In dem Film Und täglich grüßt das Murmeltier, in dem Harold Ramis Regie führte und auch das Drehbuch geschrieben hat, wird die Geschichte eines Mannes erzählt, der in einer Zeitschleife gefangen ist. Der Schauspieler Bill Murray hat als Wetteransager Phil Connors in der Komödie einen großen und mächtigen Feind vor sich: die Zeit. Die zwingt ihn dazu, tagein, tagaus immer wieder dasselbe zu erleben.
HELD Jeder Tag ist derselbe, mit denselben Menschen, denselben Ereignissen, derselben Kleinstadt. Nur der Held selbst vermag es, den Handlungsstrang zu ändern, indem er immer wieder versucht, sich neu zu entscheiden, und somit den Verlauf unvorhergesehen ändert. Die Menschen um ihn herum passen sich dann der Wahl seiner Entscheidung an – und leben, ohne zu wissen, dass sie in dieser Zeitschleife gefangen sind.
Man könnte eine Parallele zwischen Connors’ Dilemma und der heutigen unserer Zeit ziehen. Auch wir erleben lang gezogene, sich wiederholende Tage, fast so wie im Film. Die Corona-Pandemie hat uns fest im Griff, und wir haben unsere Wahlmöglichkeiten scheinbar verloren. Ist dem aber wirklich so?
Manche würden mit »Ja« und andere mit »Nein« auf diese Frage antworten. Zermürbend ist diese Situation auf jeden Fall. So werden wir bereits im zweiten Jahr hintereinander unser Pessachfest ohne die Großfamilie feiern müssen.
TISCHE Wenn ich in der Vergangenheit von meinen Gemeindemitgliedern und Betern Fotos von riesengroßen Tischen bekommen habe, die sich unter der Last des Essens zu biegen schienen, so sind jetzt höchstens vier Personen am Tisch – manche verbringen den Sederabend auch alleine. Gibt es aber Alternativen?
Leider nein, es sei denn, alle sind geimpft und somit auf der sicheren Seite – doch davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Was kann man also tun? Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, die man sich in Zeiten von Corona überlegt hat und die ich hier gerne teilen möchte:
SKYPE Ein Skype- beziehungsweise Zoom-Seder ist ein Vorschlag, den man auch dieses Jahr wieder öfter hört. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass sich die Teilnehmer an allen Bildschirmen gleichermaßen auf den Seder vorbereitet haben. Auch stelle ich mir einen längeren Online-Seder schwierig vor. Vielleicht wäre hier eine verkürzte Variante des Seders vorteilhafter, damit die Geduld auch jüngerer Teilnehmer nicht zu sehr strapaziert wird. Wichtig ist aber, sich wenigstens einmal gesehen zu haben, damit man weiter entfernte Familienmitglieder nicht ganz vergisst.
WHATS-APP Ein WhatsApp-Seder ist eine weitere Möglichkeit, die es aber ohne visuelle Effekte im Vergleich zu Zoom schwierig macht. Denn diese Option erinnert ein wenig an die Text-Adventure-Spiele der Generation C-64. Alles musste getippt werden, die eigentliche Vorstellung erfolgt rein im Geist. Mache bezeichnen ihren Verstand aber als den stärksten Grafikchip auf diesem Planeten – für den einen oder anderen also vielleicht doch eine Option.
YOUTUBE Man könnte den Seder auch per YouTube oder Facebook feiern. Auch das ist eine interessante Möglichkeit, wenn auch etwas unpersönlich. Und wer lädt schon gerne alle Welt zu sich nach Hause ins Wohnzimmer ein? Dennoch ist diese Variante gar nicht so schlecht, schließlich wird so das Gefühl von Normalität erzeugt und bietet dem Zuschauer etwas Entspannung. Ob dieser sich nun zu Hause auch so einem Seder unterzieht, bleibt sicherlich jedem selbst überlassen.
MALLORCA Nach Mallorca fliegen und den Seder absagen: Das wäre meiner Meinung nach die traurigste aller Varianten. Schließlich ist der Seder eine Tradition in jeder jüdischen Familie – mehr noch ein Fundament des Auszugs aus Ägypten, in dem das »Ma nischtana« der Kinder als ein Muss gilt. Generationen von Familien haben mit diesem Lied beschrieben, wie der Stab der Jiddischkeit von Generation zu Generation immer weitergegeben wird und wurde. Mal ganz abgesehen davon, dass die Möglichkeit, sich im Flugzeug mit einer neuen Corona-Variante zu infizieren, real ist.
Alle vier Vorschläge haben einen großen Nachteil: Natürlich reichen sie nicht an ein persönliches Miteinander-Seder-Feiern heran. Sie sind lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie zeigen uns unsere Grenzen auf, die wir durch eine Pandemie im zweiten Jahr hindurch erfahren. Zumindest die ersten drei Vorschläge sind aber ein Versuch, nicht aufzugeben und sich nicht unterkriegen zu lassen.
Wichtig für uns ist, weiter durchzuhalten. Ich weiß, dass es dem einen oder anderen allmählich reicht, und dass man sich erdrückt fühlt. Nur ist die Situation leider nun einmal so, wie sie eben ist, und viele Optionen bleiben uns leider nicht übrig. In der Hoffnung, dass wir unsere jährliche Feier im nächsten Jahr doch wieder in Gesellschaft unserer Lieben feiern dürfen, wünsche ich uns allen: Pessach sameach und ein wirkliches »Leschana haba bijeruschalajim«!
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).