Rabbiner Tovia Ben-Chorin ist tot. Er starb am Dienstag in St. Gallen in der Schweiz. Das teilte der Münchner Rabbiner Tom Kučera mit.
In einem Rundschreiben an die liberale Jüdische Gemeinde Beth Schalom erinnerte Rabbiner Kučera an Ben-Chorin. Er schrieb unter anderem:
ERINNERUNG »Immer, wenn ich ihm eine Frage stellte, griff er nach Mischna Brura, einem Kommentar von Schulchan Aruch, dem klassischen jüdischen Gesetz. Dann griff er auch nach einem anderen Buch, und noch nach einem anderen Buch, sodass ich oft am Ende meine Frage vergaß und verstand, warum er manchmal überspitzt sagte, dass ein Rabbiner für seine Rede keine Uhr, sondern einen Kalender brauche.
Wenn ich mit ihm spazieren ging, verwickelte er sich spontan in ein nettes Schmoozing mit einem Polizisten, Jugendlichen oder Straßenkehrer, mit jedem, der ihm begegnete. Er hatte für alle ein nettes Wort parat, einen kleinen Witz oder eine kurze Weisheit. Er war wie ein Zauberer, der zu jeder Zeit aus seinem Zauberhut eine schöne Blume herausziehen und überreichen kann.«
Tovia Ben-Chorin wurde 1936 in Jerusalem als Sohn von Schalom und Gabriella Ben-Chorin geboren, die kurz zuvor aus Deutschland nach Palästina eingewandert waren. Er studierte Bibel und Jüdische Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und wurde 1964 am Hebrew Union College – Jewish Institute of Religion in Cincinnati als Rabbiner ordiniert.
LAUFBAHN Nach Beendigung der Rabbinerausbildung in den USA amtierte er in zahlreichen liberalen Gemeinden in den USA, Israel, England, Südafrika und der Schweiz, unter anderem auch in der von seinem Vater Schalom Ben-Chorin mitbegründeten Gemeinde Har El in Jerusalem.
Auch in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin war Ben-Chorin von 2009 bis 2015 als Rabbiner angestellt. Er war zudem Mitglied des Lehrkörpers des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam, wo er auch an der Universität unterrichtete. Zuletzt amtierte er als Rabbiner in St. Gallen. Rabbiner Tovia Ben-Chorin war sowohl im christlich-jüdischen Dialog als auch im israelisch-palästinensischen Dialog aktiv.
ABSCHIED AUS BERLIN Zu seinem Abschied aus der Jüdischen Gemeinde Berlin beschrieb die »Jüdische Allgemeine« im Jahr 2015 Ben-Chorin als neugierig und voller Schwung. Er sagte damals, dass er nach sechs Jahren nicht nur die Beterschaft dort vermissen werde, sondern auch die Begegnungen in Berlin mit Juden und Nichtjuden sowie die Gespräche rund um das interreligiöse Projekt »House of One«. Von Berlin ging er seinerzeit in die Schweiz.
In Berlin habe er oft an seinen Vater denken müssen, sagte er der Zeitung. Schalom Ben-Chorin war aus Deutschland vor den Nazis geflohen und ins damalige Palästina emigriert. In Jerusalem habe er, der Sohn, dann ganz praktisch den Dialog zwischen den Religionen mitbekommen. Dass er das von seinen Eltern erleben und lernen durfte, dafür sei er heute noch dankbar, zitierte ihn die Zeitung. ja/kna
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