Moses und Korach

Raus aus der Ego-Falle

Showdown: Es muss nicht zum Äußersten kommen. Die Tora zeigt, wie Gewalt in Konfliktsituationen vermieden werden kann. Foto: ddp

Die meisten von uns erleben fast täglich kleine Kämpfe, in denen das Ego die Hauptrolle spielt. Wir widersprechen jemandem hartnäckig, obwohl wir tief im Innern wissen, dass unser Gesprächspartner recht hat. Aus irgendeinem Grund leisten wir Widerstand gegen seine Argumente.

In so einem Fall kann man sicher sein, dass das Ego die Oberhand hat. Mein Vater seligen Angedenkens pflegte zu sagen, die Logik habe auf viele Probleme keine Antwort. »Die Menschen handeln nicht der Logik gemäß.«

kämpfe In der Praxis wurde mir das während meiner Tätigkeit als Eheberater klar. Wenn der Kampf der Egos härter wird und ein Streit ausbricht, in dem das Ego der einen Partei einen Dämpfer erhält, gehen alle logischen Argumente den Bach runter. Der Streit dreht sich nicht mehr darum, wer nach den Gesetzen der Vernunft recht hat; der Konflikt zwischen Ideen verwandelt sich in einen Kampf zwischen Egos.

In einem hintergründigen Kommentar definieren unsere Weisen (Sprüche der Väter 5,19) den Kampf zwischen den Egos als einen Streit, der nicht um »des Himmels willen« geführt wird – das heißt, als einen Streit, der nicht von den daran beteiligten Personen gelöst werden kann. Das Beispiel für einen nicht himmlischen Kampf, das die Weisen anführen, ist der Aufstand von Korach und seinen Gefolgsleuten gegen Moses. Eine sorgfältige Lektüre der Erzählung vom Korach-Aufstand vermittelt uns eine tiefe Einsicht, wie man aus solchen Ego-Kämpfen die Luft herauslassen kann.

Wir können die Erzählung in vier Teile gliedern: Zunächst stellt sich Korach, zusammen mit 250 Männern aus dem Volk, gegen Moses und Aaron und sagt zu ihnen: »Ihr nehmt euch zu viel heraus. Alle sind heilig, die ganze Gemeinde, und der Herr ist mitten unter ihnen. Warum erhebt ihr euch über die Gemeinde des Herrn?« Im nächsten Teil heißt es in der Tora: »Als Moses das hörte, warf er sich auf sein Gesicht nieder.«

In der Folge schlägt Moses vor, einen Wettbewerb zu veranstalten, in dem G’tt Richter sein soll. Moses sagt zu Korach und seinen Anhängern, sie sollten am nächsten Morgen Räucherpfannen nehmen und Weihrauch verbrennen; Aaron würde das Gleiche tun. Derjenige, dessen Rauchopfer der Herr annimmt, soll der Sieger im Wettbewerb und somit der Heilige und Erwählte sein: »Dann wird sich zeigen, wen der Herr erwählt und wer der Heilige ist.«

Doch der Dialog endet hier nicht. Nachdem er die Regeln für den Wettbewerb am kommenden Tag festgelegt hat, versucht Moses eine andere Taktik. Er argumentiert mit Korach und den anderen auf vernünftige Weise und sagt: »Hört, ihr Leviten! Ist es euch noch zu wenig, dass euch der G’tt Israels aus der Gemeinde Israels herausgehoben hat, um euch in seine Nähe zu holen, damit ihr an der Wohnstätte des Herrn Dienst tut, vor die Gemeinde tretet und für sie euren Dienst verrichtet? Er hat dich und alle deine Brüder, die Leviten, die bei dir sind, in seine Nähe geholt, doch nun wollt ihr auch noch das Priesteramt. Deshalb rottet ihr, du und dein ganzer Anhang, euch gegen den Herrn zusammen. Über Ihn, nicht über Aaron, murrt ihr.«

schaden Die Geschichte des Egos ist eine zutiefst unangenehme Geschichte. Millionen haben ihm ihr Leben geopfert; das Ego hat Familien zerstört und Herzen gebrochen; das Ego ist die Hauptursache für Krieg, Hunger, Armut und Mord. Doch ob man diesen Umstand verherrlicht oder verabscheut – Egos gehören nun mal zum Leben. Es hat sie immer gegeben und wird sie immer geben. Alles, was wir tun können, ist zu lernen, wie man ihr Potenzial für Massenvernichtung in Schach hält.

Auf den ersten Blick scheint es, als hätte Moses falsch gehandelt, als wäre er nicht in der richtigen Reihenfolge vorgegangen. Wäre es nicht besser gewesen, er hätte mit Korach zunächst vernünftig argumentiert und ihm erst dann, nach dem Scheitern dieses Versuchs, die Möglichkeit eines Wettstreits, der durch einen außenstehenden Schiedsrichter, nämlich G’tt, entschieden werden sollte, angeboten? Warum hat Moses erst den Wettbewerb vorgeschlagen und danach versucht, Korach mit Argumenten zu überzeugen?

Die Antwort ist einfach, macht aber sehr viel Sinn. Wenn jemand mit uns Streit sucht, weil wir sein Ego verletzt haben, müssen wir ihm als Erstes zuhören und auch zeigen, dass wir ihm zugehört haben. Genau das tat Moses: »Als Moses das hörte, warf er sich auf sein Gesicht nieder.« Die Tora hätte einfach sagen können: »Als Moses das hörte, war er verstört.« Die Tatsache, dass die Tora uns berichtet, Moses habe »sich auf sein Gesicht« niedergeworfen, macht deutlich, wie wichtig es ist, durch augenfällige Gesten zu zeigen, dass die Argumente des anderen gehört wurden.

vernunft Der nächste Schritt besteht darin, die Sache zu entpersonalisieren, indem man sein eigenes Ego herausnimmt, sodass es sich nicht länger um einen Kampf zwischen zwei Egos handelt. Dieses Ziel erreichte Moses, indem er einen Wettbewerb mit G’tt als Schiedsrichter vorschlug.

Nachdem er Korachs Anliegen angehört hat, gibt Moses sofort nach und sagt mehr oder weniger, er habe kein Problem damit, dass Korach statt Aaron Hohepriester sein soll; doch G’tt solle darüber entscheiden. Sobald Moses als Persönlichkeit aus dem Spiel ist, verliert der Kampf der Egos all seinen Schwung; nun ist Moses in der Lage, Schritt drei umzusetzen – und Korach mit logischen Argumenten zu überzeugen. Jetzt ist also klar, warum Moses zunächst den Wettbewerb anbieten musste: Erst damit war die Voraussetzung geschaffen, dass Logik überhaupt funktionieren konnte.

Die Korach-Erzählung zeigt uns einen dreistufigen Plan auf, wie wir mit unseren tagtäglichen Ego-Kämpfen umgehen können. Erstens: zuhören. Zeigen Sie aktiv, dass Sie der anderen Partei zugehört haben. Zweitens: entpersonalisieren. Nehmen Sie Ihr Ego aus dem Spiel, entweder durch Entpersonalisierung oder indem Sie den Vorschlag machen, die Sache zu verschieben und dem bindenden Urteil einer unabhängigen dritten Partei zu unterwerfen. Drittens: Logik. Nachdem das Ego aus der Diskussion ist, kann aus einem Krieg zwischen zwei Egos wieder ein Wettstreit der Argumente werden, die Logik hat dann eine Chance.

Auch wenn diese Schritte schwer in die Praxis umzusetzen sind, vor allem, wenn man es mit einem leidenschaftlichen Gegner zu tun hat, kann Moses uns inspirieren. Wenn Moses, einer der größten Führer der Weltgeschichte, es konnte, können wir es auch. Letztendlich ist die Fähigkeit, sich über Ego-Kämpfe zu erheben, ein entscheidendes Zeichen der Größe.

Der Autor ist Rabbiner in Evergreen/Colorado/USA. www.levibrackman.com

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024

Toldot

Jäger und Kämpfer

Warum Jizchak seinen Sohn Esaw und nicht dessen Bruder Jakow segnen wollte

von Rabbiner Bryan Weisz  29.11.2024

Talmudisches

Elf Richtlinien

Wie unsere Weisen Psalm 15 auslegten

von Yizhak Ahren  29.11.2024

Ethik

»Freue dich nicht, wenn dein Feind fällt«

Manche Israelis feiern auf den Straßen, wenn Terroristenführer getötet werden. Doch es gibt rabbinische Auslegungen, die jene Freude über den Tod von Feinden kritisch sehen

von Rabbiner Dovid Gernetz  29.11.2024

Potsdam

In der Tradition des liberalen deutschen Judentums

Die Nathan Peter Levinson Stiftung erinnerte an ihren Namensgeber

 28.11.2024

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  28.11.2024

Berlin

Spendenkampagne für House of One startet

Unter dem Dach des House of One sollen künftig eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee Platz finden

von Bettina Gabbe, Jens Büttner  25.11.2024

Chaje Sara

Handeln für Generationen

Was ein Grundstückskauf und eine Eheanbahnung mit der Bindung zum Heiligen Land zu tun haben

von Rabbiner Joel Berger  22.11.2024

Talmudisches

Elefant

Was unsere Weisen über die Dickhäuter lehrten

von Rabbiner Netanel Olhoeft  22.11.2024