Wieso, weshalb, warum

Pardes

Pardes heißt eine Methode, die es ermöglicht, in die Tiefe der Textbedeutung der Tora hinabzusteigen. Foto: Thinkstock

Das hebräische Wort »Pardes« stammt aus dem altiranischen Avestisch und bezeichnet dort einen umschlossenen Garten oder Park. Im Tanach kommt es in dieser Bedeutung dreimal vor: in Schir HaSchirim, Kohelet und im Buch Nehemia. Seine Prominenz im Judentum verdankt das Wort jedoch nicht der biblischen Überlieferung, sondern einer Geschichte im Babylonischen Talmud (Traktat Chagiga).

Da begeben sich vier der außergewöhnlichsten Gelehrten ihrer Zeit auf eine Reise in ein geheimnisvolles Areal, das der Text »Pardes« nennt. Nur einer von ihnen kehrt unversehrt zurück: Rabbi Akiva, von dem es im Talmud heißt, er könne aus jedem Häkchen des geschriebenen Gesetzes »Berge von Halachot« herleiten. Nicht zurück ins Leben kehrte Ben Asai, von dem es heißt: Mit seinem Tod »hörte die Beharrlichkeit im Studium auf«. Dem Wahnsinn verfiel der Dritte, Ben Soma. Über ihn steht geschrieben: Wer ihn im Traum gesehen hat, sei der Gelehrsamkeit sicher. Der Vierte im Bunde, Elischa Ben Abuja, blieb zwar am Leben und geistig klar, doch er zerstörte nach seiner Rückkehr Pflanzungen und verlor den Glauben. Er wird im Talmud seither nicht mehr bei seinem Namen, sondern HaAcher gerufen, der Andere.

Deutung Was geschah an jenem mysteriösen Ort? Der große Orientalist und Talmudübersetzer Lazarus Goldschmidt (1871–1950) meint, die Reise in den Pardes sei als »kontemplative Spekulation« über einen Schriftvers zu verstehen.

In den Tosafot, mittelalterlichen Kommentaren zum Talmud, heißt es ebenfalls, die vier Männer seien nicht buchstäblich aufgestiegen, sondern geistig.

Raschi (1040–1105) schreibt in seinem Talmudkommentar, Ursache für den Tod Ben Asais und den Wahnsinn Ben Somas sei der Anblick der Gegenwart Gottes gewesen, die kein Mensch ertragen könne. Dass Ben Abuja Pflanzungen zerstört, wird als Abfall vom Glauben gedeutet.

Mystik Die talmudische Geschichte von den vier Männern wurde in den folgenden Jahrhunderten in der Mystik, beginnend mit der esoterischen Hechalot-Literatur in der Spätantike über die mittelalterliche Kabbala bis hin zum Chassidismus, vielfach aufgegriffen und gedeutet.

Die Protagonisten der Erzählung waren bedeutende Gelehrte. Eine Reise in den Pardes zu unternehmen, ist aber theoretisch jedem möglich, der sich in das Studium der Tora versenkt. Im Mischna-Traktat Awot sagt Ben Bag Bag: »Drehe und wende die Tora, denn alles ist in ihr enthalten.« Und im Talmud-Traktat Sanhedrin heißt es, ein Schriftvers enthalte so viele Bedeutungen wie ein mit dem Hammer zerschlagener Fels Splitter hinterlässt.

Tora So bezeichnet Pardes also auch eine Methode, die es ermöglicht, in die Tiefe der Textbedeutung hinabzusteigen. Das Wort Pardes besteht im Hebräischen aus den Konsonanten P, R, D und S. Laut jüdischer Tradition weisen sie auf die Anfangsbuchstaben der vier Stufen der Torainterpretation hin.

So steht P für Pschat, den unmittelbar erkennbaren Wortsinn des Textes. R bedeutet Remes – deutsch: Hinweis – und meint das Lesen zwischen den Zeilen auf der Suche nach verborgenen Anspielungen und Bedeutungen. D steht für Drasch, was »forschen« heißt und eine freiere Interpretation des Textes meint, über den Rahmen des tatsächlich Geschriebenen hinaus. Der letzte Buchstabe, S, steht für Sod, Geheimnis, die mystische Botschaft der Tora, wie sie die Kabbala zu entschlüsseln sucht.

Studium Doch was sollte an intensivem Torastudium so gefährlich sein, dass es Wahnsinn und gar Tod bringen kann? Die tragische Geschichte der vier Gelehrten kann als Mahnung gelesen werden, nicht die Bodenhaftung zu verlieren, wenn man sich in geistige Höhen aufschwingt.

Bekanntestes Beispiel eines Gelehrten, der den Boden unter den Füßen verlor, ist der Kabbalist Schabbtai Zvi (1626–1676). Er erklärte sich zum Messias, verkehrte Teile der Halacha in ihr Gegenteil, sorgte für großen Wirbel und starb – vom türkischen Sultan vor die Frage gestellt: Übertritt zum Islam oder Tod – als Muslim in der Verbannung auf dem Balkan.

Chaje Sara

Handeln für Generationen

Was ein Grundstückskauf und eine Eheanbahnung mit der Bindung zum Heiligen Land zu tun haben

von Rabbiner Joel Berger  22.11.2024

Talmudisches

Elefant

Was unsere Weisen über die Dickhäuter lehrten

von Rabbiner Netanel Olhoeft  22.11.2024

Studium

»Was wir von den Rabbinern erwarten, ist enorm«

Seit 15 Jahren werden in Deutschland wieder orthodoxe Rabbiner ausgebildet. Ein Gespräch mit dem Gründungsdirektor des Rabbinerseminars zu Berlin, Josh Spinner, und Zentralratspräsident Josef Schuster

von Mascha Malburg  21.11.2024

Europäische Rabbinerkonferenz

Rabbiner beunruhigt über Papst-Worte zu Völkermord-Untersuchung

Sie sprechen von »heimlicher Propaganda«, um Verantwortung auf die Opfer zu verlagern: Die Europäische Rabbinerkonferenz kritisiert Völkermord-Vorwürfe gegen Israel scharf. Und blickt auch auf jüngste Papst-Äußerungen

von Leticia Witte  19.11.2024

Engagement

Im Kleinen die Welt verbessern

Mitzvah Day: Wie der Tag der guten Taten positiven Einfluss auf die Welt nehmen will

von Paula Konersmann  17.11.2024

Wajera

Offene Türen

Am Beispiel Awrahams lehrt uns die Tora, gastfreundlich zu sein

von David Gavriel Ilishaev  15.11.2024

Talmudisches

Hiob und die Kundschafter

Was unsere Weisen über die Ankunft der Spione schreiben

von Vyacheslav Dobrovych  15.11.2024

Gebote

Himmlische Belohnung

Ein Leben nach Gʼttes Regeln wird honoriert – so steht es in der Tora. Aber wie soll das funktionieren?

von Daniel Neumann  14.11.2024

New York

Sotheby’s will 1500 Jahre alte Steintafel mit den Zehn Geboten versteigern

Mit welcher Summe rechnet das Auktionshaus?

 14.11.2024