Vor 80 Jahren

Regina Jonas war eine Pionierin - und ist bis heute ein Vorbild

Rabbinerin Regina Jonas (1902-1944) Foto: Centrum Judaicum

Hier wird der Brief einer Pionierin an den jüdischen Philosophen Martin Buber aufbewahrt: Regina Jonas, die weltweit erste Frau, die als Rabbinerin ordiniert wurde, wandte sich 1938 an Buber. Das Schreiben befindet sich im Archiv der israelischen Nationalbibliothek in Jerusalem und ist Teil des Buber-Nachlasses. Jonas wohnte seinerzeit in Berlin.

Auch die erste Rabbinerin der Welt überlebte den Nazi-Terror nicht: Vor 80 Jahren, am 12. Oktober 1944, wurde Jonas vom Ghetto Theresienstadt in das KZ Auschwitz deportiert. Auf einer Liste mit den Namen von 1500 Jüdinnen und Juden für einen entsprechenden Transport an diesem Datum steht auch der Name von Jonas. Die Liste ist auf der Internetseite der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem einsehbar.

In Theresienstadt war Jonas gemeinsam mit ihrer Mutter seit 1942 gefangengehalten worden. Auch dort wirkte sie rabbinisch. Nicht lange nach ihrer späteren Ankunft in Auschwitz wurden Mutter und Tochter ermordet. Regina Jonas wurde nur 42 Jahre alt, als ihren Todestag nennt Yad Vashem den 12. Dezember. Weitere Quellen geben als anderes mögliches Datum den Tag ihrer Deportation nach Auschwitz an.

»Vorreiterrolle als weibliche Rabbinerin«

Stefan Litt ist Kurator der geisteswissenschaftlichen Sammlung an der israelischen Nationalbibliothek. Auf Anfrage sagt er, welche Bedeutung Regina Jonas aus seiner Sicht heute hat: »Durch ihre Vorreiterrolle als weibliche Rabbinerin schon in den 1930er Jahren ist sie ohne Zweifel eine inspirierende Persönlichkeit bis heute. Genau diese Kombination - eine Frau als Rabbinerin - ist ein bedeutendes Merkmal für eine wirklich liberale und gleichberechtigte Religionsausübung.«

Jonas hatte einen langen Weg vor sich. Am 3. August 1902 kam sie in Berlin zur Welt und wuchs im jüdischen Scheunenviertel auf, das damals von bescheidenem Leben bis hin zu Armut geprägt war. Nach ihrem Abitur belegte sie ein Lehrerseminar, um jüdische Religion an Mädchenschulen unterrichten zu dürfen. 1924 schrieb sie sich an der liberalen Hochschule für die Wissenschaft des Judentums ein - um Rabbinerin zu werden. Die Hochschule war die erste akademische Einrichtung des liberalen Judentums. Sie bestand bis 1942, als die Nazis sie schlossen.

Elf Jahre nach ihrer Immatrikulation und des Beschreitens eines steinigen Weges war es soweit: Rabbiner Max Dienemann vom Liberalen Rabbinerverband willigte 1935 in die Ordination von Jonas ein. Sie arbeitete fortan in Berlin in der Pastoral und kümmerte sich um Kranke. Und: Als in den 1930er Jahren die Nationalsozialisten immer mehr Rabbiner inhaftierten oder zur Immigration zwangen, predigte Jonas zunehmend in Synagogen der Stadt.

»Kulturelle Notwendigkeit«

Im Zuge ihrer Ausbildung hatte Regina Jonas die Frage erörtert, ob Frauen Rabbinerinnen sein können - aus Sicht der Orthodoxie war dies unvereinbar mit der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz. Jonas kam zu dem Schluss, dass »so gut wie nichts Halachisches, aber Vorurteil und ein Mangel an Vertrautheit dagegen stehen, dass Frauen ein rabbinisches Amt bekleiden«, wie es im Jewish Women’s Archive heißt. Es sei sogar eine »kulturelle Notwendigkeit«.

Deutschland war vor der Schoah ein Zentrum des liberalen Judentums. Nach der Ermordung von rund sechs Millionen europäischen Jüdinnen und Juden konnte an diese Tradition nicht angeknüpft werden, denn die wenigen Jüdinnen und Juden, die in Deutschland blieben, waren meist orthodox. Regina Jonas war lange weitgehend unbekannt, bis ihre Geschichte nach und nach wieder erforscht wurde. Nach Angaben der Union progressiver Juden in Deutschland gibt es inzwischen weit über 1.000 Rabbinerinnen weltweit.

Lesen Sie auch

Alina Treiger studierte am liberalen Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam. 2010 wurde Treiger als erste Frau in Deutschland nach der Schoah zur Rabbinerin ordiniert und steht damit in einer Nachfolgelinie zu Jonas. »Regina Jonas und andere Rabbinerinnen haben für mich den Weg geebnet«, sagte sie einmal der KNA. »Sie war eine unglaublich starke Persönlichkeit.« Sie habe großen Respekt davor, dass Jonas geradlinig diesen schwierigen Weg gegangen sei.

Josias Terschüren

Die Kirche schafft sich ab

Jetzt soll ausgerechnet der Antizionismus helfen, den gesellschaftlichen Niedergang der Kirche zu stoppen

von Josias Terschüren  08.07.2025

Nahost

»Öl ins Feuer des anwachsenden Antisemitismus«

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt wirft der evangelischen Kirche moralisches Versagen vor und kritisiert eine Erklärung des Weltkirchenrats, in der Israel »dämonisiert« werde

 05.07.2025

Chukat

Ein Tier, das Reinheit schafft

Wir können die Mizwa der Roten Kuh nicht verstehen – aber ihre Bedeutung erahnen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  04.07.2025

Talmudisches

Die weibliche Idee hinter König David

Was Kabbalisten über Eschet Chajil, die tüchtige Frau, lehren

von Vyacheslav Dobrovych  04.07.2025

Jerusalem

Das falsche Grab

Das Buch der Könige gibt Auskunft darüber, wo David wirklich begraben wurde

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  03.07.2025

Interview

»Inhalte statt Konflikte produzieren«

Rabbinerin Elisa Klapheck will in ihrer zweiten Amtszeit als Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz zusammenführen

von Mascha Malburg  03.07.2025

Kirchen

Theologe Staffa kritisiert Apartheidsbeschluss des Weltkirchenrates

Der Apartheidsvorwurf sei einfach falsch, sagte der christliche Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden beim Deutschen Evangelischen Kirchentag

von Stephan Cezanne  01.07.2025

Essay

Der Weltkirchenrat auf Abwegen

Die Organisation mit mehr als 350 meist protestantischen Kirchen stimmt in den Chor all derer ein, die ein antiisraelisches Lied nach dem anderen singen. Immer lauter. Immer wütender. Immer obsessiver

von Daniel Neumann  29.06.2025

Talmudisches

Beten gegen das Böse

Was unsere Weisen über den freien Willen und moralische Entscheidungen lehrten

von Vyacheslav Dobrovych  27.06.2025