Gestern Nacht habe ich wieder von Hoffy’s geträumt. In meinem Traum stehe ich stets vor der blankpolierten Glastheke dieser fettglänzenden Oase aschkenasischer Köstlichkeiten und drücke mir die Nase platt. Ob frittiert, schwimmend ausgebacken, in Öl eingelegt, ob Knisches, Tzimmes, Mazzesknödelchen oder Kigel – jedes Mal, wenn sämtliche dieser knusprigen Sünden vor meinem inneren Auge Revue passieren und ich hungrig schlucke, erscheint der Prinzipal mit seiner fettig glänzenden Pomadenfrisur und der speckigen Kippa darauf und setzt mich unsanft vor die Tür. Dann wache ich stets mit knurrendem Magen auf. Tags darauf fahre ich dann meistens nach Antwerpen und ziehe mir irgendwo in einer israelischen Spelunke ein zweitklassiges Schwarma rein, um meine Gelüste wenigstens ansatzweise zu befriedigen.
Gnadenpreis Denn im wirklichen Leben traue ich mich nicht ins Hoffy’s rein. Schließlich weiß jeder: Es gibt dort keine Preisschilder. Vielmehr beäugt Herr Hoffmann misstrauisch jeden einzelnen Kunden aufs Genaueste, nimmt geistig Augenmaß von Brieftasche und Kreditkarte und verkündet erst dann den Preis des Menüs. Neureiche Klunker? Sündhaft teurer Echthaarscheitel? Das lässt die Preise ins Astronomische hochschießen. Durchlöcherte Gammel-Latschen, innen mit Pappe ausgelegt? Das gibt einen freundlichen Gnadenpreis von Herrn Hoffmann. Da ich aber keine Lust habe, wie ein Penner angezogen bettelnd zur Theke zu robben, um einen fairen Preis zu erzielen, bleibe ich lieber zu Hause, gehe anderswo essen und boykottiere dieses Etablissement.
Anders ist es natürlich, wenn man ins Hoffy’s eingeladen ist. Vor acht Jahren war ich auf einem Schewa-Brachot-Gelage, von dem ich manchmal nachts noch träume. Und heute ist eine Einladung zu einer Brit ins Haus geflattert. Das erste Baby von Alains alter Freundin Dina, deren Hochzeit wir irgendwie versäumt haben.
Eine Brit im Hoffy’s! Ich bin im siebten Himmel. Wie immer werden wir natürlich vornehm spät erscheinen, wenn das eigentliche Schnipp-Schnapp schon über die Bühne gegangen ist und Mutter und kreischender Säugling in irgendeinem Hinterzimmer verstaut sind. Denn erstens kann ich kein Blut sehen, und zweitens kriege ich von Babygekreisch Migräne.
Also trudeln wir am kommenden Sonntag um 14.30 statt 13.00 Uhr im Hoffy’s ein. Ich habe seit dem Vorabend gefastet. Zitternd vor Vorfreude steige ich die Treppen zum Simche-Zimmer des Hoffy’s hoch. Da hängt ein Schild: Simche Rosznanski – van Pletinckx. »Ist denn das ein jüdischer Name?«, wispere ich Alain zu. »Keine Ahnung, der Kindsvater kommt aus irgendeinem Kaff an der holländischen Grenze, habe ihn noch nicht kennengelernt.« Da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: die Rosznanski-van- Pletinckx-Hochzeit – der große Skandal des Jahres 2007! Damals war die Schwiegermutter dem Bräutigam an die Gurgel gegangen, es wurde mit Christofle-Porzellangeschirr geworfen und die Schwiegermütter schmierten sich gegenseitig Leberpastete in die Haare. Zu spät um umzukehren, die Tür geht auf.
Sellerie An einem U-förmigen Tisch sitzen links die wohlgenährten Rosznanskis, rechts die spindeldürren van Pletinckxe. Sie starren uns hasserfüllt an. Ich schlucke trocken, quetsche eine gestammelte Entschuldigung hervor und drücke mich an meinen mit einem Tischkärtchen bezeichneten Platz. Das dargebotene Menü trägt nicht dazu bei, meine Stimmung zu heben. Denn wie sich herausstellt, sind die van Pletinckx allesamt Veganer. Großmutter Rosznanski ist zudem zuckerkrank und hat dem Alkohol schon vor zehn Jahren abgeschworen, wie uns Mutter Roznanski zuflüstert. Und so schmücken das Buffet nur ein paar schlaffe grüne Stengel von Sellerie und all dem Zeug, ein paar Gemüsebuletten sind wohl auch dabei, außerdem wabert ein rötlicher See von Borschtsch mit Sahnehäubchen in einer Glasschüssel. Kein Dessert, keine Drinks, kein gefüllter Braten. Ich greife mein sorgsam eingeschnürtes Geschenkpäckchen mit dem pistaziengrünen Nobel-Baby-Pyjama von Jacadi unter dem Tisch etwas fester und flüstere Alain etwas zu.
Zehn Minuten später stehen wir auf der Straße vor dem Hoffy’s im schneidend kalten Wind der Langen Kievitstraat und sind kurz darauf auf dem Weg zu Jacky Leibovitz, dem Antwerpener Chabad-Rabbiner. Er ist bekannt für die besten Partys, die wildesten Saufgelage (na ja, zu Purim wenigstens) und das fantastischste Essen. Wir schulden ihm noch Geschenke für die letzten drei oder vier Beschneidungen seiner zwölfköpfigen Kinderschar.
Und so tragen wir meinen pistaziengrünen Pyjama bis in die Belgielei, wo natürlich das Essen nach dem sonntäglichen Schiur schon auf dem Tisch steht und wir und mein Pyjama mit offenen Armen empfangen werden. Ich futtere mich mit genießerisch geschlossenen Augen durch (Baklava, Pastrami-Häppchen, Tzimmes mit Rosinen) und merke erst zu spät, dass für nach dem Essen noch ein weiterer Schiur angekündigt ist, mit anschließendem Minche-Mariv und Mitternachtslernen. Es gibt eben einfach nichts umsonst in diesem Leben.