Nobody is perfect – jeder macht Fehler. Doch nur die wahren Freunde machen sie wieder gut. Wiedergutmachen bedeutet in dem Fall das Wiederherstellen einer zerbrochenen Beziehung.
Stellen wir uns ein leeres weißes Blatt vor; es symbolisiert das Vertrauen von Mosche in seinen Freund Chaim. Alles passt in dieser Beziehung, doch dann beginnt Chaim, Mosche zu belügen. Ergebnis: Das (Vertrauens-)Blatt liegt zerknüllt und zerrissen am Boden.
Bedeutet das unaufrichtige Verhalten von Chaim gegenüber Mosche das Ende der Freundschaft? Der große chassidische Meister Rabbi Nachman würde diese Frage mit dem psychotherapeutischen Begriff der »Reparaturfähigkeit« klar verneinen. Er sagt: »Wenn du daran glaubst, dass du etwas kaputt machen kannst, dann musst du erst recht daran glauben, dass du es wieder reparieren kannst!« Hier beschreibt der Rabbi die zentrale Determinante für die emotionale Reife eines Menschen.
TESCHUWA Das Prinzip einer jüdischen »Reparatur« (Teschuwa) vertritt die Auffassung, dass es immer möglich ist, einen Fehler wiedergutzumachen oder sich für ein Verhalten zu entschuldigen.
Es ist immer möglich, einen Fehler wiedergutzumachen.
Maimonides, der Rambam, bringt es in seinem Werk Mischne Tora mit einer viergliedrigen Handlungsstruktur auf den Punkt:
- Aufrichtigkeit: Gestehe dir deinen Fehler ein und übernimm Verantwortung für dein Verhalten: »Ich habe mich geirrt« oder »Ich hätte das nicht tun dürfen«.
- Entschuldigung: Doch Vorsicht, »Es tut mir leid« zu sagen, reicht nicht aus. Wir müssen klipp und klar ausführen, was uns leidtut: »Es tut mir leid, dass ich die Beherrschung verloren und dich angeschrien habe.« Oder: »Es tut mir leid, dass ich zu spät gekommen bin und wir den Termin verpasst haben. Ich weiß, du wolltest hingehen.«
Ganz wichtig: Beende deine Entschuldigung nie mit einem »aber«, denn so entschuldigst du dich nicht mehr. Stattdessen gibst du der anderen Person die Schuld für dein Verhalten. - Wiedergutmachung: Tu alles, was in deiner Macht steht, um das Unrecht wiedergutzumachen, um die Person, die verletzt wurde, zu beschwichtigen. Wenn du weißt, was du tun kannst, tue es. Wenn nicht, frage: »Ich weiß, dass ich dich tief verletzt habe. Ich bedaure das, aber ich möchte es wiedergutmachen. Was kann ich tun, um das zwischen uns wiedergutzumachen?«
- Blick nach vorn: Du versprichst, das nächste Mal anders zu handeln, und machst klar: Wenn sich die gleiche Situation ergeben sollte, würdest du sicher anders wählen, nämlich richtig! Du drückst also deinen Wunsch aus, dich ändern zu wollen: »Das wird nie wieder passieren!«
Und nicht vergessen: Bitte um Vergebung! »Ich schätze unsere Beziehung, ich weiß, dass ich dich verletzt habe, und ich hoffe, dass du mir verzeihen wirst – verzeihst du mir?«
ANTRIEB Tatsächlich handeln wir laut Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, nach dem Prinzip der Lust. Alfred Adler hingegen, der Begründer der Individualpsychologie, meint, es sei der Wille zur Macht. Beide Antriebsformen vertragen sich nicht mit dem Ideal der Vergebung.
Freud sagte einmal: »Wenn man jemandem alles verziehen hat, ist man mit ihm fertig.« Das geht in zwei Richtungen: fertig – aus – Schluss – vorbei. Aber auch: fertig mit dem, was war, und deshalb offen für eine lichtvolle Zukunft.
Auch bei Goethe lesen wir: »Höher vermag sich niemand zu heben, als wenn er vergibt.«
Es ergibt also Sinn zu verzeihen, das betonte auch der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, der Schoa-Überlebende Viktor Frankl. Laut ihm geschieht Verzeihen nur durch Sinnorientierung und Sinnhaftigkeit.
Auch der Philosoph Friedrich Nietzsche befasste sich mit dem Thema Vergebung. Wer aufhört, sich die Frage zu stellen, warum dies oder das geschehen ist, und stattdessen erforscht, wozu das Ganze passiert ist, dem eröffne sich ein Sinn, so Nietzsche.
JOSEF Was passiert, passiert also nicht dir, sondern für dich! Gelernt habe ich das von dem biblischen Josef HaZaddik. Er fiel dem brutalen Neid und Hass seiner Brüder zum Opfer, sie warfen ihn in einen Graben voller Schlangen und Skorpione und verkauften ihn in die Sklaverei.
So schwer es für ihn auch war, er schöpfte Mut und Kraft aus einem Lebenselixier, das nicht von dieser Welt ist: Emuna, der Kraft des Glaubens. Er akzeptierte seine neue Bestimmung und war deshalb nicht dazu verdammt, von seinen emotionalen Verletzungen fremdbestimmt zu werden.
Josef fragte sich: »Wozu?« und entdeckte, dass alles von oben kommt, direkt aus G’ttes Hand. »Nicht ihr habt mich hierhergeschickt, sondern der Ewige« (1. Buch Mose 45,8).
Bei existenziellen Entscheidungen sollte man nicht nach Vergeltung streben.
Ein derart sinnhaftes Denken ermöglicht es, einem anderen Menschen zu vergeben. Alles wirkt plötzlich klein und nicht mehr so wichtig, alles läuft in einem Programm, das wir nicht sehen können: »Ihr habt Böses gegen mich geplant, aber G’tt hat es zum Guten gewendet« (50,20), sagte Josef zu seinen Brüdern.
Frankl, der vier Konzentrationslager überlebte, der seine ganze Familie im KZ verlor, rät uns, bei existenziellen Entscheidungen nicht nach Vergeltung und Rache zu streben. Echten Halt und gesunde Orientierung erfährt man durch Verzeihung.
In der japanischen Tradition des Kintsugi werden zerbrochene Töpfe und Vasen nicht einfach weggeworfen, sondern mit einem goldfarbenen Lack kunstvoll repariert und als kostbare Kunstwerke ausgestellt.
Dies lehrt uns: Die schönste und edelste Errungenschaft haben diejenigen, die ihr Leben wieder zusammenflicken können. Dazu werden ein paar Stränge von dem Gold der Emotionen benötigt: Selbstakzeptanz, Geduld, Mut und Demut, Zärtlichkeit, Liebe, Hoffnung und Emuna, die Kraft des Glaubens.
Der Autor ist Paar- und Familientherapeut sowie Autor von »Der fröhliche Rabbi und die verschlungenen Wege zum Glück«. Er lebt in Jerusalem.