Der Begriff Zaar Baalej Chajim bedeutet übersetzt »Tierquälerei« – und Tierquälerei ist im Judentum prinzipiell verboten. Ganz so einfach ist die Sache jedoch nicht. Einerseits dürfen wir Tiere für Arbeiten einsetzen: Das Reiten auf einem Pferd ist erlaubt; das Melken einer Kuh und die Verwendung der Milch sind gestattet. Es ist nicht verboten, die Eier eines Huhnes an sich zu nehmen.
Anderseits muss auf die Existenz der sieben Noachidischen Gesetze hingewiesen werden, die gemäß der jüdischen Tradition die Basis der Weltethik darstellen, weswegen jeder Mensch diese Gesetze einhalten muss. Eines davon ist das Verbot der Tierquälerei.
FroschschenkeL Es besagt, dass man keine Glieder oder Körperteile eines lebenden Tieres verzehren darf, wie beispielsweise Froschschenkel. Dies verstehen wir als ein Verbot, Tiere zu quälen. Der Mensch besitzt eine Seele und empfindet Schmerz physischer oder psychischer Natur. Dasselbe gilt für das Tier, wenn auch möglicherweise in einem anderen Ausmaß.
Das jüdische Gesetz, die Tora, schreibt uns viele Gesetze vor. Darunter sind einige, die dem Schutz des Tieres dienen sollen. Man darf das Maul eines dreschenden Ochsen nicht zubinden. Es ist auch verboten, das Maul des Tieres durch einen mit Futter gefüllten Maulkorb zu versperren. Denn es könnte sein, dass das Getreide, das gedroschen wird, dem Tier besser schmeckt.
Man darf einen Ochsen und einen Esel nicht zu einem Gespann verbinden. Ein solches Gespann bringt zwar grundsätzlich Vorteile mit sich. Wer einen Pflug verwendet, weiß, dass man immer rechtsherum dreht. Bei Verwendung dieses Systems wäre ein Gespann mit dem Ochsen auf der rechten und dem Esel auf der linken Seite sehr vorteilhaft. Der Ochse bewegt sich dann entlang der Furche, weil seine Intelligenz es erlaubt. Der Esel dagegen zieht wild los. Aber weil der Esel stärker ist, fügt er dem Ochsen Leid zu. Die Tora verbietet daher ein Gespann von zwei verschiedenen Tierarten.
Vogelnest Geht jemand an einem Feld entlang und findet dabei ein Vogelnest, darf er das Muttertier nicht gemeinsam mit den Küken einfangen. Zunächst muss die Mutter vertrieben werden. Erst dann darf man die Eier oder die Küken an sich nehmen. Würde man beides zur gleichen Zeit tun, so würde man dem Vogel Leid zufügen. Es ist auch verboten, die Mutter und das Kalb am selben Tag zu schächten.
Wer den Ochsen seines Feindes sieht und erkennt, dass er unter seiner Last leidet, muss laut Tora dem Tier zu Hilfe kommen und es von seiner Last befreien. Es handelt sich dabei nicht um eine Hilfestellung, die man einem Freund gibt, denn es geht hier um das Tier des Feindes. Die einzige Erklärung dafür ist, dass das Tier nicht leiden darf.
Auch Tiere müssen am Schabbat ruhen. Die Arbeitskraft des Tieres eines jüdischen Besitzers darf am Schabbat nicht durch einen Nichtjuden genutzt werden, da auch das Tier ruhen muss. So heißt es im vierten der Zehn Gebote.
Melken Bei einer Recherche für eine Forschungsarbeit zur Thematik des Melkens haben meine Kollegen und ich uns mit der Frage beschäftigt, was geschieht, wenn eine Milchkuh einen Tag lang nicht gemolken wird. Als wir den Plan einem der großen Gelehrten vorlegten, wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass der Tag, an dem nicht gemolken wird, nicht der Schabbat sein sollte.
Als Begründung dafür kann die Tatsache herangezogen werden, dass das Tier möglicherweise aufgrund des Verzichts auf das Melken unter Stress leiden könnte. Dies ist nicht zu vereinbaren mit der Vorschrift, die besagt, dass auch das Tier ruhen muss. Empfindet das Tier Schmerzen, so kann es sich schließlich nicht angemessen ausruhen.
Kastration Die Kastration eines Tieres, seien es Arbeitstiere oder Haustiere wie Hund und Kater, ist verboten. Sie kann aber auch als Maßnahme des Tierschutzes angesehen werden. Es sind ja gerade die Tierschützer, die heutzutage Kastrationen fordern. Sie wollen damit verhindern, dass verwahrloste, frei lebende Tiere an Hunger leiden, da sich niemand für ihre Versorgung zuständig fühlt.
G’tt hat uns die Gesetze gegeben. Der Verzehr von Fleisch ist laut Tora gestattet, obwohl das Züchten von Tieren, die einzig und allein zur Schlachtung bestimmt sind, sicher eine Form der Tierquälerei darstellt.
Schächten Bei der Frage des Schächtens geht es nicht darum, ob die Tiere während des Schlachtens gequält werden, sondern darum, wie Tiere am besten geschlachtet werden sollten, sodass die Schmerzen und das psychische Leid auf ein Minimum reduziert werden. Dies ist gemäß vieler jüdischer Autoren der Grund für das religiöse Schächten, bei dem es sich um eine gute Schlachtmethode handelt.
Wie stark die Sorge um das Wohl der Tiere in der Gedankenwelt unserer Rabbiner verankert ist, zeigt sich an einer Vorschrift, die sie eingeführt haben: Man darf nicht essen, bevor man die Tiere gefüttert hat. Laut Tradition dürfen wir zwischen dem Händewaschen und dem Beginn des Essens keine Unterbrechung einlegen und vor allem nicht reden.
In ihrer Sorge um die Tiere gingen unsere Rabbiner so weit, dass sie folgende Vorschrift einführten: Von dem Verbot ausgenommen sind Handlungen, die mit dem Essen selbst verbunden sind, wie zum Beispiel der Befehl »Bringe mir Brot« oder »Bringe mir Salz«.
Sollte jemand vergessen haben, seine Tiere zu füttern, darf er seinem Helfer einen Befehl geben: »Geh und füttere die Tiere«. Hat er keinen Helfer, darf er selbst gehen, um die Tiere zu füttern, denn das Pflegen des Tieres ist von größerer Bedeutung als das Verbot, eine Unterbrechung zwischen Händewaschen und Essen einzulegen.
tierexperimente Entsprechend der Halacha muss das Fazit also wie folgt lauten: Was für den Menschen nötig ist, fällt nicht unter die Kategorie der Tierquälerei – jedoch nur unter der Voraussetzung, dass auf Grausamkeiten verzichtet wird. Daher sind Tierexperimente, die im Bereich der Medizin notwendig sind, erlaubt. Das Rupfen lebender Gänse, allein um qualitativ bessere Daunen zu erhalten, soll dagegen vermieden werden. Jagd, Stierkämpfe und dergleichen sind nicht im Sinne des Judentums und sollen verboten werden.
Der Mensch soll das Tier respektieren. Schon die Entscheidung über die Wahl der Frau, die Elieser für Jizchak sucht, wird mit dem Tränken der Tiere verknüpft: Die Frau, die anbietet, auch die Kamele zu tränken, ist die Frau, die G’tt für Jizchak bestimmt hat. Als die Juden in der Wüste unter Wassermangel leiden, sagt G’tt: Wasser wird vom Felsen kommen, damit Mensch und auch das Tier genügend zu trinken haben.
Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde München (IKG) und promovierter Veterinärmediziner.