Verdienst

Quelle als Belohnung

Nach Mirjams Tod versiegte die Quelle, die die Israeliten fast 40 Jahre lang mit Wasser versorgt hatte. Foto: Thinkstock

Nach Mirjams Tod versiegte die bisherige Quelle. Sie hatte das jüdische Volk in der Wüste fast 40 Jahre lang mit Wasser versorgt. Mosche und Aharon bekamen daraufhin von G’tt den Befehl, zu einem Felsen zu sprechen, damit dieser den Israeliten Wasser gebe. Doch Mosche schlug den Felsen, anstatt zu ihm zu sprechen. Er missachtete also G’ttes Befehl und wurde dafür bestraft: Sowohl er als auch sein Bruder Aharon durften das Heilige Land nicht betreten.

Es stellt sich die Frage, ob ein Zusammenhang besteht zwischen Mirjams Tod und dem Versiegen der Quelle. Der Kli Jakar, Rabbi Schlomo Ephraim ben Aharon Luntschitz (1550–1619), sagt, das jüdische Volk wurde mit dem Versiegen der Quelle bestraft, da es nach Mirjams Tod keine Hesped, keine Trauerrede, auf sie gehalten hatte.

Im Gegensatz dazu heißt es in der Tora zum Tod Aharons: »Und sie beweinten Aharon 30 Tage, das ganze Haus Israel« (4. Buch Mose 20,29). Und nach Mosches Tod lesen wir in der Tora: »Und die Söhne Israels beweinten Mosche in Arvot Moav 30 Tage« (5. Buch Mose 34,8).

zeichen Über Mirjams Tod steht lediglich geschrieben, dass sie starb und in Kadesch beerdigt wurde. Sie wurde also begraben und vergessen. Daraufhin kam auch kein Wasser mehr aus dem Felsen – ein Zeichen dafür, dass die Quelle allein aufgrund der Verdienste Mirjams Wasser gab.

Wenn wir uns die Ursprünge der Quelle im 2. Buch Mose 17, 1–7 ansehen, stellen wir fest, dass weder Mirjam noch eine Handlung, die mit ihr zu tun hat, erwähnt wird. Und noch mehr als das: Es gab kein Wasser, und das jüdische Volk hatte großen Durst. Da beschwerte es sich bei Mosche. Es stellte ihm die Frage, wieso G’tt es aus Ägypten geführt hat. Etwa, damit es in der Wüste verdurstet? Mosche betete daraufhin zu G’tt. Der Ewige befahl ihm, den Stock zu nehmen, mit dem er die Wunder und Zeichen machte, und auf den Felsen zu schlagen.

Dies waren also die Anfänge der Quelle. Offenbar gab sie durch das Verdienst von Mosche Wasser. Wieso aber versiegte sie dann nach Mirjams Tod?

Tod Raschi (1040–1105) folgert aus dem Zusammenhang zwischen Mirjams Tod und dem Versiegen, dass die Quelle, die 40 Jahre lang Wasser gab, auf Mirjams Verdiensten beruhte.

Rabbi Schabsaj Bass, der Siftej Chachamim (1641–1718), erklärt zu Raschis Kommentar und der Frage, wieso die Quelle nicht das Verdienst von Mosche oder Aharon sei: Mirjam hatte sich für Mosche eingesetzt, als er von Jocheved, ihrer Mutter, ins Schilfmeer gelegt wurde. Deswegen wurde Mirjam belohnt gemäß dem Prinzip »Mida keneged Mida«. Das heißt in etwa: So wie ein Mensch sich verhält, so verhält sich G’tt gegenüber dem Menschen. Weil Mirjam am Wasser eine gute Tat vollbracht hat, wurde sie selbst mit Wasser belohnt.

Ungeachtet der Kommentare unserer Gelehrten könnte man vielleicht sagen: Wenn Mirjam keine Verdienste gehabt hätte, könnte es sein, dass aus dem Felsen keine Quelle entsprungen wäre. Wasser würde es genügend geben. G’tt fällt es leicht, der gesamten Bevölkerung Wasser zu geben. Aber dass das Wasser einer Quelle entspringt, die sich in einem Felsen befindet, haben wir Mirjam zu verdanken.

In seinem Kommentar zum 5. Buch Mose 22,8 erklärt Raschi: »Man lässt eine gute Sache geschehen durch jemanden, der gute Verdienste hat, und schlechte Sachen durch jemanden, der schlechte Verdienste hat.« Basierend darauf können wir sagen, dass die Quelle in jedem Fall entstanden wäre. Aber Mirjam hatte sich dieses große Verdienst erarbeitet, und deswegen wurde ihr die Quelle zugeschrieben.

Zeitraum Das »Verhalten gegenüber dem Verhalten« steht allerdings nicht unbedingt in einem begründeten Verhältnis. Die Tora verrät uns nicht, wie lange der Zeitraum war, in dem Mirjam Mosche am Schilfmeer begleitete. Es waren nicht 40 Jahre. Doch die Belohnung für ihre Tat dauerte erstaunliche 40 Jahre an.

Ich bin mir sicher, dass Mirjam, als sie am Schilfmeer auf Mosche achtgab, nicht im Sinn hatte, dass später einmal 40 Jahre lang Wasser aus einer Quelle kommen würde. Sie dachte nicht, dass sie irgendetwas damit bewirkt. Sie wollte nur ihren kleinen Bruder beschützen und schauen, was mit ihm geschieht (2. Buch Mose 2,4). Es war also sicherlich kein Zufall, dass genau nach Mirjams Tod der Felsen aufhörte, Wasser zu geben.

Die Erklärungen des Kli Jakar und des Siftej Chachamim lassen sich gut miteinander verbinden. Das Volk hat Mirjam vergessen, sie nicht beweint und keine Trauerrede gehalten. Wie viel eine kleine Erinnerung an sie bewirkt hätte!

Ich glaube, die Tora gibt uns hier eine Botschaft: Wir können nie wissen und es uns nicht unbedingt vorstellen, was wir mit unseren vermeintlich kleinen Taten alles bewirken können. Aber noch mehr als das: Diese kleinen Taten gehen nicht verloren. 80 Jahre, nachdem Mirjam am Schilfmeer ihren Bruder Mosche im Auge behalten hatte, wurde sie dafür belohnt. Wer hätte daran noch gedacht? Niemand. Erst nachdem die Quelle nicht mehr vorhanden war, wurde dem jüdischen Volk bewusst, wie wertvoll Mirjams damalige Tat und ihre Verdienste im Ganzen waren.

Wir Heutigen haben das Glück, davon zu lesen, es zu verstehen und auf unser Leben anwenden zu können. Denn eine gute Tat, sei es in dem Augenblick auch nur eine kleine, kann große Auswirkungen auf die Menschheit haben.

Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Chukkat berichtet von der Asche der Roten Kuh. Sie beseitigt die Unreinheit bei Menschen, die mit Toten in Berührung gekommen sind. In der »Wildnis von Zin« stirbt Mirjam und wird begraben. Im Volk herrscht Unzufriedenheit, man wünscht sich Wasser. Mosche öffnet daraufhin eine Quelle aus einem Stein – aber nicht auf die Art und Weise, wie der Ewige es geboten hat. Mosche und Aharon erfahren, dass sie deshalb das verheißene Land nicht betreten dürfen. Erneut ist das Volk unzufrieden: Es ist des Mannas überdrüssig, und es fehlt wieder an Wasser. Doch nach der Bestrafung bereut das Volk, und es zieht gegen die Amoriter und die Bewohner Baschans in den Krieg und erobert das Land.
4. Buch Mose 19,1 – 22,1

Chanukka

Wie sah die Menora wirklich aus?

Eine Rekonstruktion von Rabbiner Dovid Gernetz

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.12.2024

Resilienz

Licht ins Dunkel bringen

Chanukka erinnert uns an die jüdische Fähigkeit, widrigen Umständen zu trotzen und die Hoffnung nicht aufzugeben

von Helene Shani Braun  25.12.2024

»Weihnukka«?

Chanukka und Weihnachten am selben Tag

Ein hohes christliches und ein bekanntes jüdisches Fest werden am 25. Dezember gefeiert

von Leticia Witte  24.12.2024

Rheinland-Pfalz

Volker Beck kritisiert Verträge mit Islam-Verbänden

Zu den Partnern des Bundeslandes gehören jetzt Ditib, Schura und Ahmadiyya Muslim Jamaat

 22.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Debatte

Darmstadt: Jetzt meldet sich der Pfarrer der Michaelsgemeinde zu Wort - und spricht Klartext

Evangelische Gemeinde erwägt Anzeige wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024

Hessen

Nach Judenhass-Eklat auf »Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt«: Landeskirche untersagt Pfarrer Amtsausübung

Nach dem Eklat um israelfeindliche Symbole auf einem Weihnachtsmarkt einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt greift die Landeskirche nun auch zu dienstrechtlichen Maßnahmen

 19.12.2024

Wajeschew

Familiensinn

Die Tora lehrt, dass alle im jüdischen Volk füreinander einstehen sollen – so wie Geschwister

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2024

Berlin

Protest gegen geplantes Aus für Drei-Religionen-Kita

Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist demnach ein Lernort geplant, in dem das Zusammenleben der verschiedenen Religionen von frühester Kindheit an gelebt werden soll

 16.12.2024