Zum 150. Geburtstag der 1872 in Hamburg geborenen, 1966 in Zürich gestorbenen Philosophin und Dichterin Margarete Susman ist jetzt im Jüdischen Verlag eine Neuausgabe ihres Buches Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes erschienen. Es ist versehen mit einem ausführlichen Nachwort der Frankfurter Rabbinerin Elisa Klapheck, das mit einer tiefgehenden Darstellung der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieses ungewöhnlichen Buches beeindruckt.
Während 1996 bei der letzten Neuausgabe Susmans Weggefährte Hermann Levin Goldschmidt noch ein persönliches »Vorwort nach fünfzig Jahren« beisteuerte, erläutert jetzt Elisa Klapheck mit ihren reichhaltigen rabbinischen Kenntnissen und dem Hintergrund einer 2014 erschienenen umfangreichen Dissertation über Margarete Susman deren Deutung des jüdischen Schicksals im 20. Jahrhundert.
Stil Als Das Buch Hiob 1946 in einem Schweizer Verlag erschien, waren die Wege der Rezeption eng begrenzt. Die Einfuhr nach Deutschland war untersagt, und die Überlebenden der Schoa, die sich in Deutschland aufhielten, hätten aber wohl kaum die geistige Herausforderung von Susmans Deutung des jüdischen beziehungsweise ihres jüdischen Schicksals annehmen können. Hinzu kommt, dass es im philosophischen Duktus der damals bereits seit Langem veralteten Neuromantik mit ihrem opulenten, oft blumigen und deshalb bisweilen penetrant, auch komisch erscheinenden Stil verfasst ist.
Susman sieht zudem das jüdische Volk ausschließlich in seiner Diasporaexistenz fixiert, die weiterhin seine Existenzform bilden wird, auch nachdem es deren katastrophale Auswirkungen in der Schoa erlebt hat. Als man 1948 den Staat Israel ins Leben gerufen hatte, wurde jedoch dieser Grundansatz ihrer Deutung hinfällig. In einem neuen Vorwort zur zweiten Auflage ihres Buches ist Susman auf diese neue Perspektive eingegangen, das jüdische Volk jetzt auch als kriegerisches und wehrhaftes Volk ansehen zu können.
Es ist deshalb ärgerlich, dass ihre Ausführungen wiederum nicht – auch schon 1996 nicht – in der Neuausgabe des Buches abgedruckt wurden. Susmans Wahrnehmung des neuen Staates wären auch deshalb so wichtig gewesen, weil Klapheck in ihrem Nachwort darauf hinweist, dass zahlreiche Passagen aus früheren Aufsätzen zum »Hiob-Komplex« aus der Zeit vor der Schoa in ihr Buch Hiob eingeflossen waren.
Schicksalsdeutung Liest sich dadurch ihr Buch nicht wie eine seit den historischen Ereignissen von 1948 obsolet gewordene Deutungsperspektive auf die Existenz des jüdischen Volkes? Klapheck sieht hingegen in Susmans Gedanken ein für die Gegenwart bedeutungs- und wirkungsvolles »Herüberlangen über den Abgrund« der Schoa, durch das der »Wiederaufbau nach der Zerstörung« in den Vordergrund rückt. Susmans religiöse Deutung des Schicksals der Juden vor und in der Schoa, die um die Frage nach der Schuld der Schuldlosen kreist, bezeichnet Klapheck zu Recht als inakzeptabel und unerträglich. Sie zitiert dazu aus einem Brief von Susmans früherem Lehrer, dem Rabbiner Caesar Seligmann, der nach der Lektüre ihres Buches 1947 betont haben soll, wie doch die Bibel »die Gerechtigkeit Gottes« stets verteidige.
Und in der Tat findet sich ja auch weder im werk- noch im feiertäglichen Gottesdienst das Hiob-Buch als Grundbuch der Theodizee-Problematik thematisiert, mit dem es für Philosophen bedeutsam ist. Jüdische Leser von Susmans Buch, zu deren Beruf ein intensiveres Studium der jüdischen Quellen gehört, beispielsweise Gershom Scholem, kritisierten zudem ihr Judentum und Christentum gleichermaßen berücksichtigendes Denken.
Einfluss Das gehe auf Susmans christlich geprägten Freundeskreis in der Schweiz zurück, wobei Klapheck vor allem Leonhard Ragaz hervorhebt. Mit dieser Einordnung scheint für Susmans Nachdenken über das Judentum und das jüdische Schicksal doch auch jenes Urteil seine Gültigkeit zu besitzen, das Hamburgs Oberrabbiner Joseph Carlebach über Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung fällte: es sei zwar kein jüdisches Buch, aber das Buch eines Juden.
Margarete Susman: »Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes«. Jüdischer Verlag, Berlin 2022, 192 S., 24 €
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