Talmudisches

Rabbi Jehuda Hanasi und das Kalb

Das Kälbchen suchte Schutz beim Rabbi. Foto: Getty Images

Talmudisches

Rabbi Jehuda Hanasi und das Kalb

Vom Umgang mit Tieren

von Diana Kaplan  19.06.2020 09:19 Uhr

Eines Tages kam ein Kälbchen auf Rabbi Jehuda Hanasi zugerannt. Es wurde zusammen mit anderen Kälbern gerade zum Schlachten geführt und suchte in seiner Vorahnung Schutz bei dem großen Rabbi. Doch der sagte zu dem Kälbchen: »Geh, denn dafür (für dieses Ende) wurdest du erschaffen« (Bava Metzia 85a).

Dafür, dass Rabbi Jehuda Hanasi kein Erbarmen mit dem Kälbchen zeigte, das auch eines von G’ttes Geschöpfen war, wurde er bestraft. 13 Jahre lang wurde er deswegen von Schmerzen geplagt – und wurde dann genauso plötzlich geheilt, wie er krank wurde.

Die Tora regelt unseren Umgang mit Tieren und nimmt das Verbot von Tzaar Baalei Chaim, der Grausamkeit gegenüber Tieren, sehr ernst.

Und seine Heilung geschah so: Ein Dienstmädchen fand einmal im Haus des Rabbis einige neugeborene Wiesel. Sie war schon dabei, die Tierchen hinauszuschaffen, als der Rabbi sie zurückhielt. Er sagte: »G’tt hat Erbarmen mit all seinen Geschöpfen. Und wir Menschen müssen es Ihm gleichtun. Lass die kleinen Wiesel im Haus.«

Als er also Erbarmen zeigte mit den von G’tt erschaffenen Kreaturen, hatte G’tt auch Erbarmen mit ihm, und er wurde geheilt.

WISSENSDURST Man muss erwähnen, dass Rabbi Jehuda Hanasi, oder »Rabbi«, wie er von allen genannt wurde, da er überall wegen seiner Weisheit und Stellung hoch angesehen war, ein überaus bescheidener Mann war. Von ihm stammt auch der berühmte Satz: »Ich habe viel von meinen Lehrern gelernt, noch mehr von meinen Freunden und Chavrusas (Mitstudenten), doch das meiste lernte ich von meinen Schülern.«

Er lebte vor, dass man von jedem Menschen lernen sollte. Denn die Tora wird mit Wasser verglichen, und wie ein älterer Mensch sich nicht dafür schämen muss, dass ein jüngerer ihm Wasser zu trinken gibt, so muss er sich auch nicht schämen, wenn ein jüngerer oder weniger gelehrter Mensch ihm hilft, seinen Wissensdurst zu stillen.

MISCHNA Mit großem Reichtum gesegnet, nutzte Rabbi Jehuda Hanasi seinen Wohlstand, um anderen zu helfen und großzügig zu sein. Er war derjenige, der die Mischna, die mündliche Tora, niederschreiben ließ, denn er nahm an, dass Jahrhunderte des Exils es sehr schwer machen würden, sie authentisch zu erhalten.

Rabbi Jehuda Hanasi war ein sehr großer und weiser Rabbi, der sich auf einem sehr hohen spirituellen Niveau befand. Trotz oder gerade wegen seiner Weisheit wurde er dafür bestraft, dass er nicht genug Erbarmen mit einem Kälbchen hatte.

BEISPIELE Dieses und das nachfolgende Beispiel zeigen, wie umsichtig man im Umgang mit Tieren sein sollte.

Eines Tages, als Mosche mit den Schafen seines Schwiegervaters Jitro unterwegs war, kam ein Schaf von der Herde ab und lief davon (Schemot Rabba 2,2). Mosche rannte ihm nach und sah, dass es an einem schattigen Platz Rast machte und anfing, seinen Durst zu stillen.

Mosche näherte sich dem Schaf und sprach: »Ich wusste nicht, dass du weggerannt bist, weil du Durst hattest. Du bist wohl sehr erschöpft.« Daraufhin lud er das Schaf auf seine Schultern und trug es zur Herde zurück. Weil er sich erbarmte und so umsichtig mit dem Schaf umging, verdiente er es, zum Anführer der Israeliten gewählt zu werden.

Die Tora regelt unseren Umgang mit Tieren und nimmt das Verbot von Tzaar Baalei Chaim, der Grausamkeit gegenüber Tieren, sehr ernst. Schon im 5. Buch Mose 11,15 steht: »Ich werde Gras geben für euer Vieh auf euren Feldern, und ihr werdet essen und satt sein.« Daraus lernt man, dass es verboten ist, zu essen, bevor man seine Tiere gefüttert hat.

Denn auch, wenn sich Tiere in der Obhut des Menschen befinden (1. Buch Mose 1,26), soll diese Beziehung nicht von Grausamkeit geprägt sein, und auch die Herrschaft über Tiere hat ihre Grenzen für den Menschen. Auch wenn es dem Menschen erlaubt ist, Tiere für sich zu nutzen, soll dies doch auf feinfühlige und schonende Weise geschehen und unnötiges Leid vermieden werden.

Wajigasch

Mut und Hoffnung

Jakow gab seinen Nachkommen die Kraft, mit den Herausforderungen des Exils umzugehen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2025

Mikez

Füreinander einstehen

Zwietracht bringt nichts Gutes. Doch vereint ist Israel unbesiegbar

von David Gavriel Ilishaev  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025