Wir schauen auf ein turbulentes Jahr zurück. Die Welt ist stark aus den Fugen geraten. Der erstarkende Antisemitismus ist nur ein Teil davon. Wir erleben Angriffe auf den Rechtsstaat, die Demokratie und in Europa auf den Frieden, da wo wir so etwas nicht mehr erwartet hätten. Wir können aber nicht behaupten, dass unheilvolle Entwicklungen nichts mit uns zu tun hätten. Ob der Justizumbau in Israel, ob die Vorgänge um die Rabbinatsausbildung in Potsdam, ob Fragen der Gemeindedemokratie in Berlin – als Jüdinnen und Juden waren und sind auch wir auf neue Weise herausgefordert.
Die jüdischen Feiertage sind der beste Anlass, aus unserer religiösen Tradition Anleitungen zu ziehen, das Schlechte nicht einfach hinzunehmen. Teschuwa, Umkehr zu machen, bedeutet, bei sich selbst anzufangen, die persönliche, aber auch die kollektive Integrität wiederherzustellen und zu bestärken. Wir alle tragen ein Stück dazu bei, die Welt besser zu machen.
jamim noraim Wir tun es nicht allein, sondern als jüdische Gemeinschaft insgesamt. Es kommen auf uns Tage zu – die Jamim noraim, die Ehrfurcht gebietenden Tage – mit Gottesdiensten an Rosch Haschana und Jom Kippur, die die tiefsten Schichten unserer Seele und unserer Überzeugungen berühren. Sie halten für jeden und jede von uns Momente bereit, uns an der richtigen Stelle aufzurütteln.
Es beginnt mit dem Positiven – dem Neuanfang an Rosch Haschana.
Es beginnt mit dem Positiven – dem Neuanfang an Rosch Haschana. Ein wunderbarer Start, der das neue Potenzial ins Bewusstsein ruft. Und gab es nicht auch viel Positives im letzten Jahr? Viele jüdische Gemeinden feiern in dieser Zeit ihr 75-jähriges Jubiläum der Wiedergründung nach der Schoa. Das darf angesichts der Freude über 75 Jahre Israel, was wir im vergangenen Jahr ebenfalls groß feierten, nicht übersehen werden.
selbstbefragung Der Erhalt des Positiven verlangt, dass wir uns nicht selbstgefällig zurücklehnen und es womöglich wieder verlieren. Das gemahnen die Jamim noraim mit ihrem Höhepunkt der kritischen Selbstbefragung an Jom Kippur. Kein Jom Kippur ohne das Sukkotfest danach. Angesichts des Klimawandels, der auch bei uns spürbare Realität geworden ist, steht das landwirtschaftlich geprägte Fest immer stärker in seinen ökologischen Zeichen. Der Abschluss der langen Feststrecke mündet in Simchat Tora, das Fest der Torafreude, an dem wir die Tora neu empfangen und aufs Neue für unsere Gegenwart anwenden lernen.
Die Allgemeine Rabbinerkonferenz wünscht allen Jüdinnen und Juden bedeutsame Feiertage und uns allen ein gutes und gesegnetes neues Jahr 5784. Schana towa u-meworechet.
Die Autorin ist Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).