Engel sind schwer fassbar. Das liegt in ihrer Natur. Andererseits gehören sie zu uns und haben es bis in unsere Alltagssprache geschafft. Ihre geistige Heimat, ihr Ursprung liegt in den Heiligen Schriften der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Was den Quellen über diese »Geistwesen« zu entnehmen ist und welche Bedeutung ihnen in den jeweiligen Religionen zukommt, damit befassten sich am vergangenen Donnerstag in der Europäischen Janusz Korczak Akademie (EJKA) in München zwei Vorträge.
Engelbilder Das Publikum saß dicht gedrängt, umgeben von Engelbildern. »Welt der Engel« lautet der Titel der Ausstellung, die am selben Abend eröffnet wurde. Die Bilder des Künstlers Nikolai Estis, 1937 in Moskau geboren und mit seiner Kunst weltweit an über 70 Expositionen beteiligt, stimmten aufs Thema ein.
Estis’ Engel sind Kreationen eines kräftig gesetzten Pinselstrichs, dessen Dynamik vor dem Auge des Betrachters nicht haltmacht. Dazu kommen die starken Farben. Engel verlieren sich im Linienspektakel, werden wieder sichtbar. Menschen suchen sie, Menschen verlangen nach ihnen.
Eva Haller, Präsidentin der EJKA, sprach sie daher in ihrer Begrüßung auch kurz an, die »Schutzengel«, von denen man jedem Kind viele wünscht. Ein jüdischer Wunsch? Ein christlicher, ein islamischer? Wahrscheinlich vor allem ein menschlicher und auch ein Beispiel dafür, dass Menschen aller Glaubensrichtungen Wert auf eine Beziehung zu Engeln legen.
austausch Das Judentum »war immer eine dynamische Kultur, die in engem Austausch mit ihrer jeweiligen Umwelt stand«, sagt Maria Diemling. Die Historikerin und Co-Kuratorin der Ausstellung »Engel – Himmlische Boten in alten Handschriften«, die bis Anfang vergangenen Jahres in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien zu sehen war, nimmt sich in ihrem Vortrag »Engel im Judentum« des Themas chronologisch an, was die Wandlungsfähigkeit der Engel verdeutlicht.
Diemling forscht und lehrt im Bereich der Jüdischen Studien an der Canterbury Christ Church University. Für die Wissenschaftlerin ist die »Engeldiskussion« symptomatisch. »Das Judentum lässt Pluralität zu.« Ihm fehle das Dogmatische, es stehe im Austausch: »So wie babylonische Traditionen das jüdische Denken über Engel beeinflusst haben, so gehen auch viele der Vorstellungen im Christentum und im Islam auf jüdische Überlieferungen zurück.«
Malachim Der Glaube an Engel unterliege im Judentum deutlichen Schwankungen. Die Tora erwähnt geflügelte Wesen mit Engelcharakter wie die Cherubim und die Serafim. Sie sind Gottes Boten (hebräisch: Malachim, griechisch: Angelos) – und zwischen Gott und den Menschen unterwegs. Diejenigen, deren Glaubensvorstellungen eine direkte Kommunikation zwischen Gott und dem Menschen ausgeschlossen haben, konnten Engel als Vermittler akzeptieren.
Manchmal sieht ein Engel in der Schrift auch aus wie ein Mensch. Bileam war für die Gestalt hinter der Gestalt blind, seine Eselin nicht: Sie weicht dem Engel aus (4. Buch Mose). Das babylonische Exil habe Einfluss auf die jüdische Engelvorstellung genommen, sagt Maria Diemling: Im Buch Daniel werden die Engel zu Hütern – Anfang der »Idee« eines Schutzengels –, und zum ersten Mal bekommen zwei Engel Namen: Michael und Gabriel.
Die Übersetzung der Hebräischen Bibel ins Griechische habe hier und da eine Tendenzverschiebung zur Folge gehabt. Zum Beispiel ließe sich, so Diemling, ein »zunehmendes Interesse an Engeln« herauslesen. Das sei auch so bei den Griechisch sprechenden Juden angekommen, die in der Septuaginta lasen. Die jüdischen Schriftgelehrten gestanden in ihren Interpretationen den Engeln zwar einen sicheren Platz zu, über deren Wesen und Präsenz waren sie sich jedoch uneins.
Mystik In der mystischen Tradition, zum Beispiel im Sefer ha-Razim, werden die Engel und ihre Eigenschaften konkretisiert. Sie weist ihnen ihren Platz in den sieben Himmeln und bestimmte Aufgaben zu. »Engel können helfen, wenn man das Interesse einer wohlhabenden Frau auf sich ziehen, einem Feind schlaflose Nächte bereiten oder ein Pferderennen gewinnen will«, erläutert Maria Diemling.
Den Gegenpol zur jüdischen Mystik stelle der Rambam dar, der von der neoplatonischen Philosophie beeinflusste und als Arzt mit den Gesetzen der Natur vertraute Gelehrte Maimonides. Er habe den Riesenschritt in die Moderne vollzogen und »den Engel mit separaten Intelligenzen gleichgesetzt«.
unfrei Engel im Judentum sind keine Gottheiten. Sie sind spirituelle, unfreie Wesen, von Gott erschaffen und diesem unterstellt, sie dürfen nicht angebetet werden – so viel lasse sich vielleicht zusammenfassend und bei allem Wandel sagen, meint Maria Diemling. Dennoch stehe in den Slichot, den Bußgebeten, die man vor den Hohen Feiertagen spricht, eine Passage aus dem Mittelalter, mit der man Engel um Hilfe anfragt, damit man Gnade bei Gott findet.
Bilder von Engeln gebe es wegen des Bilderverbots im Judentum nur wenige. Das war im Christentum ganz anders, aber auch im Islam gibt es Darstellungen von Engeln. Alberto Saviello, derzeit als Kunsthistoriker am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin tätig, machte das an einer Bilderauswahl deutlich: »Christentum wie Islam knüpfen an die Engeltraditionen an. Die Engel sind Gott untergeordnet, nie Urheber, nur Mittler.«
Nikolai Estis’ Ausstellung »Welt der Engel« ist bis 17. März in der Europäischen Janusz Korczak Akademie, Sonnenstraße 8, in München zu sehen.