Hebräisch lernen oder religiöse Texte gemeinsam lesen und diskutieren: In Bonn hat ein neues jüdisches Lehrhaus eröffnet. Damit steht man am Rhein in guter jüdischer Tradition. Schließlich ist das Lehrhaus eine Institution, die sich im Judentum im 20. Jahrhundert etablierte, Erwachsenenbildung zum Ziel hatte und eng mit dem Religionsphilosophen Franz Rosenzweig verknüpft ist. 1920 war das Freie Frankfurter Jüdische Lehrhaus gegründet worden, das die Nazis 1938 wieder schlossen. In Bonn nun richtet sich das Angebot ausdrücklich an Juden, Christen und Muslime, es ist offen für alle.
Schon länger gibt es an bundesweit mehreren Orten eine Renaissance des Lehrhaus-Konzepts mit Vorträgen, Kursen und Workshops zu ganz unterschiedlichen Themen mit Bezug zum Judentum. Ein prominentes Beispiel soll bald folgen: »Mit ihrem Sitz in Frankfurt am Main steht die Jüdische Akademie in der Tradition des von Franz Rosenzweig geleiteten Freien Jüdischen Lehrhauses in den 1920er Jahren«, so der Zentralrat der Juden in Deutschland über das geplante Großprojekt, das sich derzeit im Bau befindet. Darüber hinaus gibt es in Berlin, Frankfurt am Main und München auch Jüdische Volkshochschulen.
Das Lehrhaus darf man sich nicht als festes Gebäude vorstellen. Das kann zwar sein, muss aber nicht, vielmehr ist es eine Idee des Lernens, die an unterschiedlichen Orten und auch virtuell umgesetzt werden kann. Man wolle Inhalte »zusammen entdecken«, erklärt Annette Boeckler. Die Jüdin lehrt am International Center for Comparative Theology and Social Issues (CTSI) an der Universität Bonn, das das Lehrhaus organisiert hat. Hier stehen nun bis Ende September mehrere Veranstaltungen auf dem Programm.
Zum Auftakt eine Lernnacht
Wer möchte, kann sich mit den hebräischen Buchstaben vertraut machen. Oder religiöse Texte gemeinsam lernen, darunter rabbinische Texte und Passagen aus Werken jüdischer Religionsphilosophen. Darüber hinaus soll es um den Schabbat, den jüdischen Ruhetag, gehen. Und ganz zum Schluss, im September, stehen Diskussionen zu Reue, Umkehr und Vergebung an - passend zu den Hohen Feiertagen Rosch Haschana und Jom Kippur im Oktober, bei denen diese Themen eine wichtige Bedeutung haben. Für die Veranstaltungen des Lehrhauses wird betont, dass es keine Vorkenntnisse brauche.
Das Lehrhaus eingeleitet hatte eine Lernnacht zu Beginn des jüdischen Festes Schawuot am 11. Juni. Zu später Stunde ging es darum, was Lernen in Judentum, Christentum und Islam bedeutet. Bis zu 15 Personen, auch aus nicht-akademischen Kreisen, seien dabei gewesen, sagt Julia Machwitz, Studentin der katholischen Theologie und ebenfalls Teilnehmerin der Lernnacht. Machwitz gehört auch zum Kreis derjenigen, die in einem Raum des Bonner Münsters, der Hauptkirche der Stadt, regelmäßig ein multireligiöses Gebet anbieten.
Dieses gehört ebenfalls zu den CTSI-Aktivitäten. Der Bonner »Room of One«, in dem das Gebet immer donnerstags stattfindet, ist an das Berliner Projekt »House of One« (Haus des Einen) angelehnt. Dieses soll ein gemeinsames Bet- und Lehrhaus von Juden, Christen und Muslimen im Zentrum der Hauptstadt werden.
Juden, Christen und Muslime, offen für alle
Boeckler unterstreicht das Konzept des Lernens durch das Gespräch mit anderen Menschen und in Gruppen, wie es im Judentum gepflegt wird: »Der andere Mensch und die Begegnung sind genauso wichtig wie der Text. Lernen heißt auch, sich kennenzulernen. Es sind also auch Begegnungsabende.« Es sei zu erwarten, dass dabei Menschen mit unterschiedlichen Kenntnissen zusammenkämen: »Wir werden Wege finden, alle Niveaus zusammenzubringen.«
Die Angebote des Lehrhauses seien kostenlos, erklärt Boeckler. Das Lehrhaus am CTSI ist Teil des Verbundprojekts für den Transfer Komparativer Theologie in die Gesellschaft, das vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen gefördert wird. Die Finanzierung sei derzeit bis zum Jahr 2027 geplant. Bis dahin können Juden, Christen und Muslime in Bonn miteinander - und voneinander - lernen.