Neulich beim Kiddusch

Oh, wie schön ist unsere Schweiz

Wahrzeichen: das Matterhorn in den Walliser Alpen Foto: cc

Ich bin Schweizer. Die Vorfahren meiner Mutter leben seit mehr als 400 Jahren in diesem schönen Land. Und den Namen Frenkel, den ich von meinem Vater mitbekommen habe, kennt man in der Schweiz auch schon seit 100 Jahren.

Ich bin sehr schweizerisch. Niemals würde ich in ein anderes Land ziehen, nicht einmal für die Ferien. Es ist so schön bei uns. Am Morgen reiße ich die Fenster auf und atme gute Schweizer Luft. Unser Wasser schmeckt vorzüglich, unsere Äpfel sind unbeschreiblich. Waren Sie schon mal in der Schweiz?

Ahnengalerie In meiner Synagoge beten sehr viele Juden, die leider keine echten Schweizer sind. Die meisten Ehen werden binational geschlossen. Und so kommt es, dass die meisten unserer Mitglieder keine 400-jährige Schweizer Ahnengalerie vorzeigen können. Das verdrießt mich sehr. Unsere Berge gehören zu den höchsten und schönsten weltweit, unsere Bahnen fahren pünktlich ab und sind sauber.

Mich stört es sehr, dass in der Synagoge mehr Hebräisch als Schweizer Mundart gesprochen wird. Auch englische und französische Sprachfetzen höre ich immer wieder. Dabei ist unsere Mundart eine wunderschöne Sprache. Wie soll ich Ihnen das beschreiben? Es ist einfach wunderschön. Das Gleiche gilt natürlich auch für unsere Bürgersteige, Häuser und Straßen, die alle in einem super Zustand sind.

Meine Frau kommt aus Deutschland. Ich schäme mich dafür nicht. Warum nicht? Nun, sie hat in den letzten Jahren sehr viel gelernt und weiß mittlerweile, was uns Schweizern wichtig ist. Es kostete sie viele Jahre, um zu kapieren, dass man in der Schweiz nicht die Polizei ruft, wenn etwas schiefläuft.

Die helvetischen Eskalationsschritte, zum Beispiel bei lauten Nachbarn, sehen so aus: 1) Nicht reagieren. 2) Nochmals nicht reagieren. 3) Ein Bier vorbeibringen und sich entschuldigen. 4) Den Nachbarn höflichst bitten, das Radio leiser zu stellen. 5) Die Polizei und den Anwalt bestellen.

Ausländerbehörde Jetzt wird sie Schweizerin. Eine Beamtin von der Einwanderungsbehörde hat uns besucht. Meine Frau war gerade in der Sauna, und ich war mit den Kindern allein zu Haus. Die Beamtin hatte ihre Kontrolle nicht angekündet. Plötzlich stand sie vor meiner Tür und wollte Haus und Hof kontrollieren. Meine Kinder waren natürlich noch nicht im Bett. Sie waren noch inmitten der Wohnungsverwüstung.

Überall lagen Kleider, Spielsachen und Esswaren am Boden. Die Frau steht also im Wohnzimmer und sieht sich die Bescherung an. »Ihre Frau ist in der Sauna?«, fragt sie mich. »Ja, tut mir leid«, versuche ich mich herauszuwinden. Ich fange fast an zu weinen, aber die Beamtin beruhigt mich. Sie hätte in jüdischen Wohnungen schon Schlimmeres gesehen. Ich atme erleichtert auf. Der Rest war dann Routine.

An einem anderen Abend rief sie nochmals an. Meine Frau musste Geografie-Fragen beantworten (größte Stadt in der Schweiz?) und Kenntnisse in der Politik nachweisen (leben wir in einer Demokratie oder Diktatur?).

Noch ist nichts entschieden. Aber wenn ich beim Kiddusch all die anderen sehe, die es auch geschafft haben, Schweizer zu werden, dann mache ich mir um meine Frau keine Sorgen mehr.

Mit diesem Beitrag endet die Reihe »Neulich beim Kiddusch«. Ab nächster Woche erklären wir an dieser Stelle religiöse Bräuche und Begriffe.

Berlin

Von Generation zu Generation

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  06.09.2024

Potsdam/Berlin

Neue Stiftung für Ausbildung von Rabbinern nimmt Arbeit auf

Zentralratspräsident Schuster: »Die neue Ausbildung öffnet wichtige internationale Horizonte und Netzwerke innerhalb des liberalen und konservativen Judentums«

von Yvonne Jennerjahn  06.09.2024 Aktualisiert

Schoftim

Das Wort braucht auch die Tat

Warum Gerechtigkeit mehr als nur leeres Gerede sein sollte

von Rabbiner Alexander Nachama  06.09.2024

Talmudisches

Bedürfnisse der Bedürftigen

Was unsere Weisen über zinslose Darlehen lehrten

von Yizhak Ahren  06.09.2024

Sanhedrin

Höher als der König

Einst entschieden 71 Gelehrte über die wichtigsten Rechtsfragen des Judentums. Jeder Versuch, dieses oberste Gericht wiederaufzubauen, führte zu heftigem Streit – und scheiterte

von Rabbiner Dovid Gernetz  06.09.2024

München

Rabbiner offerieren »Gemeindepaket«

Mit besonders auf kleine Gemeinden abgestimmten Dienstleistungen will die Europäische Rabbinerkonferenz halachische Standards aufrechterhalten

 05.09.2024

Re’eh

Der Weg ist das Ziel

Warum man sich nie unvorbereitet auf die Suche nach Verborgenem machen sollte

von Vyacheslav Dobrovych  30.08.2024

Talmudisches

Essen übrig lassen

Was unsere Weisen über den Umgang mit Wirten lehrten

von Rabbiner Avraham Radbil  30.08.2024

Revolutionäre Rabbiner

»Prüfe die Dinge, und du wirst sie erkennen«

Die Schriften von Rabbiner Menachem Meiri zeigen, dass Juden bereits im Mittelalter das Verhältnis zu ihren nichtjüdischen Nachbarn neu definierten

von Sophie Bigot Goldblum  28.08.2024