Brit Mila

Nur in New York

Die Beschneidungsdebatte erreicht New York. Die Metzitzah B›peh steht zur Diskussion. Foto: gettyimages

Auch in New York gibt es eine Beschneidungsdebatte. Allerdings fallen eher die Unterschiede als die Ähnlichkeiten mit der Diskussion in Deutschland ins Auge: Es geht nicht darum, etwas zu verbieten, und die Debatte betrifft nur die Stadt New York – schon das Umland ist nicht mehr gemeint. Genauer gesagt, geht es um einen Ritus, der als Metzitzah B›peh bekannt ist. Rituelle jüdische Beschneider haben jahrhundertelang die Penisspitze des Neugeborenen in den Mund genommen, um nach der Brit Mila das Blut an der Beschneidungswunde zu stillen und sie gleichzeitig zu desinfizieren. Bis ins 19. Jahrhundert war das die beste und sauberste Methode.

Halacha Heute allerdings verwenden alle Spielarten des Judentums – von ganz liberal bis stramm orthodox – zum Zweck der Blutstillung sterilisierte Glasröhrchen. Sie folgen damit einer Regel, die der große mittelalterliche Talmudgelehrte Maimonides aufgestellt hat: »schomim al harofim«, man hört auf die Ärzte. Soll heißen: Wenn es eine neue medizinische Erkenntnis gibt, dann ist diese in die Halacha – das jüdische Religionsgesetz – zu inkorporieren.

Große Teile der Chassidim allerdings verweigern sich dieser Anpassung, sie praktizieren weiterhin die Metzitzah B‹peh. Das Problem dabei: Wenn der Beschneider unter Herpes leidet, überträgt er den Virus durch dieses Ritual. Laut einer Untersuchung der Gesundheitsbehörde der Stadt New York sind seit 2000 elf Neugeborene auf diese Weise infiziert worden; bei zwei Babys führte die Infektion zu Gehirnschäden, zwei weitere Säuglinge sind gestorben. Der jüngste Todesfall – ein Neugeborenes in Brooklyn – liegt erst ein Jahr zurück. Ein infiziertes Baby, dessen Prognose nicht gut ist, befindet sich derzeit im Krankenhaus.

Gesetz Was unternimmt die Stadt New York? Plant sie, die Metzitzah B›peh zu verbieten? Keineswegs. Ein solches Verbot wäre praktisch gar nicht durchführbar. Hunderttausende Chassidim leben in New York; diese Leute können nicht außerhalb des Gesetzes gestellt werden. Und ein Szenario, bei dem die Beamten des »New York Police Department« private Haushalte durchsuchen, ob dort etwa auf falsche und gefährliche Art beschnitten wird, ist ohnehin undenkbar. Auf Vorschlag der Gesundheitsbehörde wird jetzt über folgendes Gesetz nachgedacht: Eltern sollen künftig eine Einwilligungserklärung unterschreiben, ehe die Metzitzah B‹peh praktiziert wird. In dieser sollen sie auf die gesundheitlichen Gefahren aufmerksam gemacht werden.

Gegen dieses Gesetz regt sich nun Widerstand. In Williamsburg etwa, wo die besonders strengen Satmarer Chassidim leben, hat Rabbi David Niederman, Geschäftsführer der United Jewish Organization, bereits angekündigt, man werde sich auf gar keinen Fall an das neue Gesetz halten. »Es ist völlig unakzeptabel, dass die Regierung einen Rabbi zwingt, seiner Gemeinde mitzuteilen, es sei gefährlich, einen religiösen Akt zu vollführen«, sagte er der New York Post. »Sie zwingen den Mohel und die Eltern, ein Dokument zu unterschreiben, das ihrer religiösen Überzeugung widerspricht.«

»Lügen« Ungefähr 200 Rabbiner haben eine Petition unterschrieben, in der es heißt, die Gesundheitsbehörde habe »Lügen gedruckt und verbreitet, (...) um ihr böses Gesetz zu rechtfertigen«. Michael Tobman, ein Politikberater, der mit verschiedenen chassidischen Gemeinden zusammenarbeitet, bekräftigt, es sei keine Kleinigkeit, wenn die Stadtverwaltung derart ins Innenleben dieser Gemeinschaften eingreift. Sie solle das besser unterlassen.

Eine Sprecherin der Gesundheitsbehörde wollte sich zur Petition der Rabbiner nicht äußern. Sie meinte aber: »Es ist wichtig, dass Eltern die Risiken kennen, die mit dieser Praxis, also der Metzitzah B›peh, verknüpft sind.« Ganz gleich, wie der Streit ausgeht (wir prognostizieren, dass die New Yorker Gesundheitsbehörde sich durchsetzen wird): Hier sieht man anhand eines anschaulichen Beispiels, wie sich Amerika und Europa in ihrem Rechtsverständnis unterscheiden. In der Neuen Welt verfügen Religionsgemeinschaften über einen so hohen Grad an Autonomie, wie sie ihn in der Alten Welt seit dem Mittelalter nicht mehr genossen haben.

Der Staat erhält erst dann Zutritt zu den Wohnzimmern der Gläubigen, wenn er sich vorher ausführlich gerechtfertigt hat; und es geht nie und nimmer um ein Verbot, sondern um Aufklärung und die Einwilligung der Eltern.

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