen lassen. Ja, ihn erhebt Mosche auch im Gebet, um Amalek, den Feind der Israeliten, in der Wüste zu bezwingen. Schließlich vollführt der Ewige an diesem außergewöhnlichen Zepter selbst auch noch ein kleines Wunder, indem Er aus seinen hölzernen Fasern idyllische Knospen und Blüten hervorsprießen lässt.

Doch obwohl die Tora unsere Neugierde in Bezug auf diesen Stab durchweg nährt, verrät sie uns kaum etwas über den Hintergrund dieses Stockes, bis wir ihn schließlich in Mosches Hand am brennenden Dornbusch finden; dazu den Auftrag, ihn zukünftig einzusetzen. Insofern ist es verständlich, dass unsere Weisen der Frage nachgehen, ob der Stab womöglich eine längere Vorgeschichte hatte, aufgrund derer er sich als Hilfsmittel der kommenden Erlösung eignete.

überlieferung Rabbi Levi vermittelt uns die folgende Überlieferung als mögliche Antwort (Pirkej deRabbi Elieser 40): »Der Stab, der bereits in der Abenddämmerung des Freitags der Schöpfungswoche geschaffen wurde, wurde dem ersten Menschen noch im Garten Eden gegeben. Und Adam vererbte ihn seinem Nachkommen Chanoch.« Schließlich gelangte der Stab an Jakow, der ihn mit nach Ägypten nahm und ihn seinem Sohn Josef überließ.

Weiter berichtet der Midrasch, dass Josefs Besitz nach dessen Tod beschlagnahmt und im Palast des Pharaos verstaut wurde. Jitro, der Priester Midians, damals einer der Hofgelehrten des Pharaos, erblickte schließlich den Stab und die Schriftzeichen, die in ihn eingeritzt waren.

Wörtlich heißt es im Text: »Jitro begehrte ihn in seinem Herzen, weshalb er ihn an sich nahm und in seinem Garten in Midian einpflanzte. So war der Stab stets bei Jitro, und es gelang (auf mystische Weise) von nun an keinem Menschen mehr, an ihn heranzutreten. Als aber Mosche bei seiner Flucht aus Ägypten in das Haus Jitros kam, ging er hinaus in den Garten und sah den Stab dort stecken. Sogleich las er die Schriftzeichen, streckte seine Hand aus und nahm den Stab an sich. Dies sah Jitro, woraufhin er sagte: Dieser Mann wird einst Israel aus Ägypten erretten. Deshalb gab er ihm seine Tochter Zippora zur Frau.«

tradition Gemäß Rabbi Levis Tradition hat dieser »anonyme« Stab der Tora also eine Herkunft – und ist ein erstaunliches Relikt frühester Urzeit. Wie unsere Weisen lehren und die großen jüdischen Denker des Mittelalters ausführen, sind die wenigen Wunder, die in der Weltgeschichte passieren, bereits als Teil des Schöpfungsplanes angelegt worden.

In diesem Sinne lesen wir in der Mischna, dass es eine bestimmte Anzahl von Dingen gibt, die bei der Weltschöpfung von vornherein eingebaut wurden, um zu ihrer rechten Zeit einzutreffen – so etwa die plötzliche Sprachfähigkeit des Bilamschen Esels oder die Bodenöffnung, die den Korach verschlang.

All diese wunderlichen Elemente konnten aber nicht in den sechs Tagen des Schöpfungswerkes entstehen, da diese nur der Einrichtung der natürlichen Dinge dienten. Doch auch am Ur-Schabbat konnten sie nicht in die Welt gesetzt werden, da G’tt ja an diesem Tag keine Arbeit verrichten wollte!

generationen So blieb also, wie unsere Weisen auslegen, nur die kurze Dämmerungszeit zwischen Freitag und Schabbat übrig, um diesen Dingen ihren Platz in der Schöpfung einzuräumen. Mosches Stab, der demnach selbst ein Wunder ist, musste also auch in jener kurzen Spanne entstehen. Dann sei er durch die Generationen bis an Mosche weitergereicht worden.

Eine der vielen Ideen, die dieser Aggada zugrunde liegen, ist es, dass jedes Teilstück der Welt seinen Platz, seine Geschichte und seine ihm ganz eigene Aufgabe hat. Der hölzerne Wunderstab wurde durch die aufregende Weltgeschichte einem Staffelstab gleich weitergetragen, bis er das Ziel erreichte, das ihm von vornherein zugedacht war: die Rettung schaffenden Hände Mosche Rabbenus – zur Freude des in die Freiheit ziehen Volkes Israel.

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025

Chaje Sara

Bewusster leben

Sara hat gezeigt, dass jeder Moment zählt. Sogar ihr Schlaf diente einem höheren Ziel

von Samuel Kantorovych  13.11.2025

Spurensuche

Von Moses zu Moses zu Reuven

Vor 75 Jahren starb Rabbiner Reuven Agushewitz. Er verfasste religionsphilosophische Abhandlungen mit einer Intensität, die an Maimonides und Moses Mendelssohn erinnert. Wer war dieser Mann?

von Richard Blättel  13.11.2025