Halacha

Rabbi, darf ich rauchen?

Wie sich die Einstellung zum Tabakkonsum im Laufe der Zeit geändert hat

von Chajm Guski  04.02.2010 00:00 Uhr

Foto: Flash 90

Wie sich die Einstellung zum Tabakkonsum im Laufe der Zeit geändert hat

von Chajm Guski  04.02.2010 00:00 Uhr

Den Anfang machte ein Jude. So steht es zumindest in der Jewish Encyclopedia. Laut des 1906 erschienenen Lexikons soll ein jüdischer Begleiter von Christoph Columbus namens Luis de Terres, den Genuss von Tabak auf Kuba kennengelernt und anschließend nach Europa gebracht haben. Seitdem verbreitete sich der Tabak als Genussmittel in die ganze Welt.

Überall wird gepafft. Natürlich sind auch viele Juden unter den Rauchern, gerade in orthodoxen Kreisen – früher wie heute. In den Übersetzungen der Geschichten über den Baal Schem Tov aus der Feder von Alexander Eliasberg wird von einem Mann berichtet, der am Schabbat die Pfeife für den Gelehrten vorbereitet haben soll. In »Magen Awraham«, einem Kommentar zum Schulchan Aruch, stellt Abraham Gombiner (1635–1683) die Frage, ob man vor dem Rauchen einen Segensspruch – eine Bracha – sprechen solle oder nicht. Rauchen galt damals nicht als Laster. Vielmehr unterlag der Genuss von Tabak in der Vergangenheit nur wenigen Beschränkungen. So sollte nicht an den Fastentagen geraucht werden. Was ein abhängiger Raucher, der dazu den Schabbat nach orthodoxen Regeln einhält, tun kann, findet nirgends Erwähnung. Der observante Raucher muss regelrechte Qualen leiden, wenn er mehr als 24 Stunden auf Nikotin verzichtet.

Eine nicht ganz ernst gemeinte Diskussion publizierte 1874 Raphael Kohen in Odessa. In seinem Buch »Chutz Hameschullach« kam er zu dem Schluss, dass das Rauchen von Zigarren am Schabbat sogar erwünscht sei, denn dies sei eine besondere Schabbatfreude »Oneg Schabbat«.

Von Rabbiner Josef Jitzchak Schneersohn (1880–1950), dem sechsten Lubawitscher Rebben, wird berichtet, dass auch er geraucht habe. Bis ihn sein Arzt darüber informierte, dass Rauchen wahrscheinlich die Gesundheit schädige. Als genau dieser Arzt ihm anschließend eine Zigarette anbot, habe der Rabbiner geantwortet: »Nein danke, ich rauche nicht.«

Gesundheit und gefahr Mitte der 60er-Jahre wurde allgemein bekannt, dass Zigaretten tatsächlich körperliche Abhängigkeit bei einer großen Zahl von Rauchern verursachen, und dass sie außerordentlich gesundheitsschädlich sind. Dieser Hinweis muss heute sogar auf die Verpackungen aufgedruckt werden, auch in Israel. Man kann durchaus sagen, dass Zigaretten zu den wenigen frei verfügbaren Konsumgütern gehören, die Abhängigkeit, Krankheit oder Tod bewirken können.

Das war den Kommentatoren und Rabbinern vor 100 Jahren noch nicht klar und deshalb wird heute die Frage, ob Juden rauchen dürfen, anders gesehen als noch vor einigen Jahrzehnten. Inzwischen sind sich – ausnahmsweise – bei diesem Thema alle Strömungen des Judentums einig. Die Responsen heben hervor, dass Raucher ihre eigene Gesundheit zerstören und sogar die ihrer Mitmenschen, denn Passivrauchen kann ebenfalls zu gesundheitlichen Schäden führen.
verletzt Dabei ist es gar nicht schwer, ein Verbot von Zigaretten aus der jüdischen Tradition herzuleiten. So schreibt schon Maimonides in seiner Mischne Torah (Deot, Kapitel 4) über Tätigkeiten und Handlungen, die man unterlassen sollte, um seine Gesundheit nicht zu gefährden: » ... deshalb muss sich ein Mensch fernhalten von Dingen, die den Körper zerstören und sich angewöhnen Dinge zu tun, die gut für den Körper sind.« Zweifelsfrei zerstört Rauchen Teile des Körpers. Und so heißt es weiterhin in der Tora (5. Buch Moses 4, 9): »Nur nimm dich in acht, hüte deine Seele wohl«. Daraus leitet der Talmud (Berachot 32b) ab, dass man peinlichst genau auf seine Gesundheit achten und sie erhalten soll. An einer anderen Stelle bestimmt der Talmud, »Vorschriften die eine Gefahr für das Leben betreffen, sind bindender als rituelle Verbote« (Chullin 10a). Die Mischnah verbietet zudem ausdrücklich (Bava Kamma 8), sich selbst zu verletzen. Denjenigen, die denken, dass sie die negativen Auswirkungen des Rauchens vermutlich nie zu spüren bekommen, entgegnet der Talmud: »Verlass Dich nicht auf Wunder!« (Megillah 7b).

schimpfen Auf der anderen Seite wurde das Rauchen nicht ausdrücklich und sofort nach Bekanntwerden der Gefahren von allen Rabbinern mit Autorität und Nachdruck untersagt. So hat 1964 Rabbi Mosche Feinstein, der in der orthodoxen Welt für seine halachischen Begründungen einen besonderen Status hat, ein Verbot zurückgewiesen. Seine Begründung lautete, dass viele große Toragelehrte in der Vergangenheit geraucht hätten und dies auch in der Gegenwart nicht anders sei. Andererseits verbot er 1973 den Haschisch-Konsum, weil dieser den Körper schädige. 1981 schwenkte er dann ein und entschied, angesichts der medizinischen Daten sei es nicht erlaubt, mit dem Rauchen zu beginnen. Ähnlich war es bei Rabbiner Ovadia Yosef, dem ehemaligen sefardischen Oberrabbiner Israels. Auch er sah zunächst keine Veranlassung, das Rauchen zu verbieten. Aber auch er änderte schließlich seine Meinung. Im April vergangenen Jahres sprach der Mentor der Schas-Partei in deutlichen Worten über das Rauchen. »Wenn jemand seinen Sohn dabei beobachtet, wie er eine Zigarette raucht, sollte er mit ihm schimpfen und ihn dazu bringen, dies sofort zu unterlassen. Derjenige, der einer Jeschiwa vorsteht, und einen seiner Studenten dabei beobachtet, wie er raucht, sollte ihm eine Ohrfeige verpassen und ihn fragen warum er das tut.«

Weiter erklärte Yosef, dass Tabakkonsum tödliche Folgen haben könne, und es daher auch von verschiedenen Rabbinern strengstens verboten sei. Zudem beschränke das Suchtgefühl wohl auch die religiöse Hingabe der Raucher. »Am Schabbat schauen sie nach den Sternen und warten auf drei Sterne, nur um dann wieder Zigaretten rauchen zu können. Es gibt sogar welche, die Zigaretten in der Synagoge verstecken und direkt nach der Hawdala rauchen wollen.« In seiner Rede riet er Rauchern dazu, sich jeden Tag eine Zigarette weniger anzustecken, um dann schließlich vollkommen aufzuhören. Bereits nach ähnlichen Äußerungen des Rabbiners im Jahre 1997 verzichtete die orthodoxe Wochenzeitung Jom Lejom auf Anzeigen von Zigaretten- und Tabakfirmen und verbuchte so nach eigenen Angaben erheblich weniger Einnahmen.

sucht Der konservative US-Rabbiner Seymour Siegel schlug in einem Gutachten vor, Rauchen zumindest in allen jüdischen Einrichtungen, Synagogen, Schulen und Versammlungsorten zu untersagen. Er hegte die Hoffnung, Personen, welche die Mizwot gewissenhaft befolgen, würden mit dem Rauchen aufhören, wenn es definitiv verboten werde.

In Israel wurde aber jüngst ein neuer Schritt gemacht, der über die Verurteilung in Responsen und Gemeinden hinausging. Der modern-orthodoxe Oberrabbiner der Kleinstadt Efrat im Westjordanland, Schlomoh Riskin, wollte offenbar nicht weiter abwarten, bis der Gesetzgeber tätig wird. Er erklärte, den Verkauf von Zigaretten in Efrat ganz allgemein verbieten zu wollen. Da ihm das jedoch rechtlich nicht möglich ist, drohte er zumindest denjenigen Lebensmittelhändlern, die Zigaretten anbieten, das Kaschrut-Zertifikat zu entziehen. »Zigaretten sind trejf«, gab er gegenüber der Jerusalem Post an. »Ich würde jedes Zertifikat von einem Laden einziehen wollen, welcher Zigaretten anbietet. Leider darf ich das nicht.« Das israelische Recht erlaubt Rabbinern nur einen begrenzten Einfluss bei der Erteilung dieser Zertifikate. Sie dürfen sich ausschließlich auf die angebotenen Lebensmittel beziehen und nicht auf andere Dinge, die im Geschäft vor sich gehen. So mussten in Jerusalem Kaschrut-Urkunden wieder erteilt werden, nachdem sich ein zuständiger Rabbiner an einer Bauchtanzveranstaltung in einem Restaurant störte, und deshalb das Zertifikat einbehalten hatte.
autorität »Da Zigaretten keine Nahrungsmittel sind, unterliegen sich nicht meiner Verantwortung als Überwacher des Kaschruts«, bedauerte Riskin. Gleichwohl veröffentlichten er und sein Amtskollege Schimon Golan am Sonntag vor einer Woche das Verbot für den Verkauf von Zigaretten in Efrat. Man werde versuchen, diese Maßnahme mit Überzeugungsarbeit durchzusetzen.

Nach Angaben der Israelischen Organisation zur Krebsbekämpfung (ICA) sterben jährlich 10.000 Menschen im Land an den Folgen des Zigarettenkonsums. Diese Zahl liege höher als die Zahl der jährlichen Verkehrstoten, Terroropfer, Alkohol- und Drogentoten zusammen. Die ICA fordert sofortiges Handeln. Die rabbinischen Autoritäten können diese Forderung zweifelsfrei unterstützen.

Denn die Verantwortung endet – auch nach dem jüdischen Verständnis – nicht damit, dass man selbst nicht mehr raucht. Sondern es gilt, auch andere vor der offensichtlichen Gefahr zu schützen. Denn es heißt in der Tora (3. Buch Mose 19,17): »Zurechtweisen sollst du deinen Nächsten, wenn du ihn etwas Falsches tun siehst«. Interessant dürfte es werden, welche Schritte in der jüdischen Gemeinschaft in Deutschlands ergriffen werden, um der halachischen Situation gerecht zu werden.

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