In Pirkej Awot (4,1) finden wir eine auf den ersten Blick leicht verständliche Aussage: »Wer ist reich? Derjenige, der glücklich ist mit dem, was er hat.« Davon ausgehend, könnte man zwei Fragen stellen: Wenn man lernt zu schätzen, was man hat, wird man dann glücklicher? Und, ist es möglich, dass Reichtum auch ein Test sein kann?
Der Talmud erklärt, dass Rabbi Jehuda HaNasi die Wohlhabenden ehrte, und genauso tat es Rabbi Akiva, denn in Psalm 61,8 steht geschrieben: »Du wollest dem König langes Leben geben, dass seine Jahre währen und dass er immer throne vor Gʼtt. Lass Güte und Treue ihn behüten!« Beide Gelehrten folgten der Auslegung des Verses durch Rava bar Mari, der erklärte: Wenn ein wohlhabender Mensch anderen Menschen Essen gibt, so verdient er es, vor Gʼtt zu thronen, und es sollen ihm Ehre und Respekt gewährt werden. Deswegen ist es nur richtig, diejenigen reichen Menschen zu ehren, die anderen auf solche Weise Güte zukommen lassen.
Die Mizwa von Zedaka
Sollte es dann im Umkehrschluss heißen: Wer seinen Reichtum nicht mit anderen teilt, dem soll weder Ehre noch Respekt zuteilwerden? Hat man dann seine Aufgabe auf dieser Welt verfehlt? Schließlich kann man sich durch die Mizwa von Zedaka unermesslichen spirituellen Reichtum verdienen.
Also könnte man sich den richtigen Umgang mit Reichtum auch so vorstellen, dass man zu richtiger Zeit (gʼttgewollt), am richtigen Ort (ebenso gʼttgewollt) und mit den richtigen Mitteln (reich) geboren wurde und diese Mittel (das Geld) auch zu verwenden wusste, um anderen zu helfen (innerhalb des halachisch erlaubten Maximums). Dieses »zu verwenden wissen«, ist wohl das Allerwichtigste im Umgang mit dem Test des Reichseins. Es bewegt den Fokus weg vom »ich und meins« zu »wir und Gesellschaft«. Und somit auch weg vom Egoismus zu mehr Verantwortung.
Dazu bringt Rabbi Jakow ben Wolf Kranz, der Dubner Maggid (1741–1804), folgende Geschichte: Ein reicher Mann fuhr nach einem Handel in einer schönen Kutsche vom Markt zurück nach Hause. Zur gleichen Zeit ging ein armer Händler nach Hause, jedoch zu Fuß, sodass er eine Weile neben der Kutsche des reichen Mannes lief. Der reiche Mann beschimpfte den Armen, er solle nicht neben seiner Kutsche gehen, damit niemand denken möge, die beiden hätten geschäftlich miteinander zu tun. Darauf antwortete der arme Mann: »Wir beide haben unsere Waren auf Kredit gekauft.« Sprich, Gʼtt hat dem reicheren Mann auch mehr Verantwortung gegeben. Doch dieser sah Reichtum eher als Statussymbol und nicht als Mittel zum guten Zweck.
Reichtum ist auch ein Test
Unser Weisen lehrten: So gesehen, ist Reichtum auch ein Test. Denn der Mensch will immer mehr, als er gerade hat, so reich er auch sein mag.
Reichtum bedeutet also nicht automatisch Glück und Erfüllung, denn das, was ein Mensch besitzt, sagt nichts über sein Wesen aus. In diesem Sinne ist ein Mensch reich, wenn er sich an dem erfreut, was er hat. Er leidet nicht unter dem Druck, noch mehr zu besitzen, um glücklich zu sein. Zudem läuft er weniger Gefahr, hochmütig zu werden und anderen gegenüber überheblich zu handeln.
Wenn ein Jude mit Freude das Leben und die Umstände akzeptiert, die der Allmächtige für ihn ausgewählt hat, so verhält sich auch der Allmächtige ihm gegenüber Midda keneg Midda (Maß für Maß). Das bedeutet, dass auch der Allmächtige zufrieden mit ihm ist und ihn so akzeptiert, wie er ist.
In Zeiten materiellen Reichtums, ja Überflusses, ist es nicht immer leicht, genügsam zu sein. Doch braucht man wirklich immer mehr materielle Güter zum echten Glück? Und wie fühlt man sich glücklicher mit dem, was man schon hat? Man könnte beispielsweise beginnen, sich in hakorat hatov, in Dankbarkeit, zu üben und jeden Tag nach etwas zu suchen, wofür man dankbar sein kann. Denn oft sind es die vermeintlich kleinen Dinge, die mit keinem Geld der Welt zu kaufen sind, die uns wirklich glücklich machen – wenn wir sie nur bemerken.