Talmudisches

Noach im Weinrausch

In Paraschat Noach ist zum ersten Mal von den süßen Trauben und ihrer berauschenden Wirkung die Rede. Foto: Thinkstock

Der Genuss von Wein markiert im Judentum den Übergang vom Profanen zum Heiligen – und wieder zurück. Der Schabbat fängt mit Wein an und endet mit Wein. Der Kiddusch läutet den Schabbat ein, die Hawdala lässt den Schabbat mit Wein ausklingen und die neue Woche beginnen.

In Paraschat Noach, dem zweiten Wochenabschnitt des jüdischen Jahres, ist zum ersten Mal von den süßen Trauben und ihrer berauschenden Wirkung die Rede – und gleich endet die Geschichte mit einer familiären Tragödie.

Sintflut Nachdem Gott die Wasser der Sintflut zurückgehen ließ und einen Bund mit den übrig gebliebenen Menschen schloss, macht sich Noach, der Stammvater aller Menschen, daran, einen Weinberg zu pflanzen.

»Als er von dem Wein trank, ward er berauscht und entblößte sich in seinem Zelt. Und Cham, der Vater Kenaans, sah die Blöße seines Vaters und sagte es den beiden Brüdern draußen. Da nahmen Schem und Jefet das Gewand und legten es sich auf ihre Schultern und gingen rücklings und bedeckten die Blöße ihres Vaters, und ihr Gesicht war abgewandt, sodass sie ihres Vaters Scham nicht sahen. Als Noach aus seinem Rausch erwachte und erfuhr, was ihm sein jüngster Sohn angetan hatte, sprach er: Verflucht sei Kenaan!« (1. Buch Mose 9, 21–25).

Psychoanalyse Im Babylonischen Talmud (Traktat Sanhedrin) wird diese Erzählung von den Rabbinen diskutiert. Sie fragen sich, warum Noach so heftig auf die Tat seines Sohnes reagierte, und entwickeln Interpretationen, die den heutigen Leser an Sigmund Freud und die Psychoanalyse denken lassen.

Raw glaubt, Cham habe seinen Vater, als er diesen im Vollrausch nackt daliegen sah, kastriert. Schmuel ist der Meinung, er habe ihn vergewaltigt.

Raw begründet seine Theorie damit, dass Noach nicht Cham selbst, sondern dessen vierten Sohn Kenaan verfluchte als Rache dafür, dass er selbst nun keinen vierten Sohn mehr haben konnte. Schmuel dagegen führt zum Beleg seiner Deutung an, dass das Verb »er sah« auch als »er drang ein« gelesen werden könnte. Am Ende einigen sich Raw und Schmuel darauf, dass Cham beides tat.

Auf die Beweggründe Chams wird nicht eingegangen. Allerdings wird ihm in der rabbinischen Literatur nachgesagt, er habe sich bereits auf der Arche durch seine zügellose Sexualität hervorgetan.

So heißt es im Midrasch Genesis Rabba: Cham wie auch der Hund hatten in der Arche sexuellen Verkehr. Deshalb kam Cham schwarz heraus, und der Hund stellt sich bei seiner Paarung zur Schau. Cham wird hier zum Stammvater der dunkelhäutigen Menschen gemacht, denen damit eine ungezügelte Sexualität angedichtet wird – ein bis heute präsentes rassistisches Klischee.

Kastration Die Geschehnisse während Noachs Weinrauschs bedeuten einen elementaren Bruch in der Erzählung seines Heldenepos. Noach erfährt die in einer patriarchalen Gesellschaft denkbar tiefste Demütigung: die Kastration und Penetration durch den eigenen Sohn. Dieser Makel wertet den Bund Noachs mit Gott im Vergleich zum Bund Awrahams und dem Bund Mosches ab.

Obwohl Cham für diese Tat verantwortlich ist, wird auch Noachs Verhalten kritisiert. Im Midrasch Tanchuma wird erläutert, dass Satan persönlich an dem Weinberg mitarbeitete und durch die Blutopfer diverser Tiergattungen deren Eigenschaften in den Wein einfließen ließ.

Wenn der Mensch keinen Alkohol trinkt, sei er wie ein Lamm, wird ausgeführt. Trinke er mit Maß, sei er heldenhaft wie ein Löwe. Doch trinke er zu viel, verschmutze er sich wie ein Schwein. Und ist er berauscht, schwingt er schändliche Reden und weiß nicht mehr, was er tut. Dies alles geschah Noach, dem Gerechten, und um wie viel mehr allen anderen!

Sieh nicht nach dem Weine, wie rötlich er schillert, sieh nicht nach dem Weine, sein Ende ist Blut, sagt der Weise Raba im Traktat Sanhedrin. Dieser Ausspruch kann auf Noachs Verlust seiner patriarchalen Stellung durch blutigen Verlust seiner Männlichkeit hindeuten.

Doch wird die erste blutige Erfahrung eines männlichen Juden, die Brit Mila, mit Wein geheiligt. Die Blut-Wein-Verbindung ist also nicht nur Symbol des Ausschlusses aus dem Bund der Männer, sondern auch Symbol des Eintritts.

Berlin

Chabad braucht größere Synagoge

»Wir hoffen auch auf die Unterstützung des Senats«, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal

 15.01.2025

Ethik

Eigenständig handeln

Unsere Verstorbenen können ein Vorbild sein, an dem wir uns orientieren. Doch Entscheidungen müssen wir selbst treffen – und verantworten

von Rabbinerin Yael Deusel  10.01.2025

Talmudisches

Greise und Gelehrte

Was unsere Weisen über das Alter lehrten

von Yizhak Ahren  10.01.2025

Zauberwürfel

Knobeln am Ruhetag?

Der beliebte Rubikʼs Cube ist 50 Jahre alt geworden – und hat sogar rabbinische Debatten ausgelöst

von Rabbiner Dovid Gernetz  09.01.2025

Geschichte

Das Mysterium des 9. Tewet

Im Monat nach Chanukka gab es ursprünglich mehr als nur einen Trauertag. Seine Herkunft ist bis heute ungeklärt

von Rabbiner Avraham Radbil  09.01.2025

Wajigasch

Nach Art der Jischmaeliten

Was Jizchaks Bruder mit dem Pessachlamm zu tun hat

von Gabriel Umarov  03.01.2025

Talmudisches

Reich sein

Was unsere Weisen über Geld, Egoismus und Verantwortung lehren

von Diana Kaplan  03.01.2025

Kabbala

Der Meister der Leiter

Wie Rabbiner Jehuda Aschlag die Stufen der jüdischen Mystik erklomm

von Vyacheslav Dobrovych  03.01.2025

Tradition

Jesus und die Beschneidung am achten Tag

Am 1. Januar wurde Jesus beschnitten – mit diesem Tag beginnt bis heute der »bürgerliche« Kalender

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  01.01.2025 Aktualisiert