Wenn Yemina Mizrachi einen Raum betritt, geht ein Raunen um. Und wenn sie dann anhebt zu sprechen, wird es ganz still. »Alle Frauen sind heilig. So etwas wie unheilige Frauen gibt es nicht«, sagte sie Anfang der Woche bei der ersten European Rebbetzins Convention in Wien. Dafür erhielt sie Applaus.
Drei Dutzend Rabbinerfrauen haben sich in den Räumen der Israelitischen Kultusgemeinde eingefunden, um sich auszutauschen und über die Herausforderungen ihres Alltags zu sprechen. Es ist ein Zusammentreffen von Frauen, die in ihren Gemeinden mit ganz unterschiedlichen Problemen, mit völlig verschiedenen Herausforderungen konfrontiert sind.
schnitzel Yemina Mizrachi hat ein offenes Ohr dafür. »Entwickelt keine Abhängigkeit, seid bescheiden, aber hört auf euch! Vergebt!«, rät sie – so wie sie sich für das riesige Schnitzel vergebe, das sie am Vorabend verdrückt habe. Es gehe darum, glücklich zu sein, sagt sie. »Wenn du glücklich bist, mach weiter – wenn du nicht glücklich bist, hör auf zu tun, was dich unglücklich macht.«
Es sind die Themen abseits der religiösen Grundsätze, die das Klima in einer Gemeinde schaffen. Und um den Umgang mit genau diesen Themen geht es hier: um Alltagsfragen. Wie sollte man damit umgehen, wenn eine Frau unangemessen gekleidet zum Gebet erscheint, fragt eine der Teilnehmerinnen. Wie handhabt man die Kindererziehung in kleinen Gemeinden, die keine eigenen Kindergärten oder Schulen haben? Was rät man, wenn Gemeindemitglieder fragen, wie man damit umgehen solle, wenn in der Schule Weihnachten oder Ostern gefeiert werde?
Rebbetzins sind die niederschwelligen Ansprechpartnerinnen in einer Gemeinde.
Rebbetzins sind die niederschwelligen Ansprechpartnerinnen in einer Gemeinde. Sie sind Zuhörerinnen und Ratgeberinnen, ja gewissermaßen Mediatorinnen und Therapeutinnen. Und sie sind zugleich das soziale Sensorium am Puls des Befindens einer Gemeinde.
»Es hat sich noch nie jemand bei den Rebbetzins bedankt«, sagt Gady Gronich, Geschäftsführer der Conference of European Rabbis Foundation (CER). Darum geht es bei der European Rebbetzins Convention. Es geht darum, die Rolle der Rebbetzins zu würdigen, sie anzuerkennen, sie aber auch zu befähigen, ihrer sozial wichtigen Tätigkeit nachzukommen.
notwendigkeit Angefangen hat alles damit, dass die CER die Notwendigkeit erkannt hat, vor allem junge Rabbiner im Umgang mit Alltagsproblemen in ihren Gemeinden zu schulen. Vor knapp drei Jahren hat die CER ein entsprechendes jeweils einjähriges Weiterbildungsprogramm gestartet.
Da geht es um Fragen wie: Was tut man, wenn ein Gemeindemitglied mit Fragen zu Eheproblemen kommt? Oder was rät man, wenn beim Thema Kindererziehung Probleme auftreten? Teil des Plans ist ein Mentoring-System. Jungen Rabbinern wird ein erfahrener Kollege zur Seite gestellt, den sie bei Fragen direkt konsultieren können.
Gronich betont, dass jedoch sehr bald klar gewesen sei, dass »hinter jedem verheirateten Rabbiner eine starke Frau« steht. Und klar war auch, dass oftmals eher die Frauen der Rabbiner die Lösungen finden können, weil viele Probleme Themen beträfen, so Gady Gronich, die nicht in den Kompetenzbereich des Rabbiners fielen.
ansprechpartnerin Dies zeigt auch die gelebte Praxis: In vielen Gemeinden ist die Rebbetzin erste Ansprechpartnerin in Alltagsfragen von Liebes- über Erziehungsthemen bis hin zu komplexeren Problemlagen, die auch einer systematischen Mediation bedürfen. Ein Beispiel: tiefgreifende Konflikte innerhalb einer Familie oder auch in einer Gemeinde.
Dies sei in Summe eine Tätigkeit, die lange nicht anerkannt gewesen und nicht bezahlt worden sei – die aber als selbstverständlich betrachtet werde, sagt Gronich. »Und das wollen wir ändern. Wir wollen wissen, was die Rabbinerfrauen brauchen.«
»Der Rabbiner kennt die religiösen Gesetze, seine Frau kennt das Leben.«
Rebbetzin Yemina Mizrachi
Das Ergebnis ist ein auf Rebbetzins spezialisiertes Ausbildungsprogramm unter der Leitung von Yemina Mizrachi. Ziel sei es, den Frauen Werkzeug für den Gemeindealltag in die Hand zu geben. Dabei gehe es auch um Anerkennung.
Gronich bezeichnet sich selbst als »Vater und Mutter« dieses Programms. Und die 250 Frauen aus 35 Ländern, die sich am Sonntag, Montag und Dienstag in Wien getroffen haben, sind der erste Jahrgang dieses Programms, zu dem fast wöchentliche Online-Kurse zählen.
Höchste Zeit sei es, »Bravo« zu sagen, betont Yemina Mizrachi, die sich selbst als orthodoxe Feministin bezeichnet. Sie vergleiche sich nicht mit Männern, sagt sie. Und die Rolle einer Rebbetzin sieht sie keinesfalls im Schatten der religiösen Autorität des Mannes. Die Rolle der Rebbetzins sei eine nicht besser oder schlechter gestellte, sondern ganz einfach eine andere.
VERÄNDERUNG Mizrachi sagt: »Der Rabbiner kennt die religiösen Gesetze, seine Frau kennt das Leben – und vor allem kennen Frauen Frauen.« Die »tektonischen Veränderungen« in der Gesellschaft und auch in der jüdischen Gemeinschaft bedürften einer lauteren Stimme der Frauen, so die Rebbetzin.
Bildung sei dabei der Schlüssel. Darüber dürften die nach außen hin möglicherweise traditionell anmutenden Tätigkeitsfelder wie Familie, Gemeinde, Soziales nicht hinwegtäuschen. Dabei sei es ein schmaler Grat zwischen Extremen: zwischen der Unterwerfung in einer Doppelbelastung mit der eigenen Familie und dem sozialen Stand in der Gemeinde und stolzem Selbstverständnis in der eigenen Rolle.
Nein zu sagen, sei das Geheimnis, betont Mizrachi. Zu sagen: »Nein, das ist jetzt zu viel für mich.« Denn »der Preis dafür, traurig, frustriert und deprimiert zu sein, ist zu hoch«.