Ungefähr 90 Prozent der Menschen in Deutschland lesen regelmäßig ihr Horoskop. Wie das unter den Juden in talmudischer Zeit war, lässt sich nicht genau sagen. Doch ist anzunehmen, dass sich viele für ihr Horoskop interessierten. Unter ihnen war auch Rabbi Akiva, dem ein Sterndeuter voraussagte, wann genau seine Tochter sterben würde.
Die Astrologie ist seit biblischer Zeit Teil jüdischer Tradition. Da sie auch Teil der polytheistischen Kulte der Nachbarvölker Israels war, galt sie stets als verdächtige Praxis, der ein Beigeschmack von Götzenkult anhaftete. So heißt es in der Tora: »Hebe auch nicht deine Augen auf gen Himmel, dass du die Sonne sehest und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, und fallest ab und betest sie an und dienest ihnen« (5. Buch Mose 4,19).
An dieser Stelle wird ein Szenario entworfen, bei dem das Anschauen der Himmelskörper zum Abfall vom Glauben an den einen Gott führt und an seine Stelle die Verehrung der Sterne und Planeten tritt. Diese Idee von Gestirnen als selbstständig handelnden Akteuren, die man durch Gebete milde stimmen könne, passt nicht zur jüdischen Idee des einen, eifersüchtigen Gottes. Sie hat aber auch nicht viel mit unserem heutigen Verständnis von Astrologie zu tun.
Horoskop Astrologie, abgeleitet von den griechischen Wörtern »astron« (Stern) und »logos« (Lehre), also die Deutung von astronomischen Ereignissen in Bezug auf irdische Geschehnisse, wird im Babylonischen Talmud breit diskutiert und nicht per se abgelehnt. Im Traktat Schabbat erklärt Rabbi Chanania, ein Sternbild mache den einen weise und den anderen reich. Die Sternbilder beeinflussten auch das jüdische Volk.
Rabbi Jochanan erwidert, die Konstellation der Sterne wirke nicht auf das Leben der Juden ein. Er belegt dies mit dem Vers: »Ihr sollt nicht nach der Heiden Weise lernen und sollt euch nicht fürchten vor den Zeichen des Himmels, wie die Heiden sich fürchten« (Jirmejahu 10,2). Die eingangs erwähnte Erzählung aus demselben Traktat mit der namenlosen Tochter Rabbi Akivas, ihrem Vater und einer Giftschlange als Protagonisten soll belegen, dass die Sternkonstellation keinen Einfluss auf Israel hat. Sterndeuter hatten Rabbi Akiva nach der Geburt seiner Tochter prophezeit, sie werde am Tag ihrer Hochzeit, wenn sie unter den Traubaldachin träte, von einer Giftschlange gebissen und würde daran sterben.
An besagtem Tag steckte die junge Frau ihre verzierte Haarnadel in ein kleines Loch in der Holzwand ihres Zimmers. Die Haarnadel durchstieß das Auge ihrer Schicksalsschlange und tötete sie.
Am nächsten Morgen, als die Frau die Haarnadel wieder herauszog, kam die tote Schlange zum Vorschein. »Das ist wirklich ein Wunder!«, rief Rabbi Akiva aus und fragte seine Tochter: »Sag mir, was hast du gestern getan?«
Hochzeit Seine Tochter berichtete: »Am Abend kam ein armer Mann und klopfte an die Tür. Die ganze Gesellschaft war derart mit dem Hochzeitsfest beschäftigt, dass niemand Notiz von ihm nahm. Da stand ich auf und gab ihm die Portion, die du mir gegeben hattest.« Akiva sagte zu seiner Tochter: »Du hast eine große Mizwa getan und wurdest um ihretwillen vor dem Tod gerettet.«
Von da an lehrte Rabbi Akiva: »Gerechtigkeit (Zedaka) errettet vor dem Tod« – ein Vers aus Mischlei, dem biblischen Buch der Sprüche, das König Salomo zugeschrieben wird. Die Geschichte von Rabbi Akivas Tochter ist eine von vier Erzählungen im Traktat Schabbat, die illustrieren sollen, warum Israel »keinen Stern hat« (Traktat Nedarim).
Sie zeigen aber keinesfalls, dass der Lauf der Gestirne für Juden unerheblich ist, sondern dass die Prophezeiungen der Astrologen nicht unabwendbar sind.
Die Erzählung von der Tochter Rabbi Akivas lehrt, dass man sich nicht dem Fatalismus hingeben soll. Vielmehr kann man sein Schicksal aktiv gestalten, unabhängig davon, unter welchem schlechten Stern es steht oder was das Horoskop (das man rein zufällig beim Zahnarzt im Wartezimmer in die Finger bekommen hat) einem prophezeit.