Jitro

Offenes Ohr – offenes Herz

Die Tora lehrt, dass wir von jedem Menschen etwas lernen können

von Rabbiner Boris Ronis  20.01.2022 11:48 Uhr

Hört auf seinen Berater: Marlon Brando als Don Corleone in dem Mafiafilm »Der Pate« (1969) Foto: imago stock&people

Die Tora lehrt, dass wir von jedem Menschen etwas lernen können

von Rabbiner Boris Ronis  20.01.2022 11:48 Uhr

Von wem nehmen wir Ratschläge an? Wem vertrauen wir? Auf diese Fragen eine vernünftige Antwort zu bekommen, ist wichtig, denn davon hängt ab, wie wir unser Leben meistern, unsere Gegenwart gestalten. Oftmals haben wir zu unterschiedlichen Fragestellungen und Themen unterschiedliche Berater, denen wir unser Vertrauen schenken. Ratgeber können auf verschiedene Art und Weise in unser Leben treten, und wenn sie es ehrlich meinen, sehr bereichern.

Auch in dem Mafiafilm Der Pate spielt ein Ratgeber eine wichtige Rolle. Der Hauptheld Don Corleone (gespielt von Marlon Brando) hat einen sogenannten Consigliere, einen Berater, der ihm zur Seite steht und ihn in jeglicher Hinsicht berät. Er ist nicht nur Don Corleones rechte Hand, sondern auch sein wichtigster Vertrauter – einer, der Lösungen sucht und die Begabung hat, Probleme vorausschauend zu erkennen. Der Film zeigt gut, wie wichtig ein Berater ist.

RATSCHLAG In unserer Parascha Jitro befindet sich Mosche in einer außergewöhnlichen Situation, in der er einen Rat benötigt. Das Besondere dabei ist, dass sich ihm sein Schwiegervater Jitro als Consigliere anbietet. Wie reagiert Mosche darauf? Wird er den Rat annehmen oder Jitros gute Absicht ablehnen?

Wir lesen dazu in unserem Toraabschnitt: »Am anderen Tag setzte sich Mosche, um das Volk zu richten. Und das Volk stand um Mosche vom Morgen bis zum Abend. Mosches Schwiegervater sah alles, was er mit dem Volk tat, und sprach: ›Was ist das, was du mit dem Volk tust? Warum sitzt du da, und das ganze Volk steht um dich vom Morgen bis zum Abend?‹ Mosche antwortete seinem Schwiegervater: ›Weil das Volk zu mir kommt, Gott zu befragen. Wenn sie etwas vorhaben, kommen sie vor mich, und ich richte zwischen einem und dem anderen und lasse sie wissen die Satzungen Gottes und Seine Weisungen.‹«

Da sprach der Schwiegervater zu ihm: »Es ist nicht gut, was du tust. Ermüden wirst du wie das Volk, das bei dir ist; denn zu schwer ist dies für dich, du kannst es allein nicht ausführen. Nun hör auf meine Stimme, ich will dir raten, und Gott sei mit dir: Vertritt du das Volk gegenüber Gott, dass du die Rechtssachen vor Gott bringst. Dass du ihnen erläuterst die Satzungen und Weisungen und ihnen kundtust den Weg, den sie gehen, und die Tat, die sie tun sollen. Erwähle aber aus dem ganzen Volk tüchtige, gottesfürchtige Männer, Männer der Wahrheit und uneigennützig, diese setze über das Volk – Obere über Tausende, über Hunderte, über fünfzig und über zehn –, dass sie richten das Volk alle Zeit. Jegliche große Sache bringen sie vor dich, doch jegliche kleine Sache richten sie. Erleichtere es dir, dass sie tragen mit dir« (2. Buch Mose 18, 13–22).

erfahrung Weisheit und Erfahrung lassen Jitro erkennen, dass Mosche überlastet ist, geplagt von den schwierigen Fällen und den Fragen der Kinder Israels, die ihn täglich konsultieren wollen. Er begreift, dass er Mosche helfen kann. Mosche, der Weiseste aller Weisen, der größte aller Propheten, benötigt einen Rat, da ihm sonst nur Gott Hilfestellung geben kann.

Das Interessante an dieser Parascha ist, dass Mosche plötzlich und unerwartet Hilfe erhält, und das ausgerechnet von seinem Schwiegervater Jitro. Der gehört nicht zu den Kindern Israels, sondern ist ein heidnischer Priester, der einem Midrasch zufolge in seinem Leben all jene Formen des Götzendienstes begangen hat, die Juden verboten sind. Und ausgerechnet dieser Mann gibt Mosche Rabbejnu einen Rat: nämlich abzugeben und somit mehr Zeit für sich zu haben.

Wir würden heute von Work-Life-Balance sprechen, einem ausgewogenen Verhältnis von Beruf und persönlichem Leben. Doch: Brauchen Propheten etwa auch Zeit für sich? Offenbar ja. So wie jeder Mensch Zeit für sich benötigt, um den inneren Pol der Ruhe zu finden, damit man Problemen und Fragestellungen innerlich gelassen begegnen kann, so auch Mosche.

belehrung Besonders an der Geschichte ist, dass Mosche auf den Rat hört – den Rat eines midjanitischen Priesters. Er nimmt die Belehrung seines Schwiegervaters an. Gegensätzlicher hätten die beiden Männer in ihrer religiösen Ausrichtung nicht sein können! Doch die Erfahrung des Jitro bezieht sich auf die Probleme des täglichen Lebens eines Anführers – und da hat er natürlich auch als heidnischer Priester genügend Erfahrung gesammelt.

Trotz der zweifelhaften Herkunft Jitros können wir in unserer Parascha lernen, dass wir von ganz unterschiedlichen Menschen vernünftige Ratschläge erhalten können – und auch annehmen sollten. Wichtig ist, dass man sich nicht zu schade dafür ist! Man soll sich nicht versperren, sondern sein Herz für Ratschläge offenhalten – denn lernen kann man von jedem etwas.

All dies lehrt uns diese Parascha: zuzuhören, offenzubleiben und Hilfe bewusst anzunehmen – vor allem, wenn sie von ungewöhnlicher Seite kommt.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

inhalt
Die Tora stellt Mosches Schwiegervater, den midjanitischen Priester Jitro, als religiösen und weisen Menschen dar. Er rät Mosche, Richter zu ernennen, um das Volk besser zu führen. Die Kinder Israels lagern am Fuß des Berges Sinai und müssen sich drei Tage lang vorbereiten. Dann senkt sich Gottes Gegenwart über die Spitze des Berges, und Mosche steigt hinauf, um die Tora zu empfangen.
2. Buch Mose 18,1 – 20,23

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