Rabbiner Baruch Babaev, Dortmund
Genauso, wie ich auf die Arbeit vieler Menschen angewiesen bin, gibt es Menschen, die auf meine nicht verzichten können. Diesen Gedanken sollte jeder verinnerlichen. Er vermittelt das Gefühl, dass man gebraucht wird, dass auf einen gezählt wird. Covid-19 hat die Welt vor neue Herausforderungen gestellt. Viele müssen jetzt von ihrem Zuhause aus arbeiten – und das, während sich die ganze Familie zu Hause befindet.
Man muss verstehen, dass man erst dann produktiv arbeiten kann, wenn die Familie versorgt ist. Sind die Kinder noch so klein, dass sie keine Schulaufgaben haben, muss über ein Schichtsystem mit dem Partner nachgedacht werden, damit jeder seine Arbeit schafft.
Und obwohl man ja selbstverständlich seine Familie sehr liebt: Wenn das eine Zeitlang die einzigen Menschen sind, die man täglich sieht, sollten die Abläufe zu Hause so festgehalten sein, dass man sich nicht allzu oft in die Quere kommt. Die Aufarbeitung der neuen Erlebnisse klappt besser, wenn man diese einem Tagebuch anvertraut, und überhaupt eignet sich diese Zeit am besten dazu, etwas Neues zu wagen. Hauptsache, man ist beschäftigt, denn »Müßiggang führt zum Wahnsinn«, so steht es in der Mischna Ktubot 5,5.
Rabbiner Walter Rothschild, Berlin
Seit Jahren haben wir Rabbiner gemeckert, dass die Mehrheit der Gemeindemitglieder lieber zu Hause bleiben will, anstatt zu den Gottesdiensten zu kommen. Jetzt sind wir per Staatsdekret alle zu Hause, und sie meckern, dass sie nicht zu den Gottesdiensten gehen können ...
Für mich als »Wanderrabbiner« heißt das: endlich einige Tage in meiner Wohnung sitzen zu müssen. Nicht, wie so oft, im Zug nach Warschau, Danzig, Hamburg, oder früher nach Kiel, Köln, Freiburg, Halle ... Endlich am Schabbat zu Hause sein!
Es ist zwar kein Urlaub, aber es fühlt sich teilweise wie ein Sabbatical an. Ich habe Zeit, endlich ein paar Bücher zu lesen, ein paar Texte zu schreiben. Früher wäre das für das Gemeindeleben und für die rabbinische Arbeit katastrophal gewesen, heutzutage kann man viel, wenn nicht alles, per E-Mail, Telefon oder Skype erledigen.
Ich habe schon meine Predigt für eine Webseite vorbereitet, habe Kontakt zu Leuten in Polen – auch wenn die Grenzen gesperrt sind –, und ich berate Leute in Norddeutschland per WhatsApp. Gott schuf die Welt, der Mensch schuf die virtuelle Welt. Wir müssen nur verstehen, dass eine Online-Welt kein Himmel ist.
Rabbiner Elischa Portnoy, Halle/Dessau
Auch wenn wegen des »Social Distancing« keine gemeinsamen Gebete und keine Treffen mit Gemeindemitgliedern möglich sind, gibt es für einen Gemeinderabbiner trotzdem viel zu tun. Umso mehr für einen wie mich, der für zwei Gemeinden verantwortlich ist.
Es lässt sich sehr viel von zu Hause aus machen: Ich telefoniere viel mit Gemeindemitgliedern, schreibe Diwrei Tora, die mit Schabbat-Paketen an die Minjan-Teilnehmer zu Hause verteilt werden, bin ständig im Kontakt mit meinen beiden Gemeindevorsitzenden, um die aktuelle Lage zu besprechen und die Versorgung der Mitglieder für Pessach zu gewährleisten. Dafür habe ich unter anderem online Mazza-Pakete für Seder bei »Bassad« bestellt und an die Gemeinden liefern lassen.
Es entstand auch mehr Zeit für individuelles Lernen (was nach der Krise den Gemeinden zugutekommen wird) und fürs Lernen mit den eigenen Kindern, die jetzt viel Zeit zu Hause verbringen. Auch Nicht-Mitglieder profitieren davon: Es wurde möglich, mehrere Fragen in der Facebook-Gruppe »Frag den Rabbiner« zu beantworten. Außerdem bringen gute Nachrichten über die Geburt unseres Sohnes positive Stimmung in die Gemeinden, und alle freuen sich auf eine schöne gemeinsame Zeit »danach«.
Rabbiner Zsolt Balla, Leipzig
Mir fehlen die gemeinsamen Gottesdienste. Aber ich bin in einer glücklichen Lage, weil ich im selben Gebäude wohne, in dem auch die Synagoge untergebracht ist. Ich öffne die Synagoge jeden Tag. Seit Montag vergangener Woche bete ich dort allein. Ich bin Rabbiner und Kantor in einem. Ich übertrage Schacharit, Mincha und Maariw per Zoom und auf Facebook. Auch einen Kabbalat Schabbat haben wir schon übertragen.
Am Sonntagmorgen hatten wir 23 Teilnehmer bei Zoom und 40 Leute auf Facebook beim Schacharit-Gebet. So haben wir jedenfalls virtuell Minjanim. Das Kaddisch können wir in diesen Zeiten nicht sagen, weil wir dazu einen wirklichen Minjan brauchen. Aber es gibt ein anderes Gebet und einen Psalm, die wir derzeit zur Erinnerung an einen Verstorbenen sprechen.
Arbeiten im Homeoffice ist nicht einfach, ich habe drei Kinder, die Schule ist geschlossen. Was mir dabei hilft, ist die Tagesstruktur, die durch die Gebetszeiten ohnehin gegeben ist. Schacharit am Morgen, Mincha und Maariw am Abend.
Ich war bisher von Social Media nicht so begeistert. Mir ist es lieber, Menschen real zu begegnen. Aber in dieser Herausforderung liegt eine große Chance, die jungen Leute zu erreichen und vieles neu zu machen. In dieser Zeit brauchen wir Religion und Unterstützung. Für uns Rabbiner ist es die Zeit, zu zeigen, dass wir für die Leute da sind.
Rabbiner Avraham Radbil, Konstanz
Ich bin neu als Rabbiner in der Synagogengemeinde Konstanz und arbeite ohnehin von zu Hause, weil mein Büro noch nicht eingerichtet ist. Dass die Gottesdienste ausfallen, finde ich sehr schade.
Ich habe für alle Gemeindemitglieder eine WhatsApp-Gruppe gegründet, sie heißt »Synagogengemeinde Konstanz«. Wir teilen zum Beispiel mit, wann die Zeit für das Kerzenzünden und den Schabbatausgang ist. Diese Gruppe wird gut genutzt.
Außerdem haben wir eine »reale« Gruppe gegründet, die Leuten beim Einkaufen hilft oder bei der Besorgung von Medikamenten. Wir denken auch darüber nach, ein Erklärvideo zu machen, wie man Pessach alleine zu Hause gestaltet. Ich arbeite meistens im Schlafzimmer, denn wir wohnen in Konstanz derzeit mit vier kleinen Kindern in einer provisorischen Dreizimmerwohnung.
Normalerweise gehen meine Kinder in Zürich in die jüdische Schule. Jetzt haben sie Schiurim am Telefon. Vormittags lernen sie, und ich wiederhole dann das Gelernte mit ihnen. Die beste Arbeitszeit für mich ist von neun Uhr abends bis Mitternacht, nachdem die Kinder ins Bett gegangen sind. Aber ich bin es schon seit Jahren gewöhnt, nicht viel zu schlafen. Was mir Kraft gibt? Wenn die Kinder glücklich sind. Dann bin ich meistens auch glücklich.
Rabbinerin Gesa Ederberg, Berlin
Ich habe immer schon viel von zu Hause gearbeitet, deshalb ist das Homeoffice keine Riesenumstellung für mich. Aber ich habe jetzt noch ein Kind, das zu Hause am Computer sitzt und für die Schule arbeitet.
Und wir müssen auch für Pausen sorgen. Solange das noch möglich ist, fahren wir mittags eine Stunde zusammen Fahrrad, damit wir Bewegung und Sonne bekommen. Das Abstandhalten klappt im Tiergarten in Berlin derzeit noch sehr gut.
Ich war die letzte Woche täglich zwischen drei und acht Stunden in verschiedenen Online-Meetings über ZOOM. Dienstags bis freitags haben wir in der vergangenen Woche jeden Tag ein Online-»Lunch und Learn« veranstaltet, und wir setzen das fort. Am Freitag hatten wir auch einen Online-Kabbalat-Schabbat vor dem Kerzenzünden.
Das ist schön, dass unsere Synagogengemeinschaft wenigstens online zusammenkommen kann. Wir haben auch ein Gebet eingebaut, dass man speziell in Zeiten einer Seuche spricht. Im Homeoffice helfen mir die Gebetszeiten, den Tag zu strukturieren – und auch, mich mit meiner Familie zum Essen zu verabreden.