Exodus

Operation Schilfmeer

Zum Auszug bereit: Charlton Heston als Moses in dem Monumentalfilm »Die Zehn Gebote« (USA 1956) Foto: cinetext

Der biblische Wochenabschnitt berichtet über den Auszug der Israeliten aus dem »Sklavenhaus Ägypten«, nachdem das Volk langwierige Kämpfe um das Erlangen der Freiheit führen musste.

»Sie brachen auf von Ramses gegen Sukkot, 600.000 marschfähige Männer, ohne Kinder«, registriert die Schrift die Anzahl der in die Freiheit Ziehenden (2. Buch Mose 12,37) und fügt noch hinzu: »Auch viele Fremde aller Art zogen mit ihnen hinauf« und eine riesige Viehherde (12,38).

sklaven Wenn man sich diese umherziehende Menschenmenge mit ihren Tieren bildhaft vorstellt, überrascht es einen auch nicht sonderlich, dass es der Pharao sehr schnell bereute, seine israelitischen Sklaven ziehen zu lassen. All die Plagen – selbst die letzte, den Tod der Erstgeborenen – hatten er und seine Höflinge schnell verdrängt. Die Toten wurden begraben und, wie es scheint, auch vergessen.

Der Pharao und seine Kammerknechte gewannen ihre Fassung schneller wieder, als man es erwartet hätte: »Was haben wir da getan, dass wir Israel aus unserem Dienst fortziehen ließen?«, fragten sie (14,5), als ihnen berichtet wurde, dass das Volk entflohen war. Jetzt dachten alle plötzlich nur an die wirtschaftlichen Verluste, die die unerwartete Befreiung der Sklaven für sie bedeuten würde. Da sahen sie es als ihre vordringlichste Aufgabe an, ihnen nachzusetzen.

Wüste Sie waren sich sicher, dass es ihnen gelingen würde, die entflohenen Sklaven in ihre frühere »Ordnung« zu zwingen. »Verirrt sind sie im Land, umschlossen hat sie die Wüste« (14,3), dachten bald die Ägypter. Sie konnten sich auch nach den Zehn Plagen nicht vorstellen, dass der G’tt der Hebräer ihre Sklaven durch die Wüste in die Freiheit führen würde.

Sie fühlten sich in ihrer Annahme bestärkt, als sie von der Marschroute der Israeliten hörten: »G’tt führte sie nicht über den Weg des Philisterlandes, der doch nahe ist, denn G’tt sprach: ›Das Volk könnte es sich, wenn es Krieg sieht, überlegen und nach Ägypten zurückkehren‹. Da ließ G’tt das Volk durch die Wüste nach dem Schilfmeer abbiegen« (13, 17–18), so die Schrift über die Marschroute.

Küstenstraße Die Kommentatoren wussten alle, warum der Herr nicht jene Küstenstraße gewählt hatte, auf der es mit Leichtigkeit möglich gewesen wäre, Kanaan, das Land der Verheißung, in elf Tagesmärschen zu erreichen. Der Midrasch, die exegetische Literatur, kannte die schlechten, ja blutigen Erfahrungen, die die Hebräer bereits früher mit den aggressiven, gut ausgerüsteten Philistern gemacht hatten, die dort wohnten.

Es wird im Midrasch erzählt, wie sich schon 30 Jahre vor dem Auszug aus Ägypten ein kämpferischer Stamm der Israeliten, der Stamm Efrajim, aus Ägypten befreit hatte. Doch stieß er an der Küstenstraße mit den Philistern des Stadtstaates Gat zusammen und erlitt eine verheerende Niederlage. Dreißig Jahre später lagen immer noch die Gebeine der Besiegten entlang der Küstenstraße. Dieses Schicksal wollte der Herr dem Volk ersparen, meint der Exeget im Midrasch.

Einer der späteren Rabbinen stellte eine Frage, die eine gute Beobachtungsgabe verrät: Woher hatten die Ägypter Pferde für die Verfolgungsjagd? Ihre Tiere waren doch alle den Zehn Plagen zum Opfer gefallen? Und nun lesen wir doch in der Schrift: »Er ließ seine Wagen bespannen, und sein Volk nahm er mit sich. Er nahm 600 auserlesene Wagen« (14,6). Woher nahm er sie?

Der Midrasch weiß zu berichten, dass nicht alle Ägypter dem Pharao treu ergeben waren. Einige hatten mit den israelitischen Sklaven sympathisiert, auf Mosches Warnungen gehört und ihre Tiere dadurch rechtzeitig vor den Plagen gerettet. Nun aber ließ Pharao, der Tyrann, ihre Pferde für seine erneute kriegerische Unternehmung beschlagnahmen. Doch selbst dies konnte ihn nicht vor dem Untergang retten. Er und die Verfolger der Israeliten versanken im Schilfmeer.

wunder Die Befreiung aus Ägypten ist im Laufe der Jahrhunderte zu einer Grundthese des jüdischen Glaubens geworden. Die Israeliten sehen mit eigenen Augen das Wunder, wie sich das Schilfmeer spaltet und die Verfolger untergehen. Dieses Erlebnis der Errettung festigt ihren Glauben. Der unmittelbare Eingriff G’ttes in das Geschehen ist für die Geretteten ein religiöses Erlebnis. In den Augen des Volkes ist damit Mosches Rolle verbunden. Sie erkennen die Tat als die eines Menschen, der in G’ttes Auftrag handelt. Da singen sie, Männer wie Frauen, ein Danklied für die wunderbare Errettung. Deshalb wird dieser Schabbat auch »Schabbat Schira« genannt, der Schabbat des Gesangs.

Zum ersten Mal erfährt hier das Volk die G’ttesverehrung als Liturgie, in Form eines aus einem gemeinsamen Antrieb gesungenen Liedes. Mosches Wirkung wird vom Volk wahrgenommen und vertieft sich zum Glauben: »Und das Volk fürchtete den Herrn, und sie glaubten Ihm und Seinem Diener Mosche« (14,31).

Die spätere Literatur des Chassidismus und die der Kabbalisten leitet von dieser Stelle der Tora die Treue, Verbundenheit und die Hingabe gegenüber den Zaddikim ab. Daher konnten die späteren jüdischen Volksmassen des Ostens in ihnen Meister, G’ttes Gesandte, sehen.

Der in der Welt der Chassidim geschätzte Gerer Rebbe pflegte zu sagen: Obwohl die Israeliten das Wunder mit eigenen Augen gesehen hatten, benötigten sie den Glauben. Der Glaube erwies sich als mehr als das, was der Mensch sehen kann. Durch den Glauben kann der Mensch mannigfaltiger entdecken und auch begreifen.

Der Autor war von 1981 bis 2002 Landesrabbiner von Württemberg.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Beschalach erzählt, wie die Kinder Israels auf der Flucht vor dem Pharao und seinen Truppen trockenen Fußes das Schilfmeer durchquerten. Es öffnete sich vor ihnen und schloss sich hinter ihnen wieder, sodass die Männer des Pharao in den Fluten ertranken. Danach beginnt der eigentliche Weg Israels durch die Wüste. Es wird berichtet, wie der Ewige die Menschen mit Manna und Wachteln versorgt und sie auffordert, Speise für den Schabbat beiseitezulegen. Dennoch fehlt es an Wasser, und die Kinder Israels beschweren sich bei Mosche. Der lässt daraufhin Wasser aus einem Felsen hervorquellen. Schließlich werden die Israeliten von Amalek angegriffen, aber sie schlagen ihn.
2. Buch Mose 13,17 – 17,16

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